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LGBTIQ hoffen auf Regierungswechsel in Ungarn

Ungar*innen machen die achtgrösste Migrant*innengruppe in Österreich aus

Budapest Pride
Budapest Pride 2021 (Foto: Aleksander Kalka/ZUMA Press Wire/dpa)

Im kommenden Jahr wird in Ungarn gewählt. Die dortige LGBTIQ-Community hofft, dass sich die Lage für sie danach verbessert. Wir haben mit queeren Exil-Ungar*innen in Wien gesprochen.

In diesem Sommer des Jahres 2021 haben Gewalt und Hass gegen LGBTQ-Menschen zugenommen, sagt Rita, eine in Wien lebende ungarische Feministin. «Menschen, in Regenbogenfarben gekleidet, werden auf der Strasse angegriffen und Beschwerden gegen Menschen erhoben, die Regenbogenfahnen von ihren Balkonen hängen. Auch gegen Netflix wurde formal eine Beschwerde eingereicht, weil in einer der Kindersendungen ein nicht-binärer Bison zu sehen ist.»

Seit 29. Mai des Jahres 2010 regiert Viktor Orbán wie ein Diktator in Ungarn: Menschenrechtsverletzungen und homosexuellenfeindliche Gesetze sind auf der Tagesordnung seiner Regentschaft in diesem Land. Ein Schock für die LGBTIQ-Gesellschaft, vor allem für jene Homosexuelle, die in Ungarn leben, aber im kommenden Jahr 2022 finden die nächsten Wahlen in Ungarn statt. Wird es einen alternativen Ausweg geben, um in diesem Land auch für die LGBTIQ-Community wieder ein gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen?

Laut einer Studie vom April des Jahres 2013 über die ungarische Community in Österreich gehören die Ungarinnen und Ungar mit fast 46.000 Menschen zur achtgrössten Migrant*innengruppe in Österreich, die vor allem in Wien, Niederösterreich und im Burgenland leben. Viele Vereine der ungarischen Community, insbesonders aus den künstlerischen, folkloristischen, sprachlichen und sportlichen Aktivitäten, haben sich infolge in Österreich etabliert. Jedoch die ungarische Regierung negiert mit einem neuen Gesetz seit dem Sommer 2021 die Homo- oder Transsexualität für Jugendliche, gefährdet und verbietet damit alternative Lebensformen.


Die LGBTIQ-Community fühlt sich in ihrer Freiheit angegriffen und eingeschränkt. Betroffene kritisieren das neue LGBTIQ-Gesetz der ungarischen Regierung, weil diese damit die Community verschwinden lassen wollen und haben Angst vor psychischen Folgen der Diskriminierung. Die ungarische Regierung schränke nicht nur die Freiheit junger Menschen ein, sondern beeinflusse dadurch auch ein Leben lang ihre psychische Gesundheit, so die Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch laut dem Kurier.

Jedoch unmittelbar bevor die ungarische Regierung dieses homosexuellenfeindliche LGBTIQ-Gesetz verabschiedet hat, wurde bereits Budapest als Veranstaltungsort für die MTV Europe Music Awards, abgekürzt EMAs, beschlossen. Geehrt wurde als Preisträgerin des MTV EMA Generation Change Award 2021 u.a. Viktória Radványi aus Ungarn (MANNSCHAFT berichtete). Die junge Aktivistin wurde dafür ausgezeichnet, sich mit Mut und Entschlossenheit für ihre Community einzusetzen und sich gegen gewaltsame Homophobie und Transphobie zu wehren, um Gleichheit und Gerechtigkeit für LGBTIQ-Personen zu fordern.

Auch die Sprecherin der österreichischen Grünen für Aussenpolitik, LGBTIQ und Menschenrechte Ewa Ernst-Dziedzic verurteilt die politischen Angriffe von Viktor Orbán auf die LGBTIQ-Community. Denn vor einigen Monaten wurde von den Abgeordneten des ungarischen Parlaments ein homosexuellenfeindliches Gesetz verabschiedet, weil die Homosexualität kriminalisiert und Sexualpädagogik eingeschränkt wird.


«Das im ungarischen Parlament beschlossene sogenannte Werbeverbot ist ein schockierender Rückschritt auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen unabhängig ihrer sexuellen Orientierung. Es ist ein perfides Spiel und eine Art Sündenbock-Politik wie aus dem Lehrbuch», sagt Ewa Ernst-Dziedzic. Infolge initiierte die österreichische Grünen-Politikerin eine Mahnwache für LGBTIQ-Rechte an der österreichisch-ungarischen Grenze als sichtbares Zeichen der Solidarität mit der ungarischen LGBTIQ-Community (MANNSCHAFT berichtete).

Homophobe fühlen sich berechtigt, auf ihre Vorurteile zu reagieren, während eine Reihe von LGBTIQ erwägen, das Land zu verlassen, oder es bereits verlassen haben.

