«Erinnern in Auschwitz»: Polen gegen Schwule gegen Lesben

Wie sich Opfergruppen bei der Erinnerung an die Nazi-Gräuel gegenseitig das Gedenken streitig machen

Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau (Foto: Kriss Rudolph)
Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau (Foto: Kriss Rudolph)

Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, befreiten russische Soldaten das Konzentrationslager Auschwitz. Wo Jüd*innen und Angehörige der Roma und Sinti nach der Nazi-Ideologie systematisch «vernichtet» werden sollten, ging es bei Homosexuellen eher darum, sie hart zu bestrafen. Ziel: «Umerziehung». Viele kamen dabei ums Leben. Es dauerte Jahrzehnte, bis offiziell auch der schwulen Opfer gedacht wurde. Die Erinnerung an lesbische Nazi-Opfer ist aber nach wie vor umstritten. Diesen Aspekt neben anderen beleuchtet das neue Buch: «Erinnern in Auschwitz» (Querverlag).

Insgesamt 20 Beiträge versammelt «Erinnern in Auschwitz», herausgegeben von Lutz van Dijk (der im Frühjahr den Roman «Kampala – Hamburg» vorgelegt hatte – MANNSCHAFT berichtete), gemeinsam mit den polnischen Kolleg*innen Joanna Ostrowska (Warschau) und Joanna Talewicz-Kwiatkowska (Krakau). Polnische und deutsche Expert*innen dokumentieren bisher weitgehend unbekannte Fakten und decken auf, warum die Nazis sexuelle Minderheiten verfolgten – und warum vieles in der Forschung und im Gedenken bis heute unbeachtet blieb.

Zwei neue Stolpersteine für schwule NS-Opfer in Krefeld

Während die meisten Gedenkstätten ehemalige Konzentrationslager in Deutschland und Österreich – wenn auch erst nach jahrelange Widerständen – an das Leid homosexueller Opfer erinnern, findet man dazu im Staatlichen Museum Auschwitz Birkenau noch immer nichts, zumindest nicht öffentlich zugänglich für Besucher*innen. Es hat ohnehin lange gedauert, bis auch andere Opfergruppen neben den millionenfach getöteten Jüd*innen in das Gedenken aufgenommen wurden. Bei vielen Holocaustforscher*innen stiess etwa das Thema der Vernichtung der Roma und Sinti lange auf kein Interesse – das Ergebnis jahrhundertelanger Vorurteile, schreibt Joanna Talewicz Kwiatkowska in ihrem Beitrag «Es ist an der Zeit». Dabei wurden im Zweiten Weltkrieg etwa eine halbe Million Roma und Sinti gezielt getötet: Kinder, Frauen, Männer.

Es dauerte Jahrzehnte, bis in Deutschland offiziell auch an die homosexuellen Opfer gedacht werden konnte – und zwar an die schwulen. (Ein schwerpunktmässiges Gedenken im Deutschen Bundestag wird seit Jahren von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ablehnt; van Dijk hatte dazu eine Petition gestartet – MANNSCHAFT berichtete). Wo bleiben die Lesben? Insa Eschebach, die bisherige Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, weist in ihrem Beitrag «Homophobie, Homosexualität und Konkurrenz der Erinnerungen im Kontext der Gedenkstätte Ravensbrück» daraufhin hin, dass weibliche Homosexualität nach SS-Lesart, aber auch in den Erinnerungen Überlebender an das Frauen-KZ Ravensbrück als Krankheit, als Seuche oder gar als Epidemie betrachtet wurde.

Ja, offiziell wurden nur Männer nach Paragraf 175 verurteilt. Lesben wie auch trans Personen wurden dafür nach anderen Gesetzen als «Asoziale» oder «Kriminelle» belangt. Seit Jahrzehnten kämpften Aktivist*innen dafür, dass auch ihrer Schicksale würdig gedacht wird. 1984 war es, dass erstmals eine Gruppe von Frauen aus Ost-Berlin – «Lesben in der Kirche» – versuchte, lesbischer Häftlinge in Ravensbrück öffentlich zu gedenken. Doch später wurden neue Kränze und Gebinde über ihren Kranz gelegt, ihre Widmungen wurden aus dem Besucherbuch entfernt. Der Film «Warum wir so gefährlich waren. Geschichten eines inoffiziellen Gedenkens» dokumentiert die harschen staatlichen Reaktionen gegen die Gruppe.

