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Echt jetzt, «fraysexuell»? Sex ist Sex und Liebe ist Liebe

Erektionsstörungen
Foto: AdobeStock

Wir haben vor kurzem über das neue Label «Fraysexuell»berichtet. Ist das wirklich neu? Dazu ein Kommentar* des MANNSCHAFT-Lesers Martin Koob aus Giessen.

Inhaltlich hat der gute Sexkolumnist Bobby Box nicht mal wirklich unrecht. Warum dafür dann aber ein neues Label benötigt wird? Eventuell nur, um sich selbst besser verteidigen zu können.


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Die eigentliche Problematik der Missverständnisse und fehlgeleiteten Diskussion beginnt aber doch schon mit dem vollen Titel des Buches von Silverstein/White, der Zusatz «An intimate guide for gay men to the pleasures of a gay lifestyle“. Zum einen ist fraglich, was denn ein gay lifestyle sein soll? Auf diesem beschränkten Horizont, der ja in der Umkehr so etwas wie einen straight lifestyle voraussetzt, als gäbe es nur diese zwei Möglichkeiten von Lifestyle, und beide seien mit Sex verknüpft, basiert ja die in den USA so gängige These, Schwule hätten sich für diesen Lifestyle entschieden. So schiesst man sich selbst ins Bein.


Zum anderen ist da die immer wieder angenommene automatische Verquickung von Sex und Liebe. Dies sind zwei völlig unterschiedliche Dinge, und nur weil sie oftmals eine grosse Schnittmenge abdecken, sind sie dennoch weder das Gleiche noch voneinander abhängig. Blöd ist dabei natürlich dann auch, dass die Begrifflichkeiten, die gängigerweise verwendet werden, diese Verquickung unterstützt – eigentlich müsste es andere Begriffe geben dafür, Hetero- und Homosexualität (und alle weiteren Abstufungen dazu) beziehen sich nämlich vorwiegend eben nicht darauf, mit wem man Sex haben möchte, sondern in wen man sich verliebt und mit wem man zusammen sein möchte. (Dass es da dann meist wiederum eine der schon erwähnten Schnittmengen mit dem Sex gibt, ändert nichts daran, dass die Beschreibung dessen, für wen man romantische und auch dauerhafte Gefühle entwickelt, viel stärker abzugrenzen ist, als mit wem man Sex hat/haben könnte/wollte)

Sex an sich ist erstmal eine rein körperliche Aktivität, zu der keinerlei romantische Gefühle notwendig sind. Als schlechteste aller Beispiele könnte man dafür Vergewaltigungen, Knast- und Armee/Marine-Leben anführen. Man muss es nicht mal mögen, um dass es rein «technisch» möglich ist.

Im Film «The Swimmer» von Adam Kalderon, in dem ein junger Mann um die Teilnahme an den Olympischen Spielen als Schwimmer kämpft, sagt der Hauptdarsteller einen entscheidenden Satz, mit dem ich selbst diese Tatsache auch schon öfter erklärt habe: Er hasst Wasser! Man muss Wasser nicht mögen, um ein guter Schwimmer zu sein. Man muss nicht schwul sein, um guten schwulen Sex zu haben. Daher ist auch die ständig wiederkehrende Diskussion, ob Jungs noch straight sind, obwohl sie öfters schwulen Sex haben, völlig unsinnig und unnötig. Wenn die Kerle sich nur in Frauen verlieben, ist es völlig egal, was sie sonst mit ihren Körpern anstellen – sie sind weiterhin straight.


Sprich, die Begriffe sind falsch, bzgl. dessen, in wen man sich verliebt und mit wem man sein Leben teilen mag, sollte das Wortteil «-sex» erst gar nicht enthalten sein. Aufgrund dieser falschen Begrifflichkeit kann ich aber auch verstehen, warum diese «Fraysexuality» im Bereich der Asexualität angesiedelt wird. Komplettes Worte-Wirr-Warr.

Bezüglich der Aussage, das sei doch bei Schwulen schon immer so gewesen, der Reiz des anonymen Sex, in Klappen, Parks, Darkrooms usw., kann ich auch nur anmerken, dass hier ein paar faktische Realitäten ausser Acht gelassen werden. Warum wurde denn hier eine Notwendigkeit zur Tugend verklärt?


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Schneller anonymer Sex war möglich und dabei weniger gefährlich als eine dauerhafte Beziehung, was eine Aufdeckung, gesellschaftliche Ächtung usw. anbelangt. Auch in den Siebzigern noch, sogar heute noch in der Provinz. Der Kreis derer, der wusste, dass man schwul ist, konnte so klein gehalten werden. Dies also zur Normalität zu erklären, als «schon immer so ausgelebte Sexualität», lässt die eigentliche Ursache völlig ausser acht und macht die Aussage damit hinfällig.

Dass das Ganze gleichzeitig noch ganz andere Reize enthielt und enthält, ist dabei auch eher nebensächlich. Denn bspw. der Reiz des «Unerlaubten», des «Entdeckt-werdens», den gibt es auf der Seite der Heterosexuellen (auch ich verwende diese Begriffe weiter so, wie sie fälschlich nun mal vorliegen) ganz genau so – denn trieben und treiben es auf die gleiche Weise, auch wenn sie nicht ganz so die Notwendigkeit dafür hatten.

