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«Firebird»: Verbotene schwule Liebe beim russischen Militär

Der Film mit Tom Prior und dem Ukrainer Oleg Zagorodnii ist ein emotionaler Kommentar zum aktuellen Kriegsgeschehen

Firebird
Tom Prior (l.) und Oleg Zagorodnii in «Firebird» (Foto: Salzgeber)

Dass Peeter Rebanes Spielfilmdebüt «Firebird» über verbotene schwule Liebe in der Sowjetarmee – auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs – zum Filmstart in Deutschland so aktuell werden würde wie nie, hätte sich der Este sicher nicht träumen lassen. Am 17. Mai kommt er mit Hauptdarsteller und Co-Autor Tom Prior («Kingsman: The Secret Service») nach Berlin zur Premiere.

Der «Liebesthriller» (wie er in der Pressemitteilung angekündigt wird) basiert auf den Memoiren des russischen Schauspielers Sergey Fetissow und seinem Buch «Die Geschichte von Roman».

Sergey Fetissow
Der reale Sergey Fetissow in Uniform (Foto: firebirdmovie.com)

Es geht um die Ereignisse auf einem Luftwaffenstützpunkt im von den Sowjets besetzen Estland der 1970er-Jahre, damals: Estnische Sozialistische Sowjetrepublik. Dort absolviert der junge Sergey seinen Militärdienst, während seine beste Freundin Luisa als Sekretärin des Basiskommandanten arbeitet. Als der russische Kampfjetflieger Roman auf die Basis versetzt wird, verfällt Sergey dem Charme des kühnen Piloten.

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Tom Prior als Sergey in «Firebird» (Foto: Salzgeber)

«Doch die aufkeimende Liebe zwischen den Männern muss um jeden Preis geheim bleiben – Roman steht bereits auf der Überwachungsliste des KGB», heisst es in der offiziellen Inhaltsangabe.


Mehr als eine klassische Dreiecksgeschichte
(Achtung, Spoiler!) Um seine homophoben Vorgesetzten abzulenken, denen Roman als Freigeist sowieso suspekt ist, tut der Pilot so, als habe er eine Beziehung mit Luisa. Daraus entwickelt sich eine klassische Dreiecksgeschichte, bei der sich Roman irgendwann entscheiden muss zwischen einer Ehe, die alle Gerüchte zum Verstummen bringt, oder dem Ende seiner Kriegsheldenkarriere nach unehrenhafter Entlassung.

Was den Film bemerkenswert macht ist, dass der als Dokumentarfilmer bekanntgewordene Rebane (der auch Musikvideos für die Pet Shop Boys drehte) fragt, wie solche Entscheidungen und der Zwang zum Verheimlichen von Homosexualität die nächste und übernächste Generation einer Familie beeinflussen. Denn es geht nicht nur ums Negieren der sexuellen Identität eines Einzelnen – sondern um die Auswirkungen, die noch Jahrzehnte danach spürbar bleiben (MANNSCHAFT berichtete über solche Folgeerscheinungen).

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Roman (r.) und Sergey schauen sich gemeinsam eine Ballettaufführung vom «Feuervogel» an (Foto: Salzgeber)

Damit setzt der Film einen Trend fort, der schon im BBC-Zweiteiler «Man in an Orange Shirt» 2017 begonnen hatte. In dem Film von Michael Samuels (nach einem Drehbuch von Patrick Gale) sieht man ebenfalls zwei Soldaten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entscheiden müssen, ob sie im England der 1950er-Jahre eine verbotene Liebe mit allen Konsequenzen leben wollen – oder eine Ehe mit einer Frau eingehen, um den Schein bürgerlicher Respektabilität zu wahren.


Spannend bei «Man in an Orange Shirt» ist, wie die Ehefrau reagiert, als sie von der Homosexualität ihres Mannes erfährt und wie das das weitere Familienleben beeinflusst. Im zweiten Teil des Films spielt Vanessa Redgrave die gealterte und verbittere Witwe, die mit ihrem Enkel Adam zusammenlebt, der versucht seine eigene Homosexualität vor ihr zu verbergen, weil seine Grossmutter ihren Hass auf Homosexuelle überdeutlich artikuliert und damit droht, Adams Leben zu zerstören, obwohl sie ihn eigentlich mehr als jeden anderen liebt. (MANNSCHAFT berichtete übers späte Coming-out des Darstellers des Adam, Julian Morris, der seine Beziehung zu seinem Partner 18 Jahre lange geheim hielt.)

Man in the Orange Shirt
Julian Morris (2.v.l.) im Film «The Man in an Orange Shirt», in dem er erstmals eine schwule Rolle spielte (Foto: BBC TV)

«Man in an Orange Shirt» ist ein dringliches Plädoyer, das Thema «Unterdrückung und Verbot von Homosexualität» im breiteren Kontext zu betrachten, was auch für Fragen rund um sogenannte Konversionstherapien gilt. Denn dadurch werden auch Folgegenerationen negativ beeinflusst.

Das zeigt auch «Firebird», benannt nach einer Kampfjet, den Roman fliegt – aber auch nach dem berühmten Ballett von Strawinsky, zu dem Roman den kunstliebenden Sergey mitnimmt, um ihm eine Seite seiner Persönlichkeit zu zeigen, die vom Militär und der UdSSR unterdrückt wird.