«In Österreich wurde nach der Nazi-Zeit vieles totgeschwiegen»

30 Jahre später, im Jahr 2014, wurde in Ravensbrück von zwei Verbänden eine Gedenktafel mit dem Wortlauf enthüllt: Den Männern, die wegen Homosexualität 1939 bis 1945 im KZ Ravensbrück inhaftiert, geschunden und ermordet wurden. Eine zweite für lesbische Häftlinge war geplant, wurde aber bis heute nicht realisiert. Wie Eschebach darlegt, gibt es drei Argumentationslinien, die das Gedenken an lesbische Opfer stets verhindert haben. Etwa dass weibliche Homosexualität in Deutschland – anders als in Österreich – kein Straftatbestand war.

Zwar waren Lesben nicht durch ein Gesetz bedroht, dafür aber durch diverse Faktoren, etwa dass die «Volksgemeinschaft» heteronormativ strukturiert war. So wurden Lesben in psychiatrische Anstalten eingewiesen. Und im KZ selber, in Ravensbrück, stellte die Lagerordnung lesbische Kontakte – wie auch das Nicht-Melden derselben – unter Strafe. Dennoch, so die Autorin, sprechen verschiedene schwule Gruppen dem Gedenken lesbischer Häftlinge weiter jegliche Legitimation ab.

So gibt es seit Jahren Streit um die Niederlegung einer Gedenkkugel als Erinnerungszeichen für alle lesbischen Frauen im KZ Ravensbrück (MANNSCHAFT berichtete). Mangels Genehmigung wurde sie zwischenzeitlich im Schwulen Museum präsentiert. Auch als Protest, dass der LSVD Berlin-Brandenburg Alexander Zinn als «expliziten Gegner lesbischen Gedenkens» in den Stiftungsrat entsendet hatte, wie es hiess.

«Schwuppen» gegen «Kampflesben» – was soll das?

Ende dieser Woche nun haben die Initiative «Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich» und das «Bündnis der Initiativen zur Unterstützung der Gedenkkugel für die verfolgten und ermordeten lesbischen Frauen und Mädchen im ehemaligen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und Uckermark», der LesbenRing e.V., RuT Rad und Tat – Offene Initiative Lesbischer Frauen, der LSVD, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, und der Fachverband Homosexualität und Geschichte (FHG) gemeinsam einen Antrag bei der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten eingereicht.

Bild: Agnes Witte
Bild: Agnes Witte

Mit dem gemeinsamen Antrag auf Verankerung der Kugel auf dem Gelände der Gedenkstätte soll in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück ein würdiges Zeichen der Erinnerung an die dort inhaftierten lesbischen Frauen errichtet werden.

Ein weitere Konflikt besteht zwischen einigen polnischen Besuchergruppen und der deutschen Antifa, die regelmässig an den Veranstaltungen der Gedenkstätte  aus Anlass der Jahrestage der Befreiung des Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück teilnimmt. Im polnischen Fernsehen wird danach gerne beklagt, dass «linke und LGBT Kreise» Ravensbrück zu einem Symbol für das «Martyrium von Homosexuellen» machen wollten und zwar «entgegen der historischen Wahrheit».

Happy Herbst! Deck dich mit der neuen MANNSCHAFT ein

Angesichts der grassierenden Homophobie in Polen (MANNSCHAFT berichtete) ist es eine gute Nachricht, dass es im kommenden Jahr eine polnische Ausgabe des Buches «Erinnern in Auschwitz – auch an sexuelle Minderheiten» geben soll: Man habe offenbar einen Warschauer Verlag gefunden, wie der Herausgeber gegenüber MANNSCHAFT erklärte. Und das Interesse bei den polnischen Kolleg*innen an dem Buch sei gross.



Wie MANNSCHAFT am Freitag erfuhr, gibt es bereits Zusagen vom Bildungswerk der Pägagog*innengewerkschaft GEW für die finanzielle Förderung der Druckkosten der polnischen Ausgabe nächstes Jahr, ebenso von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung.“

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