Lesben sind «taff», einfach weil sie das müssen
Nadine Lange spricht über ihren Romanerstling «Ein Eis mit Jo» und den LGBTIQ-Literaturmarkt
Nadine Lange ist bekannt als Kulturjournalistin und Mitarbeiterin des Queerspiegel aus Berlin, sie ist auch Mitherausgeberin des Buchs «Heteros fragen, Homos antworten». Die Kreuzbergerin hat jetzt ihren ersten Roman veröffentlicht unter dem Titel «Ein Eis mit Jo».
In dem Roman geht es um einen Sommerurlaub an der Adria, bei dem die queere Berliner Tätowiererin Jovana am Strand die Grafikdesignerin Anja trifft, die mit ihren Kindern ebenfalls Urlaub in Kroatien macht. Daraus entwickelt sich eine Geschichte, bei der die beiden Frauen «nicht nur miteinander Eis essen gehen», wie’s im Klappentext heisst. MANNSCHAFT traf Nadine Lange zum Interview, um mehr über ihren Roman zu erfahren.
Nadine, du arbeitest seit vielen Jahren als Journalistin. In den Mainstreammedien hat sich der Umgang mit LGBTIQ-Themen stark verändert. Siehst du solch eine Öffnung auch in der Belletristik – speziell wenn‘s um lesbische Inhalte geht? Die grossen deutschen Verlage überschwemmen den Markt zwar immer noch nicht mit queeren Romanen, aber etwas mehr scheint es in der letzten Zeit doch geworden zu sein. Mir fallen zum Beispiel Bücher von Autor*innen wie Sasha Marianna Salzmann, Hengameh Yaghoobifarah, Svealena Kutschke, Olivia Wenzel oder Gunther Geltinger ein. Auch Antje Rávik Strubel, die schon seit Langem in einem renommierten Verlag veröffentlicht und im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis gewonnen, muss hier natürlich genannt werden. Ich hoffe, dass diese Entwicklung nicht nur einem kurzlebigen Diversity-Trend geschuldet ist, sondern sich queere Themen im deutschen Literatur-Mainstream breiter etablieren werden.
Dein Roman «Ein Eis mit Jo» spielt in Kroatien und behandelt eine Urlaubsbekanntschaft – aus der mehr wird. Erlauben Urlaubsgeschichten andere Perspektiven, weil sie ausserhalb des «normalen» Alltags spielen und mehr Freiräume offerieren? Nur eine meiner beiden Figuren ist ja im Urlaub. Die andere arbeitet an dem Ort, an dem sich die Frauen kennen lernen. Trotzdem bewegen sich beide in einem anderen Umfeld als im Rest des Jahres, was durchaus neue Perspektiven eröffnet und Freiräume eröffnet.
Eine deiner Protagonistinnen ist die Berliner Tätowiererin Jo, die als «taffe Frau» auftritt. Ist das nicht ein Klischee, dass Lesben «taff» sind, genau wie es oft heisst alle Schwulen seien Friseur oder Stylist? Wie gehst du mit solchen Klischees um? Jovana, genannt Jo, ist einfach eine coole, selbstbewusste, lesbische Frau. Manche dieser Eigenschaften haben sicher auch damit zu tun, dass sie früh im Leben einen krassen biografischen Bruch erlebt hat, in ein anderes Land flüchten musste und dort lange illegal gelebt hat. Daraus entwickelt sich eine gewisse Resilienz, meinetwegen auch toughness. Lesben kommen in unserer patriachal-heteronormativen Welt im Übrigen auch nicht ohne Widerstandfähigkeit aus. Sie sind letztlich alle auf ihre Weise «taff», einfach weil sie müssen.
Deine andere Protagonistin ist die alleinerziehende Mutter Anja mit zwei Kindern, frisch geschieden, die Begegnung mit Jo löst bei ihr intensive Gefühle aus. Fällt es Frauen heute noch schwer, Bisexualität oder eine lesbische Beziehung auszuleben, nach einer heteronormativen Ehe mit Kindern? Wie siehst du die Akzeptanz dafür in der deutschen Gesellschaft? Dazu kann ich nur Vermutungen anstellen, weil ich keine Studien dazu kenne und auch keine Frauen, die soetwas erlebt haben. Ich schätze aber, dass eine solch einschneidende Lebensveränderung immer schwierig ist. So vieles wird in Frage gestellt, so viele Fragen werden von andern gestellt. Das ist auf jeden Fall eine grosse Herausforderung. Plötzlich zu einer Minderheit zu gehören, muss man überdies ja auch noch wegstecken. Was die Akzeptanz der deutschen Gesellschaft für solche Entscheidungen betrifft, dürfte diese heute sicher grösser sein als noch vor 20, 30 Jahren. Der Skandalfaktor ist nicht mehr so hoch, wozu sicher auch die Ehe für alle und die grössere Präsenz von queeren Themen in den Medien beigetragen haben.
Im Buch geht es auch um die Kinder von Anja. Die Tochter Paulina reagiert ablehnend darauf, als sie sieht wie ihre Mutter Jo küsst. Werden Kinder in Deutschland nicht inzwischen so erzogen, dass sie solche Liebes- und Lebensoptionen als selbstverständlich ansehen und damit keinerlei Berührungsprobleme mehr haben? Das ist sicher je nach Familie unterschiedlich und hängt auch vom Ort ab, in dem sie lebt. Es wäre schön, wenn Kinder heute derart liberal erzogen werden wie du es beschreibst. Man sollte aber nicht unterschätzen, dass Kinder, die nicht in Regenbogenfamilien aufwachsen, mehrheitlich von heteronormativen Bildern und Geschlechtervorstellungen umgeben sind. Da müssen sich Eltern schon anstrengen, dem etwas entgegenzuhalten. Bei Paulina hat die Ablehnung aber vor allem damit zu tun, dass sie gerade noch damit beschäftigt ist, die Scheidung ihrer Eltern zu verarbeiten und schlicht überfordert ist. Wenn Anja einen Mann geküsst hätte, hätte sie wahrscheinlich ähnlich reagiert.