Zweiter Anlauf im Kino nach Omikron
«Firebird» wurde im März 2021 erstmals beim LGBTIQ-Filmfestival «BFI Flare» in London vorgestellt und dann bei etlichen weiteren Festivals weltweit mit grossem Erfolg gezeigt, soweit das mit Corona und Lockdowns möglich war. Nachdem es bereits im November 2021 einen deutschen Kinostart gab – der unbeachtet blieb wegen Omikron – ist nun am 12. Mai ein Neustart in deutschen Kinos geplant, nachdem der Film am 29. April auch in die US-Kinos kommt.

In einem Interview erzählt Hauptdarsteller Tom Prior über seine Vorbereitungen und Recherchen zum Film: «Ich war von der sowjetischen Geschichte und der Zeit des Kalten Krieges schon immer fasziniert, daher waren mir einige Aspekte der Geschichte schon vertraut. Allerdings hatte ich noch nie solch eine Liebesgeschichte gesehen, die in der Sowjetunion spielt. Es war eine grossartige Gelegenheit, eine neue und einzigartige Story zu erzählen.»

Was die physischen Vorbereitungen für seine Rolle angeht, so wurden Prior in ein Bootcamp in Ost-Estland geschickt: «In Estland gibt es noch die Wehrpflicht, und wir verbrachten einige Zeit bei den estnischen Verteidigungskräften. Ich habe zwei Bootcamps absolviert, in denen (…) ich die gleiche Routine wie die anderen Soldaten durchlaufen mussten. Wir gruben Schützenlöcher, bauten Zelte auf und gingen zu Schiessständen. Ausserdem wurden wir von pensionierten Spezialisten aus der Sowjetzeit in korrekten militärischen Protokollen unterwiesen. Es war sehr intensiv.»

 

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Priors Fazit zur Arbeit an dem «Firebird» lautet: «Nachdem ich die Gefahr, der Sergey und andere LGBTIQ-Menschen seiner Zeit ausgesetzt waren, wirklich nachvollzogen habe, bin ich ständig erstaunt darüber, wie viele Menschen immer noch unter autoritären Regimen und religiösen Ordnungen leiden, die ihnen ihre Rechte verweigern und ihre Liebe entwerten. Wir wünschen uns, dass dieser Film und Sergeys mutige Geschichte dazu beitragen, die Einstellung der Menschen gegenüber der LGBTIQ-Gemeinschaft und anderen ausgegrenzten Menschen in allen Ländern der Welt zu verändern.»

Wenn «ukrainische Helden» russische Soldaten als «Päderasten» beschimpfen
Dem wird sicher auch der ukrainische Schauspieler Oleg Zagorodnii zustimmen, der die Rolle das charismatischen Roman übernommen hat. In einem Video auf Instagram sagte er kürzlich, dass er in Kiew sei und bei seinen Landesleuten bleiben werden. Daher könne er nicht zu künftigen Premiere reisen, bekanntlich dürfen Männer über 18 die Ukraine derzeit nicht verlassen.

In einem anderen Video geht er darauf ein, dass «unsere ukrainische Helden» russische Soldaten als «Päderasten» beschimpfen: das sei «keine Homophobie», die Bedeutung des Wortes habe sich «verändert»; es bedeutete heute «Schande, Aggressor, Kindermörder». Es bedeute nicht, dass die russischen Soldaten «schwul» seien bzw. ihnen das als Beschimpfung unterstellt werde, so Zagorodnii.

 

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Man kann das als kühne Interpretation ansehen. Besonders angesichts der Tatsache, dass die weitverbreitete Homophobie in der ukrainischen Gesellschaft bekannt ist (MANNSCHAFT berichtete). Dieser Aspekt dürfte die Diskussion mit Zagorodniis Kollegen Tom Prior und Regisseur Peeter Rebane umso spannender machen, wenn sie am 17. Mai im Berliner Zoopalast auf Fragen des Publikums antworten und sicher auch auf die Situation in der Ukraine eingehen werden.

Der britische Geheimdienst hatte derweil kürzlich bekanntgegeben, dass er die Chatverläufe russischer Soldaten auf Grindr ausspioniere, um an Informationen zum geplanten Kriegsverlauf zu bekommen (MANNSCHAFT berichtete). Diese Informationen gaben die Briten demnach vollständig weiter an die ukrainische Regierung. Laut Daily Mail habe Putin zwar homosexuelle «Propaganda» schon 2013 verboten, dennoch werde die App «diskret verwendet», heisst es: «Auch innerhalb des Militärs.»

Dass es «diskret» ausgelebte Homosexualität innerhalb des russischen Militärs nicht erst heute gibt – als vermeintlichen «Import aus dem Westen», wie’s gern heisst – sondern auch zu jenen Zeiten, die Putin oft als «glanzvolle imperiale Vergangenheit» heraufbeschwört, zeigt «Firebird» eindringlich.

Als Kommentar auf die brutale Unterdrückung von jeglicher Form von Anderssein und Andersdenken, ist «Firebird» der perfekte Film zur momentanen Lage. Und emotional tief bewegend.


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