Das Sterben der Lesbenbars – eine Spurensuche

Es ist kompliziert

Liva Tresch fotografierte in den Sechzigerjahren das lesbische Nachtleben Zürichs, hier an einem Fasnachtsball (Karneval). (Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)
Liva Tresch fotografierte in den Sechzigerjahren das lesbische Nachtleben Zürichs, hier an einem Fasnachtsball (Karneval). (Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)

Warum gibt es eigentlich so wenige Lesbenbars? An mangelnder Lust auf Begegnungen und Feiern liegt es nicht. Eine Zürcher Spurensuche durch Unsichtbarkeit, Hinterzimmer und jahrzehntelange Zuversicht.

In der Zeichentrickserie «The Simpsons» gibt es eine Szene, in der eine Bar zu sehen ist, über der zwei Venus-Leuchtsignale blinken. «She She Lounge», steht dort, und daraufhin sieht man Homer Simpson in einem Lokal sitzen, das ausser ihm ausschliesslich Frauen beherbergt. «Moment mal. Etwas an diesem Ort stört mich», sagt er, während im Hintergrund Technomusik läuft und neben ihm zwei Frauen am Tresen miteinander flirten. «Jetzt weiss ich’s!», ruft Homer dann schockiert, «diese Lesbenbar hat keinen Notausgang!» Entrüstet verlässt er die Bar. Zwei Frauen sehen ihm hinterher, und die eine sagt zur anderen: «Was hat die denn für ein Problem?»

Die Folge stammt aus dem Jahr 1994. Seither musste so manche Lesbenbar den Notausgang nehmen: Viele Lokalitäten, die frauenliebenden Frauen vorbehalten waren, gibt es heute nicht mehr. Das Phänomen der «sterbenden Lesbenbars» ist nicht erst seit Covid bekannt, wobei die Pandemie die problematische Lage natürlich verstärkt. So oder so: Warum sterben Lesbenbars? Wo gibt es noch welche? Worauf können wir hoffen – oder sind Lesbenbars gar obsolet?

9000 statt 250 Euro Recherchiert man zu Lesbenbars, merkt man vor allem eines: Es ist nicht so eindeutig. Während schwule Lokale oft im klassischen Sinn Bars und Clubs sind, die mehrmals wöchentlich offen sind, gestaltet sich das im Fall von Lesbenbars deutlich uneindeutiger. In den USA ist die Zahl seit den Achtzigern von 200 auf 15 geschrumpft, über den europäischen oder spezifisch den deutschsprachigen Raum sind Zahlen nur schwer verfügbar. Eine eindrückliche Zahl ist diese hier: Die wohl älteste noch existierende Lesbenbar wird diesen September 50 Jahre alt. Sie liegt in Frankfurt: La Gata, noch eingerichtet wie in den Siebzigern, mit Wurlitzer, Zigarrettenqualm und Butch/Femme-Erotik. Erschaffen wurde sie von Erika Wild, Ricky genannt, die mit 83 Jahren noch immer hinter der Bar steht. Als das La Gata covidbedingt auf der Kippe stand, wurde ein Crowdfunding gestartet (MANNSCHAFT berichtete). Mindestens einen Mietzuschuss von 250 Euro erhofften sie sich. Gespendet wurden über 9000 Euro.

Es gibt kaum Forschung, oft bleiben nur die Erinnerungen von älteren Frauen.

La Gata mag eine der wenigen Bars für lesbische, bisexuelle und queere Frauen sein, die schon seit Jahrzehnten überleben. Das heisst aber nicht, dass es im deutschsprachigen Raum nicht eine Vielzahl an Lesbenbars gegeben hätte. «Das Problem ist, dass es kaum Forschung gibt, oft bleiben nur die Erinnerungen von älteren Frauen», sagt die Historikerin Corinne Rufli. «Viel weiss man jedoch über die Damenklubszene in Berlin der Zwanzigerjahre. Da war derart viel los, dass die Lokale gar subkulturspezifisch waren: Eine Bar für frauenliebende Künstlerinnen, eine andere für Arbeiterinnen, eine für ‹Bubi› und ‹Dame› und dazu noch etliche Lesbenzeitschriften . . . die Vielfalt war gross.»

Während in Berlin die Bärin steppte, waren Lesbenbars in kleineren deutschsprachigen Städten noch in weiter Ferne. «Der Zürcher Damenclub Amicitia, der 1931 gegründet wurde, organisierte zwar Treffpunkte, aber die waren meist vereinsintern», so Rufli. Erst in den Fünfzigerjahren wuchs die Zahl öffentlich zugänglicher Räume, wo frauenliebende Frauen willkommen waren.

