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Manga und Erektionen: Gelungener Neustart für Leipziger Buchmesse

Auch die LGBTIQ-Verlage sind mit ihren Neuerscheinungen vor Ort

Leipziger Buchmesse
Besucher*innen der Leipziger Buchmesse 2023 (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Unter grossem Andrang ist in Leipzig die Buchmesse gestartet. In den Hallen war grosse Freude über das Wiedersehen der Branche zu spüren. Am Donnerstagabend wurden die Träger*innen des diesjährigen Buchmesse-Preises ausgezeichnet.

Der Lyriker und Theatermacher Dinçer Güçyeter ist diesjähriger Träger des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. «Ich hoffe, dass dieser Roman der kommenden Generation den Mut gibt, mit neuen literarischen Formen zu arbeiten und keine Angst zu haben, sich verletzlich zu machen», sagte der 1979 in Nettetal (NRW) geborene Autor des Romans «Unser Deutschlandmärchen» nach der Verleihung des Preises in Leipzig.

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Autor Dinçer Güçyeter (Foto: Jan Woitas/dpa)

In seinem Buch erzählt Güçyeter von den Schmerzen, Entbehrungen, Einsamkeiten und Sehnsüchten seiner Eltern, die Ende der 1960er Jahre aus der Westtürkei als Gastarbeiter nach Deutschland kamen.

Die Jury würdigte die poetische Sprache Güçyeters. Zudem stehe seine Familiengeschichte stellvertretend für viele Gastarbeiter*innen, die Rassismus und belastende Arbeitsbedingungen erleben mussten. «Jeder schreibt sein eigenes Märchen, das ist meins», sagte der Autor, dessen Buch all jene würdigen soll, die «den Blick offen halten und was bewegen wollen».


Der Preis der Leipziger Buchmesse ist mit insgesamt 60‘000 Euro dotiert und wird in drei Kategorien vergeben. In der Kategorie Sachbuch/Essayistik setzte sich Regina Scheer durch. Ihr Buch «Bittere Brunnen» thematisiert das Leben der jüdischen Kommunistin Hertha Gordon-Walcher. In der Übersetzungs-Sparte gewann Johanna Schwering. Sie übertrug den Coming-of-Age-Roman «Die Cousinen» von Aurora Venturini aus dem argentinischen Spanisch.

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Der Fotoband «The Fine Art of Erections» von Gruenholtz (Foto: Salzgeber)

Freude über das Wiedersehen der Branche
Schon am Donnerstagvormittag war klar: Die Leipziger Buchmesse hat sich von drei Jahren Zwangspause nicht unterkriegen lassen. Kaum waren die Türen des gläsernen Messegebäudes geöffnet, strömten zahlreiche Buchfans hinein. Endlich konnten sich Aussteller wieder präsentieren, waren Neuheiten zu entdecken und war ein Treffen wieder möglich. Und so wich die Spannung unter Besucher*innen und Aussteller*innen der Freude über das Wiedersehen der Branche.

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«Jannis‘ Playlist» von Uwe Benner (Foto: Querverlag)

Kleine Stände haben auch Verlage wie der Querverlag oder Salzgeber, zu dem die Marken Männerschwarm und Albino gehören. Sie stellen ihr queeres Sortiment dem grossen Publikum vor, etwa den Fotoband «The Fine Art of Erections» von Gruenholtz oder den Roman «Nadia» von Can Mayaoglu bzw. Lars Werners «Zwischen den Dörfern auf Hundert», worin der Mythos vom WM-Sommermärchen 2006 demontiert wird.


Jim Baker und Marc Lippuner wiederum stellen in Halle 5 am Stand vom Querverlag den Roman «Jannis‘ Playlist» von Uwe Benner vor und Kevin Junks «Saturns Sommer» sowie die Sachbücher «Alle(s) Gender» und «Queere Tiere». Auch in jüngsten Publikationen wie «Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals» (MANNSCHAFT berichtete) kann man am Stand D310 blättern.

 

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Lesungen und Diskussionsrunden
Zuvor schwebte die Frage über der Veranstaltung, ob es die Publikumsmesse schaffe, wieder aufzuleben. Nachdem die Messe 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie ausgefallen war, hatten sich im vergangenen Jahr grosse Verlagsgruppen zurückgezogen. Begründet wurde dies mit Corona-Risiken – die Folge war die dritte Absage hintereinander und eine sich anschliessende Debatte über die generelle Zukunft der Leipziger Buchmesse.