Eine Rezensentin pries an deinem Roman den Humor deiner Erzählweise. Wie wichtig ist Humor für dich um Umgang mit queeren Themen – gerade angesichts der teils sehr verbittert geführten Debatten innerhalb der Queer-Community? Das ist nett von der Kollegin, dass sie meine Erzählweise als humorvoll beschrieben hat. Ich selbst würde wohl eher von einem leichten Ton sprechen. Der war mir in der Tat wichtig, weil ich ein einfach zugängliches, unterhaltsames Buch schreiben wollte, das dabei aber auch ein paar ernste Themen transportiert.
Es gibt auf Netflix und bei Streamingdiensten recht viele schwule Geschichten. Lesbische Sichtbarkeit ist dagegen eher begrenzt. Woran liegt das? Sind da Serie wie der KaDeWe-Mehrteiler als Vorreiter wichtig? Welche weiteren wegweisenden Filme/Serien findest du erwähnenswert? Ich bin mir gar nicht sicher, ob es wirklich mehr schwule als lesbische Geschichten gibt bei den Portalen – mir kommt es so vor, alles seien beide Gruppen gleich mies repräsentiert. Wobei sich auch hier vor allem im englischsprachigen Bereich extrem viel getan hat. Deutschland hinkt weiter hinterher, aber immerhin wachen ARD und ZDF langsam auf. «KaDeWe» war ein wirklich positives Signal, auch Serien wie «Wir» und «Loving Her». Aber es könnte noch viel mehr sein! Sowas wie «Sex Education», «We Are Who We Are» oder auch «The L Word» hätte ich gern mal auf Deutsch.
Und wäre «Ein Eis mit Jo» auch geeignet für eine Verfilmung? Klar! Das haben auch schon einige Leser*innen gesagt. Ich glaube, aber dass es eher ein Spielfilm als eine Serie wäre.
Wen würdest du dir dann als Jo und Anja wünschen? Haha, keine Ahnung! Da muss ich mal länger drüber nachdenken…
Wie haben eigentlich deine Kolleg*innen beim Tagesspiegel auf den Roman reagiert? Wird so eine Geschichte automatisch autobiografisch gelesen und nun meinen alle, dein Privat- und Liebeslieben genauestens zu kennen? Die Kolleg*innen waren vor allem überrascht, dass ich ein Buch geschrieben habe. Ich hatte vorher fast niemandem aus der Redaktion davon erzählt. Natürlich taucht immer die Frage nach dem Autobiografischen auf. Viele Elemente aus dem Buch basieren auf meinen Erfahrungen, Gefühlen, Gedanken. Leute, die mich kennen, erkennen sicher einige Bezüge, aber keine der Figuren ist ein Alter Ego von mir – und über mein Privatleben weiss man nach der Lektüre auch nichts.
Hanya Yanagihara wurde im Zusammenhang mit ihrem neuen Roman «Zum Paradies» vorgeworfen, es stehe ihr als heterosexueller Frau nicht zu, ein 800-Seiten-Buch über schwule Männer zu verfassen (MANNSCHAFT berichtete über das Buch). Wie siehst du diese Diskussion – und was ist für dich anders, wenn eine lesbische Frau einen Roman über eine lesbische Liebesbeziehung schreibt? Diese Kritik an Hanya Yanagihara kann ich nicht nachvollziehen. Heteros können selbstverständlich über Homos schreiben und umgekehrt genauso. Es ist immer die Frage, wie das jemand macht. Werden nur Klischees reproduziert oder völlig unrealistische Dinge geschildert, dann ist das misslich, aber das kann auch passieren, wenn eine queere Person eine queere Geschichte erzählt. Ich habe in meinem Buch über eine Mutter von zwei Kindern geschrieben, ohne Mutter zu sein. Die zweite Hauptfigur stammt aus einem anderen Land als ich. Deshalb habe ich eine kroatische Lektorin um Hilfe gebeten und auch eine Mutter. Ihr Input war essenziell, er hat zu vielen Veränderungen am Text geführt und in sicherlich besser gemacht.
Im Gegensatz zu «Zum Paradies» hast du sicher nicht wie Yanagihara eine Million Dollar Vorschuss bekommen, oder? Stattdessen hast du den Roman beim kleinen Querverlag veröffentlicht. Gibt’s in Deutschland – als einem der grössten Buchmärkte der Welt – keine Verkaufsmöglichkeiten für LGBTIQ wie im englischsprachigen Bereich? Sind die uns voraus – oder sind wir hoffnungslos hinterher? Haha, nein, einen Vorschuss habe ich nicht bekommen. Aber ich bin sehr froh darüber, dass der Querverlag mir sein Vertrauen geschenkt hat. Ich hatte ja vorher noch nie etwas Fiktionales veröffentlicht. Yanagihara ist sicher eine Ausnahmeerscheinung. Solche Vorschüsse für queere Bücher sind meines Wissens auch in den USA nicht die Regel. Über den deutschen Markt für LGBTIQ-Literatur sprachen wir ja schon zu Beginn: Ich glaube, die grossen Verlage haben das Potenzial inzwischen erkannt. Sie müssen jetzt nur dranbleiben. (MANNSCHAFT berichtete über Donat Blum, der meint, es gäbe kein grösseres Tabu im Literaturbetrieb als schwulen Sex.)
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