«In Zürich besuchten frauenliebende Frauen häufig Orte, von denen man einfach wusste, dass andere Lesben ebenfalls dort verkehrten. Manche Zürcher Schwulenbars, wie der Barfüsser, hatten eine Ecke, an der Lesben sich trafen, in anderen Lokalen wiederum trafen sich frauenliebende Frauen beispielsweise jeden Mittwochabend in einem Hinterzimmer eines Restaurants», so Rufli, die in ihrer Dissertation zur Schweizer Lesbengeschichte forscht. Vor allem während des Zweiten Weltkriegs waren private Initiativen, bei Privatpersonen zuhause, die sicherste Variante. Hier zeigt sich auch die Krux mit der Definition von «Lesbenbar»: Dass darunter automatisch eine traditionelle Bar zu verstehen ist, ist ein Trugschluss.

Wenn frauenliebende Frauen sich in einer Lokalität treffen, offiziell oder inoffiziell, kann im historischen oder auch im modernen Sinn bereits von einer Lesbenbar gesprochen werden. «Bar» meint dann mehr den Anlass. An manchen Orten dürfte es also nicht weniger Lesbenbars als Schwulenbars geben; sie sind einfach weniger öffentlich und damit weniger sichtbar.

(Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)
(Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)

Wie so oft, wenn es um lesbische Sichtbarkeit geht, ist auch die Angelegenheit der Lesbenbars komplex: Solange diese inoffiziell, geheim, für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, boten sie eine schützende Anonymität. Einzelne Lokale und Anlässe verlangten, dass man auf einer Liste eingetragen war, von einer Person eingeladen wurde, damit die lesbische Glaubwürdigkeit abgesegnet war. Das brachte die zusätzliche Sicherheit, die Frauen im Nachtleben sonst verwehrt bleibt und für so manche Ungeoutete Voraussetzung war. Gleichzeitig erschwerte diese Unsichtbarkeit den Zugang zur Gemeinschaft.

Die Lesbenforscherin Ilse Kokula schreibt dazu: «Die lesbische Bar hatte im Prozess des Sichtbarwerdens lesbischer Existenz bisher die bedeutendste Funktion. Sie war der Ort, an dem eine Frau sicher sein konnte, andere lesbische Frauen zu treffen, ein Ort, an dem sie sich nicht verbergen musste.» War die Bar hingegen zu sichtbar, lauerten mitunter Männer mit anzüglichen Sprüchen vor dem Eingang. Verlegt frau ihr Lesbischsein ins Nachtleben, droht die Fetischisierung von aussen – früher wie heute.

Eine Frage des Geldes – und der Ehre Dass Frauen im vergangenen Jahrhundert gar nicht so schnell in die queeren Bars rannten, liegt auch an der Geschichte der Bars. «Für Männer gehörten Kneipen, Restaurants, Bars schon viel früher zum Alltag. Bars waren Orte für Männer und anrüchige Gestalten», erläutert Rufli. «Die Bar als schummriger Ort an einer dunklen Strassenecke galt als verrucht und gefährlich. Für viele frauenliebende Frauen kam ein Besuch gar nicht infrage – oder aber sie wussten schlicht nichts von ihnen, weil es Mitte des 20. Jahrhunderts an Kanälen fehlte, die darüber informiert hätten. Viele Frauen wohnten auch einfach zu weit weg oder hatten einfach kein Geld.»

Kein Geld für die Lesbenbar: Auch heute noch wird dieser Aspekt oft aufgeführt, wenn man nach Erklärungen für das Barsterben sucht. Frauen haben schlicht weniger Einkommen als Männer. Das Konsumverhalten ist – traurigen Alkohol­statistiken zum Trotz – oft zurückhaltender an der Bar, was Frauen zu weniger lukrativen Gästen macht. Und: Wer Gleichgesinnte in einer Lesbenbar sucht, ist oftmals alleine unterwegs. Sich alleine in eine Bar zu begeben, birgt für Frauen oftmals mehr Risiko und Unsicherheit als für Männer.

(Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)
(Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)

Viele Lesbenräume, im politischen wie auch im räumlichen Sinne, fanden innerhalb der Frauenbewegung statt. Auch deshalb sind sie oft weniger gut sicht- und erforschbar. «Es gab in den Siebzigerjahren politisch aktive Lesben», so Rufli, «die bewusst in die queeren Bars gegangen sind, um dortige sogenannte Milieufrauen zu politisieren.» Aus der Kneipe in den Aktivismus. Aus dem Versteck ins Öffentliche.

