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«Ich wäre gerne die Mutter des israelischen Queer-Films»

Der Regisseur steht seit mehr als 20 Jahren für das schwule israelische Kino, berührend und gesellschaftspolitisch relevant.

yossi jagger
Eine Szene aus dem Film «Yossi und Jagger» (Bild: Strand Releasing)

Das Pink Apple Filmfestival ehrte den Regisseur Eytan Fox mit dem Pink-Apple-Award 2021. Für den Israeli hat das Filmemachen eine therapeutische Rolle.

Willkommen in Zürich, Eytan Fox! Du bist hier, um den Pink Apple Festival Award entgegenzunehmen. Ist dies deine erste Reise in die Schweiz?
Nein – das erste Mal war, als ich zehn war und mein Vater mich und meinen Bruder in die Schweiz brachte, um das Land kennenzulernen. Kurz nachdem meine Eltern sich scheiden liessen. Ich glaube, mein Vater wollte uns dafür ‹entschädigen› und uns ein Land zeigen, das so ganz anders war als Israel.

Dein Vater war ein konservativer Rabbi – deine Mutter Mitglied des Stadtrats von Jerusalem. Wie war dein Coming-out in den 80ern?
Nicht einfach. Das Klischee von der Mutter, die verständnisvoll ist, und einem Vater, der Probleme damit hat, trifft auch auf mich zu. Meine Mutter brauchte ein, zwei Tage, in denen sie viel geweint hat, um dann mich und meinen Freund Gal, den ich bald nach Hause brachte, in die Arme zu schliessen. Ich war damals 24 – und für die Zeit und für Israel galt das als jung für ein Coming-out! Mein Vater hingegen brauchte zwei Jahre, bis er mit meinem Partner sprach. Doch machte er eine Therapie, die sein Leben veränderte: Er wurde ein besserer Vater und ein besserer Vorgesetzter. Für ihn, einen Rabbi, der in den 60ern von den USA nach Israel kam, war ein Coming-out schlicht Neuland: Er wusste nicht, wie damit umgehen. Er brauchte Zeit. Aber in unserem letzten Gespräch, das ich zwei Tage vor seinem Tod 2006 mit ihm hatte, sagte er mir: «Ich glaube, dass Gal ein wunderbarer Partner für dich ist.» Das war ein sehr wichtiger Moment für mich.

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Der israelische Filmregisseur Eytan Fox. (Bild: Pink Apple/zvg)

Du warst im Militär und hast dann die Filmschule besucht, die du 1990 mit «Time Off» abgeschlossen hast – einem Film über einen Soldaten, der seinen despotischen Vorgesetzten beim Cruisen im Park beobachtet und der schon viel von Ihrem Erfolgsfilm «Yossi & Jagger» vorausnimmt. Wie kam es dazu?
Was damals der Fall war, ist bis heute so: Ich nutze Filme in gewisser Weise therapeutisch. Der Film war mein öffentliches Coming-out. Israelische Filme sprachen zu jener Zeit weder über Homosexualität noch über das Militär. Ich hingegen thematisierte in «Time Off» meine ganz persönlichen Konflikte – und dies im Kontext der Armee, dem «heiligen Schrein» israelischer Männlichkeit. Das war ein grosses Ding. Für mich und das Publikum in Israel. So diente mir der Film nicht zuletzt dazu, mein Coming-out zu verarbeiten.


Ähnlich war es auch bei meinem jüngsten Film, den ich vor fünf Jahren begann, mit 50 plus: «Sublet» – über einen älteren Reisejournalisten aus den USA, der bei einem jungen schwulen Israeli einzieht. Ich fragte mich, wo stehe ich? Wie ist das mit dem Älterwerden, mit Jung versus Alt, Amerika versus Israel…? Der Film half mir, diese Gefühle zu verarbeiten.

Nach zahlreichen TV-Serien und einem halben Dutzend Kinofilme, die alle nebst Homosexualität (etwa das Sequel «Yossi») auch das Leben in Israel («Walk on Water», The Bubble») thematisieren, nennt man dich den «Vater des israelischen Queer-Films». Wie fühlt sich das an?
Eigentlich möchte ich eher die ‹Mutter› des israelischen Queer-Films genannt werden (lacht)… Es gab einen wunderbaren Regisseur von Schwulenfilmen vor mir, Amos Guttman. Er starb 1993 an Aids. Er machte Filme in den 70ern und 80ern, die beeinflusst waren von Fassbinder und Douglas Sirk – in einer Mischung aus Melodrama und Hardcore-politischem Schwulenfilm. Er war der einzige offen schwule Regisseur in Israel, und ich habe in gewisser Weise die Fackel von ihm übernommen und weitergetragen. Doch wir sind sehr unterschiedlich: Nicht nur gehört er einer anderen Generation an, er war Israel auch nicht in der Art verbunden, wie ich es bin. Während er all die Marginalisierten in Tel Aviv zeigte, war ich einem Mainstream-Israel verpflichtet: Ich war Pfadfinder und im Militär…

Für mich war es wichtig, zu Israel zu gehören und meine Identität als schwuler Mann damit zu verknüpfen. Mein Film «Time Off» beginnt nicht zuletzt deswegen mit der israelischen Flagge mitten im Bild – und darüber mein Name. Und dann resultiert der Film als queer, mit einer Sexszene zwischen einem Offizier, dem Symbol israelischen Heldentums, und einem anderen Mann…