Womit wir bei dem Unsinn der «Hetero-/Homo-Normativität» wären. Die gibt es nicht, alle Seiten reden sie sich nur gerne ein. Dabei ist lediglich die Diskussion darum ein Ausdruck der Sozialisierung, echte Unterschiede gibt es nicht. Die «Formatierung» wird gerne mal auf der einen oder anderen Seite unterschiedlich vorgenommen, der Inhalt ist jedoch letztlich der gleiche, da wir alle Menschen auf dem selben Spektrum sind.

Wer schon mal Kirmes- oder Karnevalsaktivitäten in kleineren Ortschaften erlebt hat, der weiss, dass da vieles läuft – worüber nur keiner spricht. Und dass viele zwischen Mitte November und Mitte Dezember Geborene nicht unbedingt ihren leiblichen Vater kennen. Nehmen wir dann noch dazu die Existenz des «Ältesten Gewerbes der Welt» – lediglich die Rahmenbedingungen und die Darstellung nach Aussen waren andere, was bei den Heteros ablief und abläuft, unterscheidet sich in nahezu nichts von der anderen Laufrichtung des Spektrums.

Und somit sind auch die Problematiken in den Zweier-Beziehungen, die Fragen bzgl. Liebe und Sex und Abgrenzung usw., die gleichen. Sex ist Sex, eine erstmal nur körperliche Aktivität. Und Liebe ist Liebe, eine völlig unkörperliche Sache. Beide haben und bilden jedoch oft eine Schnittmenge, mal grösser, mal kleiner, und im Laufe der Zeit sich auch verändernd.


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So ist Monogamie die Annahme, dass beide Kreise immer komplett deckungsgleich übereinander liegen müssen – was ein immenses Mass an Arbeit erfordert. Und oftmals ein Trugschluss ist, allein schon durch die Existenz eben des Ältesten Gewerbes belegbar. Da kommt das Jonglieren der beiden Kreise, mit ab und an auftretenden Schnittmengen, aber auch mal komplett existierender Eigenständigkeit eben beider Elemente, dem, was uns die Natur da mitgegeben hat, schon näher.
Dazu braucht es aber die Erkenntnis und Akzeptanz, dass Sex und Liebe eben wirklich zwei verschiedene Dinge sind. Und das «Fremdgehen» somit nur auf der emotionalen Ebene passieren kann, nicht auf der körperlichen.

Diese Erkenntnis braucht eine Loslösung von den falschen Begrifflichkeiten und der Verquickung der beiden eigenständigen Elemente «Sex» und «Liebe», eine Eigenerfahrung, um sich auf dem Spektrum verorten zu können, und in einer Partnerschaft egal welcher Ausprägung dann eben auch einer offenen Kommunikation.

Ich vermute, das ist es, wo Bobby Box mit seinem Label «fraysexuell» hinwollte, es aber nicht gut genug ausdrücken konnte. Im Gegenzug dann leicht unreflektiert bisheriges Verhalten (Altbekanntes) und in ihrem Wording (weil traditionell fehlbelegt) schon leicht zweifelhafte Buchwerke dagegen zu stellen, tut der Sache dann auch nicht gut. In keiner Richtung. Auch hier: ein Schuss ins eigene Bein.

Schneller anonymer Sex in Parks, Cruising, Darkrooms ist wie Selbstbefriedigung unter Zuhilfenahme eines anderen Körpers.

Ich für meinen Teil habe über und für mich erkannt, dass ich meine Kreise gerne sehr sauber getrennt halte. Das «Altbekannte», also schneller anonymer Sex in Parks, Cruising, Darkrooms – alles ausprobiert, ist nicht mein Fall, eher wie Selbstbefriedigung unter Zuhilfenahme eines anderen Körpers. Gleichzeitig weiss ich, dass ich in einer Beziehung und auch in engen Freundschaften («Friends with Benefits») nicht wirklich sexuelles Interesse habe oder haben könnte, insbesondere langfristig (die Schnittmenge in einer Beziehung wird kleiner) – Gespräche über Wohnungseinrichtung, Versicherungen, Shopping im Supermarkt, wer das Bad putzen muss etc … Alles Bestandteile einer gemeinsamen Lebensführung, aber irgendwie unsexy. Und den (in meinen Augen) leicht schizophrenen Schwenk in genau diesem Rahmen finde ich etwas schwierig und stressig.

Mit Fuck-Buddies wiederum, auch wenn ich sie als Person mag (was ein gewisses Muss ist) und ihre Namen kenne, würde ich nie was Trinken gehen, keinerlei andere Aktivitäten ausser eben dieser Körperlichkeit. Wie ein Laufpartner beim Jogging. Ein Mannschaftsmitglied beim Volleyball.

Und so halte ich meine Kreise recht sauber getrennt. Über meine Arbeitskollegen will ich nichts Privates wissen und unternehme mit denen auch sonst nichts. Freunde sind Freunde aufgrund von Gemeinsamkeiten, Geschichte, Reflexion und Rückmeldung. Meine Liebesbeziehung ist meine Liebe. Und meine Sexpartner sind meine Sexpartner. Alles hübsch überschaubar und irgendwie sauber getrennt (wenig Schnittmengen). So, wie ich halt am besten funktioniere. Für mich. Nicht in der Erwartungswelt der anderen.

Und so ich glaube, das ist das, was ich als «Fraysexuality» bezeichnen würde, denn die geschilderte Idee trifft es dann doch irgendwie. Auch wenn ich dem weder ein neues Label verpasst hätte, noch hätte ich es leicht verkrampft mit «Altbekanntem» gleichsetzen wollen.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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