K.D. Lang: Vom Country-Girl zur queeren Ikone
Ein Leben entgegen der Klischees
Vor 30 Jahren erschien mit «Constant Craving» das erfolgreichste und bekannteste Album von K.D. Lang. Dazu kam ein vor allem für die konservative Country Szene ungewöhnliches Coming-out.
Von Mayo Velvo
Angefangen hatte alles im kanadischen Edmonton (Alberta), wo Kathryn Dawn Lang im November 1961 das Licht der Welt erblickte. Doch schon bald zog die Familie in das provinzielle Prairiestädtchen Consort. Dort musikalisch eher isoliert, aber inspiriert von der Country Legende Patsy Cline, zog Lang direkt nach ihrem Schulabschluss wieder nach Edmonton und gründete Anfang der 1980er ihre erste Band, die sie, in Anlehnung an ihr Vorbild Cline, The Reclines nannte.
Aber schon damals war K.D. Lang nie nur Kopistin, im Gegenteil, sie zog musikalische wie optische Country-Klischees auf links. In frühen TV-Auftritten oder Videos wirkte Lang beinah wie eine Parodie auf alles, was im Country und Western heilig war (sehr schön zu sehen auf der Video-/DVD-Sammlung «Harvest Of Seven Years» von 1991).
Womöglich wäre K.D. Lang ein Country-Punk-Treppenwitz geblieben, wenn da nicht ihre aussergewöhnliche Stimme gewesen wäre. Langs Mezzo-Sopran, der im popular-musikalischen Showbusiness durchaus seines gleichen sucht, ist vielleicht einer der ganz wenigen, der es in Sachen Flexibilität, Umfang und Ausdrucksstärke mit einer Barbra Streisand aufnehmen konnte beziehungsweise kann. Nicht umsonst wählte kein geringerer als Roy Orbison K.D. Lang aus, seinen Klassiker «Cryin» im Duett neu aufzunehmen.
Nach dem dritten Album «Shadowland», noch eher traditionell im C&W-Stil gehalten, sollte 1989 «Absolute Torch Twang» (wobei ‚Torch’ hier für das Genre der melancholischen Jazzballade und ‚Twang’ für Country Musik stehen), die stilistischen Weichen neu stellen. Vor allem die mit Ben Mink gemeinsam komponierten Songs «Pulling back the reins» und «Trail of broken hearts» zeigten, wohin die Reise gehen sollte: Blues, Country, Pop mit jeder Menge gesanglich cinemaskopischem Gesangsdrama, liessen nicht nur die Musikbranche aufhorchen. Das Album verkaufte sich grossartig, sowohl bei Country-Fans wie pop-orientierten Hörer*innen.
K.D. Langs Erscheinungsbild hingegen wurde allmählich immer androgyner und warf, zumindest in musikalisch konservativeren Kreisen, durchaus Fragen auf. Die Verwandlung vollzog sich optisch und musikalisch beinah wie selbstverständlich, wenn auch dabei durchaus selbstbewusst: Bereits im 1990/91 gedrehten Film «Salmonberries», spielte Lang eine im weitesten Sinne binäre Inuit an der Seite der ehemaligen Fassbinder-Duse Rosel Zech.
Percy Adlon, der das Drehbuch K.D. quasi auf den Leib schrieb, hatte bereits zuvor das Video zu «So in love» (aus dem ersten Album der «Red, Hot +…»-Benefit Serie im Kampf gegen AIDS) meisterhaft subtil in Szene gesetzt. Und wer genau hinschaute, erkannte sehr wohl, dass Miss Lang gewiss keine Herrenunterwäsche auf die Leine hängte.
Weniger subtil hingegen war Langs Bekenntnis zum Vegetarismus, wie ein TV-Spot mit dem Titel «Meat Stinks» unverblümt klarstellte, was ihr in ihrer, in Rinderzucht verwurzelten, Heimat sehr übel genommen wurde. Als sie sich dann noch im Juni 1992 im LGBTIQ-Magazin The Advocate als lesbisch outete, kam es nicht nur zu Drohungen gegen Langs Mutter: In Consort, dem Ort, der sich inzwischen mit dem Zusatz «The Hometown of K.D. Lang» auf dem Strassenschild schmückte, schmierten Unbekannte auf selbiges «Eat beef, dyke» (Friss Fleisch, Lesbe) und brannten es später nieder.
Vielleicht hatte sich K.D. Lang stilistisch auch deswegen von der noch immer konservativen Country Music abgewandt und ihren ganz eigenen Stil finden lassen. Die langjährige Zusammenarbeit mit Komponist, Produzent und Multiinstrumentalist Ben Mink sollte im Album «Ingénue» (die Naive/die Unschuldige) seine schöpferische Krönung erfahren. 10 Songs, die man ohne Zögern allesamt in den Kanon des «American Popular Song» aufnehmen könnte, gekrönt von den Hitsingles «Constant Craving» und dem wunderschön ironischen «Miss Chatelaine», gemünzt auf die kanadische Frauenzeitschrift gleichen Namens, die K.D. Lang bereits 1988 zur Frau des Jahres gewählt hatte.
Während noch Unbelehrbare vor den Grammys (aber vor allem der kanadischen Variante, den JUNO Awards) 1993 in religiös-carnivorischer Verblendung gegen Langs Nominierungen demonstrierten, heimsten Lang und Mink auf beiden Verleihungen diverse Preise ein. Überdies war K.D. längst zur Stilikone geworden, was ein Leitartikel in der Vanity Fair August 1993 bewies. Der mit Fotos von Herb Ritts illustrierte Beitrag zeigte Lang zusammen mit Cindy Crawford in durchaus erotisierten Posen.
Doch trotz allen Rummels blieb K.D. Lang eine verlässliche Grösse, besonders was ihre Stimme betraf, mit der sie immer wieder, neben eigenen Alben, diverse Filmsoundtracks, Benefizalben oder Zusammenarbeiten zierte. Besonders zu erwähnen sei hier das Album «Wonderful World» aus dem Jahr 2002 mit Tony Bennett (MANNSCHAFT über seine Kooperation mit Lady Gaga), der sich schon früh als glühender Verehrer von Langs Sangeskunst outete.
Ihre Stimme kam besonders bei zwei Olympischen Winterspielen zum Tragen, zuerst 1988 bei der Abschlussfeier in Calgary, aber vor allem 2010 bei der Eröffnung der Winterolympiade in Vancouver, als sie eine Version von Leonard Cohens «Hallelujah» präsentierte, bei der alle Haare wohlig um einen Stehplatz kämpften.
Die seit etwa 2017 kreativ eher zurückgezogen lebende Künstlerin hatte 2004 noch ein Album mit dem Titel «49th Parallel» – der 49. Breitengrad markiert über weite Strecken den Grenzverlauf zwischen Kanada und den USA – aufgenommen. Mit diesem ehrte sie in wunderschönen Coverversionen kanadische Ausnahmemusiker wie Joni Mitchell, Neil Young, Leonard Cohen und Jane Siberry.
Vielleicht ist es ja an der Zeit, dass man auch Kathryn Dawn Lang bald einmal eine solche Ehre zuteil werden lässt. Verdient hätte es diese queere Ausnahmekünstlerin allemal, die immerhin 2013 in die Canadian Hall Of Fame aufgenommen wurde. (MANNSCHAFT berichtete über den geplanten ESC in Kanada )
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