«Ich trau mich schon gar nichts mehr zu sagen»

Etwas Falsches gesagt – und schon kommt der Shitstorm

Bild: iStockphoto
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Peter Fässlacher ist Moderator und Sendungsverantwortlicher bei ORF III und Stimme des Podcasts «Reden ist Gold» über Liebe und Leben von LGBTIQ. In seinem Kommentar* erklärt er, warum Worte für manche so verletzend sein können. Der Text stammt aus der Sommer-Ausgabe der MANNSCHAFT.

Die bunte Blumenwiese der queeren Identitäten ist ein Feld voller Tretminen. Oft genügt eine interessierte Nachfrage, ein falsch verwendetes Pronomen, eine undurchdachte Formulierung – und schon findet man sich in einem Gewitter der Empörung wieder: Wie man so etwas nur sagen könne? Wie man so etwas nicht wissen könne? Also das geht nun endgültig zu weit! Die Zündschnur jener, die sich in solchen Momenten diskriminiert fühlen, ist oftmals nicht nur kurz – sie ist de facto nicht vorhanden. Aber warum eigentlich?

Diskussionen über Identität werden oft mit einer ziemlichen Aggression geführt. Mit dem Ergebnis: Je aggressiver man auf eine empfundene Diskriminierung reagiert, desto ängstlicher wird das Umfeld. Jede*r hat plötzlich Angst, etwas Falsches zu sagen. Bitte alles, nur keinen Shitstorm! Das Resultat lässt sich in einem Satz zusammenfassen, den man in vielen Varianten hören kann: «Ich trau‘ mich mittlerweile ja schon gar nichts mehr zu sagen!»

Dabei hat die Kultur der überdimensionalen Empörung einen sehr persönlichen Ursprung: Oft wurde man viele Jahre – oder Jahrzehnte – diskriminiert und musste das Unrecht, das einem widerfahren ist, still ertragen und aushalten. Es auszusprechen hätte zum Teil massive Konsequenzen haben können. Damals musste man in Momenten der Diskriminierung schweigen. Heute ist das anders. Es ist möglich, halbwegs gefahrlos zu sprechen und Verletzungen zu benennen. Eine grossartige Entwicklung!

Bringt man nun die eigenen Gefühle zum Ausdruck, entlädt sich aber oft nicht nur die Wut, die dem Moment gebührt, sondern die gesammelte Wut von vielen Jahren, die nie ausgesprochen werden konnte und durfte. So wird ein vergleichsweise kleiner Moment der empfundenen Diskriminierung zum Symbol einer gesamten Diskriminierungsgeschichte, die nie gewürdigt wurde. Die Folge: Eine Explosion an Emotionen. Eine mehr als verständliche Reaktion, die Aussenstehende aber oft überrumpelt. Erschrocken vom Ausmass der Empörung, ziehen sich die anderen innerlich zurück.

Es entsteht also folgende Dynamik: Man treibt die anderen in eine Sprachlosigkeit, in der sie verstummen, weil sie Angst haben, etwas Falsches zu sagen. Man macht mit den anderen unbewusst genau das, was einem selbst widerfahren ist: Nämlich zu verstummen, aus Angst vor einer möglichen Konsequenz. Aus diesem Grund haben viele schwule Männer lange geschwiegen und nicht über die eigenen Gefühle gesprochen.

Es ist die Wiederholung der eigenen traumatischen Erfahrung – diesmal aber mit dem Unterschied, dass man selbst als Sieger*in vom Feld geht. Diesmal sind es nämlich die anderen, die sich nicht mehr zu sagen trauen, was sie denken oder fühlen. Es ist die Revanche, die anderen spüren zu lassen, wie es sich anfühlt, wenn man zurückgewiesen wird und sich nicht angstfrei ausdrücken und zeigen kann.

Manchmal könnte man sogar den Eindruck bekommen, dass es so etwas wie Vorfreude auf bevorstehende Zurückweisungen gibt. Um die aufgestaute Wut endlich entladen und sich verbal wehren zu können. Belohnt wird man dafür mit vielen Likes, Retweets und Kommentaren. Mit anderen Worten: Öffentliche Wut braucht einen Grund. Das macht sie elegant und nachvollziehbar. Und sollte es zu wenig Gründe geben, muss man sich eben welche suchen. Oder einfach nur ein bisschen warten. Irgendjemand wird schon bald wieder etwas Falsches sagen. Ganz bestimmt. Und dann kann man explodieren.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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