«Ohne die Frage, ob wir Schwestern sind» Mit der Digitalisierung und neuen Formen des Kennenlernens verschwanden viele queere Projekte; nicht nur, aber auch Lesbenbars. Viele Frauen waren müde von der Eigeninitiative; im Gegensatz zu vielen Schwulenbars, die sich rentierten, war die Arbeit an lesbischen Anlässen oft ehrenamtlich. Das hat während den Nullerjahren vielerorts zu einem Community-Einbruch geführt – aber: lesbische Anlässe, Orte und Projekte haben nie aufgehört, neu zu entstehen.

Ein Beispiel dafür ist «a.part», die 2007 als samstäglicher Barabend in Zürich begann. Das Paar Mireille Humbert und Fabienne Matter führen «a.part» noch heute, und das Projekt ist gewachsen: Was einmal wöchentlich startete, ist mittlerweile ein ganzes Theater mit Bar, das nach der Pandemie mehrere Frauenabende pro Woche durchführen will, inklusive kulturellem Programm. Humbert und Matter spürten, dass das Interesse gross war und ist. «Manche Frauen kommen seit Eröffnung der Bar», berichtet Matter, «wir nehmen eine starke Solidarität mit der «a.part» wahr. Gleichzeitig sind die Generationen gemischt, zu unserer Freude kommen Leute von 30 bis 70.»

Die Stimmung an einem Frauenanlass ist unvergleichbar.

Im Frühjahr 2020 fand in der «a.part» selbst ein Abend statt, der Lesbenbars aus historischer Perspektive beleuchtete, organisiert vom Sappho-Verein, dem auch Corinne Rufli vorsteht. Eine der damaligen Haupterkenntnisse: Die genannten Gründe, warum frauenliebende Frauen gern unter sich sind, bleiben bis heute gleich. Wer als Frau auf Frauen steht, möchte in Ausgehsituationen sich selbst sein können, ohne dafür von Männern angemacht zu werden. «Ohne dass meine Partnerin und ich uns die Frage anhören müssen, ob wir Schwestern seien», hiess es damals am Anlass. Hinzu kommt das Phänomen, dass geschlechterdurchmischte queere Anlässe oft in einen deutlichen Männerüberschuss münden, der nicht allen Geschlechtern gleich angenehm ist. «Das führt zu Unsichtbarkeit an queeren Partys», schildert Matter, «und ist mit ein Grund, warum wir uns bewusst entschieden haben, eine Lokalität für vorwiegend Frauen aufzubauen. Das heisst nicht, dass ein schwuler Kumpel nicht willkommen ist. Sondern dass eine Gruppe, die sonst oft die Ausnahme bildet, in der Mehrheit ist: lesbische, bisexuelle und queere Frauen.»

Ohnehin, findet Matter, gibt es dieser Tage zu wenige Orte, an denen Frauen im sicheren Rahmen unter sich sein können. «Das erste Mal an eine Frauenparty zu gehen», erinnert sie sich, «war das Geilste! Und ich selbst hab eigentlich nicht mal wahnsinnig gern Partys. Aber die Stimmung an einem Frauenanlass ist unvergleichbar.»

(Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)
(Bild: Liva Tresch/Schweizerisches Sozialarchiv)

Es fehlt an Ressourcen und Sichtbarkeit Beim Blick zurück wie auch in die Gegenwart sehen wir: Das Bedürfnis nach Lesbenbars ist ungebrochen; andernfalls würden keine Tausende von Euros gecrowdfundet werden, hätten keine existierenden Projekte Bestand. Vielmehr unterliegen Lesbenbars denjenigen strukturellen Problemen, die Lesben schon jahrhundertelang begleiten: fehlenden Ressourcen, fehlender Sichtbarkeit und ein patriarchales Gesellschaftssystem.

Übrigens: Ursprünglich hätte am Anfang dieses Artikels eine andere Serien-szene beschrieben werden sollen. Eine junge Frau besucht zum ersten Mal eine Lesbenbar, wo sie mit Abstand die Jüngste und Nervöseste ist. Dort trifft sie unerwartet auf ihre Lehrerin und outet sich stotternd. Die Frauen in der Bar, hinter und vor dem Tresen, lassen daraufhin fröhliche Musik laufen, zusammen mit der Lehrerin begrüssen sie die junge Frau in ihrer Gemeinschaft. Die Szene ist ermutigend, bestärkend – aber wenn man mit Stichworten danach sucht im Internet, werden einem stattdessen Pornos angezeigt. Es sagt viel aus darüber, welchen Platz Lesbenbars eingeräumt wird. Und welchen sie sich wieder erobern müssen.

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