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«Schwule Juden schrecken häufig vor Coming-out zurück»

Interview mit Leo Schapiro, einem der drei Initiatoren von Keshet Deutschland, einem neuen Verein für queere Jüdinnen und Juden

Schwule Juden
Dalia Grinfeld, Monty Ott und Leo Schapiro (Foto: Keshet Deutschland)

Keshet ist das hebräische Wort für Regenbogen. Unter diesem Namen hat sich Ende 2018 ein Verein für queere Jüdinnen und Juden in Deutschland gegründet.

Leo Schapiro (36) ist einer der drei Initiatoren und der stellvertretende Vereinsvorsitzende von Keshet Deutschland – einem Verein für queere Jüdinnen und Juden. Dennis Stephan hat mit ihm in Berlin gesprochen.

Wer sind die Menschen hinter Keshet Deutschland?
Das sind neben mir vor allem meine Vorstandskollegen Monty Ott und Dalia Grinfeld. Ich habe schon lange von der Gründung einer Interessenvertretung für queere Juden in Deutschland geträumt, weil für diese Zielgruppe bislang weder eine Institution noch ein Angebot existierte. Dalia und Monty, die sich beide ebenfalls schon für die Interessen von queeren Menschen eingesetzt hatten, waren von der Idee sofort begeistert. Mit sieben weiteren engagierten Personen gründeten wir dann Anfang November 2018 den Verein in Berlin.

Wie genau sieht das Hilfsangebot eures Vereins aus?
Zum einen möchten wir queere Juden vernetzen und uns in den Gemeinden sichtbar machen. Wir werden hierfür unterschiedliche Veranstaltungen, wie queere Shabbat-Feiern in Synagogen oder Workshops, organisieren. Zum anderen werden wir psychosoziale Unterstützung leisten, indem wir Safe Spaces und Beratungsangebote – sowohl telefonisch als auch vor Ort – für queere Personen schaffen. Schliesslich wollen wir in Zusammenarbeit mit anderen jüdischen Institutionen Bildungsangebote kreieren, um die Gemeindemitglieder für unsere Thematik zu sensibilisieren.


Keshet feierte im Dezember den ersten Shabbat (Foto: Keshet Deutschland)

Welche Sorgen haben schwule Juden?
Schwule Männer haben in den einzelnen Religionsgemeinschaften mit unterschiedlichen Herausforderungen zu kämpfen. In der jüdischen Gemeinschaft ist z. B. folgendes Problem beachtlich: Obwohl die Mehrheit der deutschen Juden nicht orthodox – zum Teil nicht einmal gläubig – ist, wird das Thema Homosexualität in den Institutionen und unter den Gemeindemitgliedern stark tabuisiert.

Der Grund hierfür ist ein hoher Konformitätsdruck. Es wird aus traditionellen Gründen gemeinhin von den Eltern und den Mitmenschen erwartet, dass man möglichst früh einen heterosexuellen jüdischen Partner findet, diesen heiratet und Kinder bekommt. Schwule jüdische Männer schrecken daher häufig vor einem Coming-out zurück oder kehren den Gemeinden den Rücken, weil Ihnen das Gefühl gegeben wird, sie müssten sich zwischen ihrer jüdischen und sexuellen Identität entscheiden.

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Gibt es denn im Judentum bzw. Tanach eine einheitliche Aussage zum Thema? Oder ist es ohnehin dumm, in alten Schriften nach der Lösung für das Problem zu suchen?
Die unterschiedlichen Strömungen im Judentum vertreten unterschiedliche Standpunkte zur Homosexualität. Letztlich halte ich diese Diskussion heutzutage für obsolet. Anders als die Verfasser des Alten Testaments haben wir in der heutigen Zeit wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass Homosexualität keine freiwillige Verhaltensweise, sondern eine unveränderbare Eigenschaft des Menschen ist, die auch im Tierreich vorkommt. Wenn Gott homosexuelle Menschen erschaffen hat, dann liebt er sie genauso wie alle anderen Menschen.


Das Interview ist in der deutschen Januar/Februar-Ausgabe der MANNSCHAFT erschienen. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.


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