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Kommt jetzt die Bibel mit Gendersternchen?

Es wird intensiv diskutiert, ob man die Heilige Schrift in gendergerechte Sprache neu übersetzen sollte

Jesus
Symbolfoto: Christoph Schmid / Unsplash

Als die Bischofskonferenz sich nach der queeren Aktion #OutInChurch positiv äusserte, werteten viele das als Signal für mehr Offenheit. Die Debatte um ein vermeintlich kleines Zeichen aber zeigt, welch tiefe Gräben die Katholiken noch überwinden müssen, schreibt Britta Schultejans.

Es waren überraschend deutliche Worte, die die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) nach der beispiellosen Aktion «#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst» fand (MANNSCHAFT berichtete über die Aktion).

Niemand dürfe wegen seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität abgewertet werden, sagte der Aachener Bischof Helmut Dieser im Namen der DBK, nachdem sich 125 Priester und andere Beschäftigte der katholischen Kirche als queer geoutet hatten. «Wir haben ein Menschenbild, das uns sagt, dass die Person unbedingt von Gott geliebt ist.» Ein Signal, das vielen liberalen Katholiken Hoffnung machte.

Tiefe innerkirchliche Gräben
Vor der dritten Vollversammlung der Reformbewegung Synodaler Weg in Frankfurt, die am  Donnerstag begann (MANNSCHAFT berichtete), hat sich aber gezeigt, wie tief die innerkirchlichen Gräben in dieser Frage noch sind. Die brechen nämlich schon bei dem vermeintlich kleinen Gendersternchen auf, über das der konservative Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer unbedingt reden will.


«Eine Einigung darüber, ob beispielsweise in allen Dokumenten das Gendersternchen verwendet werden soll, setzt einen Beschluss der Synodalversammlung voraus», sagt Britta Baas, die Sprecherin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), das schon im Frühjahr 2021 auf eine gendergerechte Sprache inklusive Sternchen umgestiegen ist.

«Das Thema ist höchst umstritten – nicht nur in allen Bereichen der Gesellschaft, sondern auch innerkirchlich», teilte Voderholzers Sprecher Clemens Neck vor einigen Wochen mit, nachdem sein Chef in einem offenen Brief eine Diskussion darüber gefordert hatte. «Steht doch die Genderideologie in massivem Gegensatz zur biblischen Anthropologie.»

Mannsein und Frausein als «Urgabe»?
Neck verweist auf Nachfrage auf einen Text der Philosophin und Feminismus-Kritikerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in der erzkatholischen Tagespost. Sie nennt darin Mannsein und Frausein die «Urgabe» und zitiert zum Beleg die Bibel: Buch Genesis, Kapitel 1, Vers 27: «Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis. Als Mann und Frau schuf er sie.»


 

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Mara Klein ist die einzige diverse Person unter den 230 Mitgliedern des Synodalen Weges. «Geschlechtergerechte Sprache widerspricht nicht der biblischen Anthropologie, sondern in erster Linie der Anthropologie der katholischen Kirche», sagte Klein der Deutschen Presse-Agentur. «Diese ist das Fundament für die Legitimation einer rein männlichen Kirchenführung und (…) auch für die katholische Queer- und Frauenfeindlichkeit.»

Der Realität der Geschlechtervielfalt werde sie nicht gerecht.

So sieht das auch Sabine Bieberstein von der Fakultät für Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Das «Ziel der biblischen Schöpfungserzählungen» sei keine «ausschliesslich zweipolige Geschlechterordnung in dem Sinne, dass es nur Mann und Frau geben darf», sagt sie.

Gefährliche Nähe zu rechtsextremistischen Kreisen
Viele Erkenntnisse der Bibelwissenschaft würden aber «in Kreisen, die eine gendergerechte Sprache und Wirklichkeitswahrnehmung ablehnen», schlicht ignoriert – und mit einer ihrer Ansicht nach bedenklichen Wortwahl garniert: «Wer von Genderideologie spricht, begibt sich ausserdem in gefährliche Nähe zu rechtsextremistischen Kreisen, die bewusst Desinformation zu dem Thema streuen, um Vernetzungen in kirchliche Kreise hinein zu erzeugen.» (MANNSCHAFT berichtete, dass der Synodalrat Rechtssicherheit für queere Mitarbeitende fordert.)

Sie meint: «Wenn der Synodale Weg eine gendergerechte Sprache verwenden würde, wäre das angesichts des desaströsen Bildes, das die Kirche nach all den Missbrauchs-Enthüllungen bietet, und auch nach der #OutInChurch-Kampagne (…) ein grossartiges Zeichen.»

Es gibt in biblischen Texten und generell in antiken Kulturen keine gendergerechte Sprache und deswegen auch weder ein Verbot noch eine Erlaubnis

Joachim Kügler, Professor für Neutestamentliche Wissenschaften an der Uni Bamberg ist es «schleierhaft, worauf sich der Bischof da bezieht». «Es gibt in biblischen Texten und generell in antiken Kulturen keine gendergerechte Sprache und deswegen auch weder ein Verbot noch eine Erlaubnis», sagte er der dpa. Die eine biblische Anthropologie gebe es nicht. «Anti-Gender-Ideologien müssen sich diese selbst basteln.»

Der Theologe Ludger Schwienhorst-Schönberger, Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien, steht dagegen eher auf Seiten Voderholzers. Mann und Frau gebe es in der Bibel, sagt er. «Dass die Bibel darüber hinaus weitere menschliche Geschlechter kennt, ist mir nicht bekannt.»

Er verweist auf das Projekt einer «Bibel in gerechter Sprache» aus dem Jahre 2007, das zwar kontrovers diskutiert, aber «nicht breit rezipiert» worden sei. «Meinem Eindruck nach geht es bei der gendergerechten Sprache des Synodalen Weges mehr um ein Bekenntnis als um Verständlichkeit.»

Bibel in gerechter Sprache
Die Ausgabe der «Bibel in gerechter Sprache» von 2007 (Foto: Gütersloher Verlagshaus)

Angst, Selbsthass und Zerrissenheit
Für Mara Klein ist allein die Tatsache, als diverser Mensch sichtbar zu sein im Synodalen Weg ein wichtiger Schritt: «Wenn wir nichts verändern, wird es immer wieder queere Menschen geben, die von Kindheit an katholisch sozialisiert werden und mit Angst, Selbsthass und Zerrissenheit aufgrund ihres Soseins leben müssen.» Es gehe darum, «ein Zeichen zu setzten: gegen die queer- und frauenfeindliche Geschlechteranthropologie der katholischen Kirche, für sichtbare Vielfalt».

Wenn Frauen nach Paulus als ‹Söhne Gottes› ‹gegendert› werden, müssten sie doch selbstverständlich das Recht haben, in der Kirche alle Ämter und Funktionen zu übernehmen, oder?

Der Bamberger Theologe Kügler betont – «ohne gendergerechte Sprache für irrelevant zu erklären» -, dass ihm eins noch viel wichtiger wäre: eine «gendergerechte Realität». «Wenn nämlich Frauen nach Paulus als ‹Söhne Gottes› ‹gegendert› werden, müssten sie doch selbstverständlich das Recht haben, in der Kirche alle Ämter und Funktionen zu übernehmen, oder?»

 

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(MANNSCHAFT berichtete über die evolutionär-humanistische Giordano-Bruno-Stiftung, die von der deutschen Bundesregierung fordert, bis 2032 ein «säkulares Jahrzehnt» und politische Veränderung in Bezug auf die Kirchen einzuleiten.)


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