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Stand mit lesbischer Literatur in Halle 3 (Foto: Kevin Clarke)

Den Neustart gestalteten Buchmesse-Direktor Oliver Zille und sein Team mit Altbekanntem und Neuerdachten. Neben Lesungen und Diskussionsrunden trafen Autor*innen und Besucher*innen auch in der neu eingerichteten Buchbar aufeinander. Unter anderem stellte Autor Florian Havemann dort sein jüngstes Buch «Bankrott» vor. Insgesamt präsentieren sich den Angaben der Veranstalter zufolge bis Sonntag 2082 Aussteller aus 40 Ländern.


Mehr zum Thema: LGBTIQ-Literaturexperte Donat Blum klagt über mangelnde Sichtbarkeit von queeren Themen im Mainstream-Literaturbetrieb


Gastland Österreich
Als Gastland ist Österreich mit rund 200 Autor*innen dabei. In Anwesenheit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnete das deutsche Nachbarland seine Präsenz auf der Buchmesse. Zum Auftakt verwies der österreichische Schriftsteller Doron Rabinovici auf die Internationalität von Büchern und der darin verwendeten Sprache. «Literatur geht an die Grenze, doch sie macht davor nicht halt», sagte Rabinovici. Die österreichische Regierung unterstützt die Präsentation mit 2,2 Millionen Euro.

 

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Zuletzt hatte der österreichische Jungautor Andreas Dutter beim Grossverlag Knaur den ersten Teil einer schwulen «Zodiac Love»-Trilogie veröffentlicht (MANNSCHAFT berichtete). Der nächste Band erscheint im Herbst.

«Die Begegnung mit Fans, mit Vertragskollegen, mit Autoren – das hat schon gefehlt», sagte Patricia Kessler von der Verlagsgruppe Droemer Knaur. Dass so viele Besucherinnen und Besucher gleich am ersten Messetag zu Gast sein würden, hat Sebastian Wolter vom mecklenburgischen Katapult-Verlag nicht erwartet: «Ich habe mit so einem Andrang eigentlich erst am Wochenende gerechnet.»

Manga & Male-Male-Romance
In Halle 3 können Fans von Male-Male-Romance viele Titel finden beim Cursed Verlag von Julia Schwenke, u.a. von K. C. Wells. Aber auch gleich dahinter beim Verlag Second Chances, wo die nagelneue deutsche Übersetzung des Young-Adult-Bestsellers «Camp» von L. C. Rosen angeboten wird, der derzeit von HBOmax verfilmt wird, in der Regie von Billy Porter.

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Stand des Verlags Second Chances in Halle 3 mit dem Buch «Camp» (Foto: Kevin Clarke)

Wer unverkrampfte queere Sichtbarkeit nebenan in Halle 1 bei den Manga-Ständen bestaunen möchte, bekommt dazu im Yaoi-Bereich viele Gelegenheiten. Besonders lohnend ist der Stand von Martina Peters aka Soenkai, die sowohl Bücher im Eigenverlag anbietet, als auch solche, die bei Grossverlagen erschienen sind. Sie ist sehr offen für Fragen, die man rund ums Thema «Boylove» haben könnte – und erklärt gern, was sie selbst als queere Künstlerin daran so spannend findet. (Sie signiert ihre Bücher auch höchst individuell.)

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Yaoi bei der Buchmesse in Halle 1 (Foto: Kevin Clarke)

Ausser Soenkai finden sich etliche weitere Manga/Yaoi-Stände in Halle 1 und 3, bei denen queere Sichtbarkeit auf eine Weise gelebte Realität ist, wie man sie in den «traditionelleren» Literaturabteilungen der anderen Hallen nicht findet. Das Besondere: Keine*r der Besucher*innen stört sich an den teils drastischen Darstellungen von (teils extremem) gleichgeschlechtlichen Sex. Im Gegenteil, dieser wird hier zelebriert von Messebesucher*innen, die selbst als ihre Lieblingsfiguren verkleidet herumlaufen. Die entsprechenden Merchandise-Produkte sind überall im Angebot. Das zu sehen lohnt auf jeden Fall den Besuch. (Mit dpa.)

Der neue Roman «Young Mungo» von Douglas Stuart, mit seiner zentralen schwulen Lovestory, wird als Serie verfilmt und könnte eine dystopische Alternative zu «Heartstopper» darstellen (MANNSCHAFT berichtete).


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