«Jedoch seit der Verabschiedung des sogenannten Pädophilie-Gesetzes werden Homophobe ermutigt, sich berechtigt zu fühlen, auf ihre Vorurteile zu reagieren, während eine Reihe von LGBTIQ-Menschen erwägen das Land zu verlassen oder es bereits verlassen haben», gibt Rita zu bedenken. Darum sei sie skeptisch, ob sich politisch hier etwas verändert. Schliesslich sei das Wahlsystem voreingenommen. Es ist nicht rein proportional, es gibt 106 Wahlbezirke, wo die Person mit den meisten Stimmen gewinnt, und nur 93 Listenplätze. Deshalb hatte Viktor Orbán im Jahr 2014 mit einem Ergebnis von knapp 45 Prozent und im Jahr 2018 mit 49 Prozent eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Mit der Vereinigung der Opposition gibt es nun zum ersten Mal eine realistische, wenn auch kleine, Chance für einen Regierungswechsel. Im Laufe der Vorwahlen wurde in jedem Wahlbezirk ein einziger Gegenkandidat ausgewählt. Leider hat Orbáns Regierung extrem viele Ressourcen, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. Zum Beispiel wurde das Meldegesetz entschärft, wodurch tausende Wähler*innen in den Bezirken sich ummelden könnten, wo ein knappes Ergebnis zu erwarten ist. Orbán habe viele Positionen mit seiner Zweidrittelmehrheit sozusagen einbetoniert. Somit ergreifen die Homophoben die Macht mit Gewalt.

Der Kandidat zum Ministerpräsidenten Péter Márki-Zay strebe auch eine neue rechte Führung für das Land Ungarn an. Er spreche in einer offiziellen Wahlkampfrede einerseits davon, alle Homosexuelle wie u.a. auch Jüd*innen umfassen ein gemeinsames Wir aller Ungar*innen. Andererseits haben viele in der ungarischen LGBTIQ-Community auch Angst vor einem möglichen EU-Austritt seitens Ungarn. Auch könne der Kandidat zum Ministerpräsidenten die Gesetze, die den EU-Prinzipien entgegenstehen, aufheben. Darum gehöre er nicht zu den Verbündeten für die LGBTIQ-Menschen, sagt Rita. Die LGBTIQ-Community in Ungarn unterstütze grossteils die vereinte Opposition, aber einige meinen, sie machen nicht genug, mögen den etwas rechteren Kandidaten in der Opposition nicht oder die Opposition sei für einige einfach unfähig – auch für Milán. Milán ist 27 Jahre jung, nicht-binär, bisexuell und lebt seit acht Jahren als Teil der ungarischen LGBTIQ-Community in Wien.

Neue Heimat in Österreich
Es gibt also viele verschiedene Gründe, um die vereinte Opposition nicht zu wählen, wodurch die die Partei des sogenannten zweischwänzigen Hundes, Magyar Kétfarkú Kutya Pártg, eine kleine Satirepartei, viele Proteststimmen bekommen könnte. Sie lasse ihre Wähler*innen online für Projekte abstimmen, die aus Wahlkampfgelder verwirklicht werden. Auch Milán sympathisiert mit dieser Satirepartei. Als Milán aus Ungarn ausgewandert ist, gab es damals noch die freie Wahl, aber seit 2018 ist die LGBTIQ-Community immer stärker im Visier der Regierungspropaganda aufgetaucht. Mit Inkrafttreten der ersten LGBTIQ-feindlichen Gesetze im Jahr 2020 fühlt es sich so an, als gäbe es keine Wahl mehr nach Ungarn zurückzukehren. Auch trotz des guten Verhältnisses zu einigen Freund*innen, sowie Eltern und Geschwister von Milán, die noch in Ungarn leben, habe Milán, insbesonders als trans Person, grosse Angst vor dem homophoben Politikklima in Ungarn. Insofern fokussiere sich Milán auf Österreich als neues Heimatland, obwohl viele trans Freund*innen noch in Ungarn leben.

Die Schäden durch Hasspropaganda sind nicht leicht zu reparieren
«Dafür bewundere ich ihren Mut und ihre Standhaftigkeit», sagt Milán. Aber ein Regierungswechsel nach den ungarischen Parlamentswahlen 2022 könne Hoffnung bringen, auch wenn die Schäden, die die Hasspropaganda bis dato verursacht hat, nicht leicht zu reparieren seien, sagt Milán. Aus der Sicht der ungarischen LGBTIQ-Community in Österreich sei es wichtig, um die Situation in Ungarn zu verbessern, vor allem medial darauf aufmerksam zu machen und öffentlich darüber zu thematisieren, oder jene Ungar*innen, die nach Österreich auswandern wollen, zu unterstützen, sagt Milán. Infolge gibt es für Milán derzeit keine legale Möglichkeit mehr, das Geschlecht anzupassen, was viel mehr motiviere, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen.

«Aber am Wahltag werde ich Stimmen mit auszählen», sagt Milán. Das Ergebnis dürfte knapp werden, da müsse genau kontrolliert werden. Aber ob Milán die Satirepartei oder doch die vereinigte Opposition schliesslich wählen wird, ist noch offen. Es wäre am besten, die Satirepartei erreiche die Fünf-Prozent-Hürde und schaffe mit der vereinigten Opposition gemeinsam eine Mehrheit über Orbáns Partei, hofft Milán.


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