Was für eine Entwicklung durchlief die LGBTIQ-Bewegung in Israel bis heute?
Es gab riesige Veränderungen! Wenn man mir, als ich die Matura machte, gesagt hätte, dass ich einmal Schwulenfilme machen würde, sie in den grossen Kinos in Israel zeigen und das Land mich an Festivals in der ganzen Welt senden würde, hätte ich wohl geantwortet: Du bist total verrückt und durchgedreht! Ich hatte damit gerechnet, ein Leben im Verborgenen zu leben, ohne einen Lebensgefährten, ohne Familie oder Kinder. Und nun gibt es so viel Sichtbarkeit von Menschen, die out sind – in den Medien, in der Kunst und Politik. Israel ist mittlerweile wohl eines der LGBTIQ-freundlichsten Länder der Welt, besonders Tel Aviv. Doch nach wie vor kämpfen wir für eine Trennung von Kirche und Staat, die bis heute die gleichgeschlechtliche Heirat verbietet. Selbst Heteros können in Israel ausschliesslich religiös heiraten. Doch die Entwicklung und die Akzeptanz schreiten stetig voran.

The Bubble
Der Film «The Bubble» handelt von zwei Schwulen aus Israel und Palästina (Foto: United King Films)

Dein Partner in Leben und Kunst ist Gal Uchovsky, Musikjournalist und LGBTIQ-Aktivist. Er ist auch Drehbuchautor und verschiedentlich Produzent deiner Filme. Wie beeinflusst er dein Schaffen?
Wir sind nun 34 Jahre zusammen und beeinflussen einander gegenseitig auf verschiedenste Art und Weise. Auch wenn wir sehr unterschiedlich sind! Wahrscheinlich ist er der bedeutendste schwule Mann in Israel: Er ist einer der Juroren der israelischen «Pop Idol»-Show, schreibt hochpolitische Serien, kämpft im TV für die Rechte von LGBT und hat eine queere Jugendbewegung gegründet, die sich im ganzen Land ausdehnt. Zusammen sind wir, denke ich, eine gute Kombination.

Du arbeitest häufig mit denselben Schauspielern – viele davon hetero in schwulen Rollen. Wie wählst du sie aus, und was ist deine Meinung zur aktuellen Diskussion um die Kongruenz von Rolle und persönlichem Leben der Darsteller?
Als ich begann, Castings für meine Filme durchzuführen, gab es schlicht keine offen schwulen Darsteller in Israel. Die, die ich kannte, hatten Angst, eine schwule Rolle zu spielen – in der Annahme, dass sie sich zu sehr exponieren. Nun passiert das Gegenteil – und natürlich kann ich bis zu einem gewissen Grad die Forderung verstehen, dass schwule Rollen mit Schwulen besetzt werden. Aber ich hoffe schon, dass wir eines Tages wieder davon abstrahieren können und einfach die passendste Person eine Rolle spielt. So in meinem neusten Film «Sublet», in dem ich den US-Schauspieler John Benjamin Hickey castete, der seit vielen Jahren out ist – ebenso Niv Nissim, der noch nicht einmal die Schauspielschule beendet hat und überhaupt kein Problem damit hat, als Schwuler eine schwule Rolle zu spielen. Mit diesen zwei offen schwulen Schauspielern zu arbeiten, war eine wunderbare Erfahrung.

Das Interview führte Doris Senn und erschien erstmals auf Arttv.ch


Eytan Fox

wurde in New York City geboren und zog mit seiner Familie nach Israel, als er noch ein kleines Kind war. Seine Kindheit und Jugend in Jerusalem haben seine Haltung und seine kreative Vision massgeblich beeinflusst. Fox diente in der Armee, und es ist offensichtlich, dass er seine Erfahrungen für «Time Off» und «Yossi & Jagger», zwei Filme, die in Armeelagern spielen, genutzt hat. Was sein eigenes Leben betrifft, so hat Fox seinen Werken stets einen deutlich autobiografischen Touch verliehen.

Seine Filme erwecken den Eindruck, dass Sexualität und Geschlecht irgendwie losgelöst von den brisanten politischen Themen, die die israelische Gesellschaft beschäftigen, funktionieren. Und doch lancieren seine preisgekrönten Werke wie «Walk on Water» (2004), «The Bubble» (2006) oder das lange ersehnte Sequel «Yossi» (2014) wichtige Diskurse um das konfliktbehaftete Zusammenleben der Religionen und Kulturen in Israel. Diese Diskurse kommen in der Masterclass von Fox im Gespräch mit Marcy Goldberg zur Sprache. Je länger Eytan Fox’ Erfolge in TV und Kino anhalten, desto kritischer und reflektierter wirken seine soziokulturellen Positionen zum Status Quo in Israel und in der Gay Community.

Sinnbildlich dazu wirft sein neuster Film «Sublet» (2020), der am Festival als Schweizer Premiere gezeigt wird, einen interessanten zeitgenössischen Blick auf das queere Selbstverständnis jüngerer Generationen, das im Konflikt zu Positionen der Gay-Aktivist*innen der ersten Stunde zu sein scheint.


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