Das säkulare Jahrzehnt: Wie sich Deutschland verändern wird
Unter anderem soll bis 2032 das kirchliche Arbeitsrecht fallen, das Schwule und Lesben diskriminiert
2022 wird der Bevölkerungsanteil der Katholiken und Protestanten erstmals unter 50 Prozent fallen, spätestens 2032 werden die konfessionsfreien Menschen die absolute Mehrheit in Deutschland stellen. In seiner Neujahrsansprache hat der Vorstandssprecher der evolutionär-humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, ausgeführt, welche politischen Veränderungen mit diesem gesellschaftlichen Wandel einhergehen sollten.
In den letzten 150 Jahren hat sich der Bevölkerungsanteil der Konfessionsfreien vervierzigfacht und der Anteil der Katholiken und Protestanten halbiert. Wie Schmidt-Salomon in seiner Ansprache betonte, hat mit Olaf Scholz erstmals in der deutschen Geschichte ein Konfessionsfreier die Regierungsverantwortung übernommen und haben fast die Hälfte der Kabinettsmitglieder auf die traditionelle Gottesformel bei der Vereidigung ins Amt verzichtet.
Diese «neue Säkularität der verantwortlichen Politikerinnen und Politiker» äussere sich, so der gbs-Sprecher, auch in dem Koalitionsvertrag, den SPD, FDP und Grüne ausgehandelt haben, etwa in der Streichung des umstrittenen §219a (die sogenannte «Werbung für den Schwangerschaftsabbruch») aus dem Strafgesetzbuch. (MANNSCHAFT berichtete über Ex-Kulturstaatsministerin Grütters, die im Oktober von der katholischen Kirche mehr Respekt für Homosexuelle forderte.)
«Von der Wiege bis zur Bahre» Diese Streichung sei ein wichtiger erster Schritt, meinte Schmidt-Salomon, aber er dürfe keineswegs der letzte sein. Denn die Bandbreite der religiös begründeten Gesetze, welche die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger unzulässig einschränkten, reichten «von der Wiege bis zur Bahre, ja sogar darüber hinaus, nämlich vom sogenannten Embryonenschutz, der zur Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs geführt hat, bis hin zum Friedhofszwang, der uns verbietet, die Asche unserer Verstorbenen im eigenen Garten zu verstreuen».
Derartige Gesetze müssten in den nächsten Jahren fallen, forderte der Stiftungssprecher: «Denn warum auch sollte sich eine konfessionsfreie Mehrheit weiterhin Gesetzen unterwerfen, die von überkommenen religiösen Dogmen bestimmt sind?!»
Es bestehe Hoffnung, dass die neue Bundesregierung «die historische Chance zu einer neuen, säkularen Rechtspolitik» ergreife, allerdings werde dieses Projekt «kein Selbstläufer» sein. Es brauche gesellschaftlichen Druck, damit sich die Dinge ändern, nötig sei nun vor allem «eine starke säkulare Lobbyorganisation, die den Politikerinnen und Politikern auf den Füssen steht und sie daran, erinnert, dass die Mehrheit der Deutschen – ob konfessionsfrei oder nicht – längst schon ein Leben jenseits religiöser Gängelungen führen will». Im Rahmen des Schwerpunktthemas «Das säkulare Jahrzehnt» werde die Giordano-Bruno-Stiftung die Etablierung einer solchen Lobbyorganisation mit ihren Mitteln massgeblich unterstützen, nämlich den Aufbau des «Zentralrats der Konfessionsfreien», der sich 2022 erstmals der Öffentlichkeit präsentieren wird. (MANNSCHAFT berichtete über den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, der eine «fundamentale Störung des Vertrauens gegenüber der Kirche» eingräumte.)
«Das kirchliche Arbeitsrecht muss fallen» Bis 2032, also bis zum Ende dieses ersten säkularen Jahrzehnts, will Schmidt-Salomon einiges erreicht haben: «So sollte die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bis 2032 Geschichte sein. 150 Jahre lang hat die Frauen-Bewegung gegen diese Kriminalisierung gekämpft, wir wollen alles daransetzen, dass es am Ende keine 160 oder noch mehr Jahre sein müssen. Fallen sollten natürlich auch die historischen Staatsleistungen, die seit über 100 Jahren verfassungswidriger Weise an die Kirchen gezahlt werden. Ebenso fallen muss das kirchliche Arbeitsrecht, das nicht nur Konfessionsfreie, sondern auch Juden und Muslime, Schwule und Lesben diskriminiert.» (MANNSCHAFT berichtete über die viel kritisierte Sexualmoral der Kirche.)
Am Schluss seiner Neujahrsansprache stellte der gbs-Vorstandssprecher klar, dass das Schwerpunktthema «Das säkulare Jahrzehnt» zwar eine «Kampfansage an die herrschenden Rechtsverhältnisse» sei, keineswegs aber eine «Kampfansage an Gläubige»: «Wir wissen sehr wohl, dass es in den Kirchen viele Menschen gibt, die die Dinge ähnlich sehen wie wir. Auch sie wollen in einer offenen Gesellschaft leben, in der niemand aufgrund seines Glaubens oder Unglaubens privilegiert oder diskriminiert wird.»
Diese säkulare Haltung werde auch wichtig sein, um der Herausforderung des politischen Islam zu begegnen: «Denn der moderne Rechtsstaat kann Muslimen nicht verwehren, was er Christinnen und Christen gewährt. Wer also nicht will, dass die Muslimbrüder in die Lage versetzt werden, religiöse Sonderrechte für ihre Propaganda-Zwecke auszunutzen, darf diese Möglichkeit auch den christlichen Kirchen nicht einräumen.» Insofern sei der «Einsatz für den weltanschaulich neutralen Staat» zugleich auch ein «Einsatz zur Verteidigung der offenen Gesellschaft gegen ihre wiedererstarkten Feinde».
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