Das Erbe Trumps: Hälfte aller queeren US-Jugendlichen dachte an Selbstmord
Das Trevor Project hat eine grossangelegte Umfrage gestartet, wie es um die geistige Gesundheit von jungen queeren Amerikaner*innen nach vier Jahren Donald Trump steht
Wie geht es LGBTIQ-Jugendlichen in den USA nach vier Jahren Donald Trump und seiner unerbittlichen Kampagne der rechtlichen Ausgrenzung von queeren Menschen? Das hat The Trevor Project in einer Umfrage mit 35.000 Teilnehmer*innen im Alter zwischen 13 und 24 Jahren untersucht. Die Ergebnisse sind schockierend.
Aus dieser dritten und grössten jemals durchgeführten Umfragen des 1998 gegründeten Trevor Project zur geistigen Gesundheit von LGBTIQ-Jugendlichen in den USA geht hervor, dass fast die Hälfte aller Teilnehmer*innen im vergangenen Jahr mindestens einmal über Selbstmord nachgedacht hätten. Bei trans und nichtbinären Jugendlichen war es sogar mehr als die Hälfte.
Mehr als neun von zehn Befragten gaben an, dass die politischen Entwicklungen der letzten Jahre einen negativen Einfluss auf ihre geistige Gesundheit gehabt hätten. Denn: «Die Trump-Administration hat eine rekordverdächtige Anzahl von Anti-LGBTIQ-Gesetzen verabschiedet und im ganzen Land durchgesetzt», erinnert das Nachrichtenportal LGBQNation.com.
«Man kann das als eine Welle nach der anderen sehen, die immer grösser und grösser wurde, bis es sich für viele LGBTIQ-Jugendliche anfühlte, als sei alles einfach zu viel», sagt Sam Brinton, der für die Beobachtung der US-Regierung zuständige Mitarbeiter beim Trevor Project, im Gespräch mit dem Nachrichtenportal The Hill. (MANNSCHAFT berichtete über die Zunahme von Hassverbrechen gegen LGBTIQ unter Trump.)
Grösste rund-um-die-Uhr Telefonseelsorge der Welt Das Trevor Project ist eine amerikanische non-profit Organisation und betreibt die weltweit grösste rund-um-die-Uhr Krisen- und Suizid-Telefonseelsorge für jugendliche LGBTIQ. Die aktuelle Umfrage setzte besonders aus Diversity. Die Organisatoren betonen, dass 45 Prozent der Teilnehmer*innen LGBTIQ Youth of Color gewesen seien, 38 Prozent trans oder nichtbinär, heisst es.
Die Statistik ist unterteilt nach ethnischen Gruppen. Demnach hätten afro-amerikanische bzw. Jugendliche aus Latino- oder Native-American-Communities öfter über Selbstmord nachgedacht als Jugendliche, die als «weiss», «asiatisch» oder «Pacific Islander» bezeichnet werden.
12 Prozent der weissen und asiatischen LGBTIQ-Jugendlichen versuchten im Zeitraum 2020/2021 sich umzubringen. Demgegenüber versuchten dies 31 Prozent der befragten queeren indigenen Jugendlichen, 21 Prozent der befragten Afro-Amerikaner*innen und 18 Prozent der Jugendlichen mit lateinamerikanischen Wurzeln.
Doch damit nicht genug. 75 Prozent aller Befragten gaben an, dass sie in ihrem Leben mindestens einmal Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erfahren hätten. Wobei nicht spezifiziert wird, wie genau diese Diskriminierung aussah – ein Punkt, der in Zeiten von «Generation beleidigt» (wie Caroline Fourest ihr jüngstes Buch nennt) nicht unwichtig wäre. Denn natürlich ist das Spektrum von möglichen Formen der Ausgrenzung enorm, was nicht heissen soll, dass Mikroaggressionen nicht verheerende Auswirkungen auf die geistige Gesundheit hätten.
Bei den LGBTIQ Youth of Color gab die Hälfte an, im vergangenen Jahr zusätzlich aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert worden zu sein, besonders hoch lagen die Zahlen bei afro-amerikanischen Jugendlichen (67 Prozent) und asiatischen bzw. Pacific-Islander-Jugendlichen (60 Prozent).
Der zusätzliche Corona-Effekt Die Covid-19-Situation in den Jahren 2020/21 habe einen besonders dramatischen Effekt auf LGBTIQ-Jugendliche gehabt, heisst es. Weil viele von ihnen Zugang zu sogenannten Safe Spaces verloren hätten und Räume in Schulen, Bildungsprogrammen und LGBTIQ-Zentren für sie verschlossen blieben, in denen sie sich frei(er) bewegen können.
Auch wenn Konversionstherapien in etlichen US-Bundesstaaten verboten sind, gaben 13 Prozent der befragten Jugendlichen an, im vergangenen Jahr trotzdem zu einer solchen Therapie genötigt worden zu sein. 83 Prozent dieser Gruppe sei zum Therapiezeitpunkt unter 18 Jahre alt gewesen, heisst es.
Es gab allerdings auch positive Ergebnisse bei der jüngsten Umfrage, die sich besonders auf trans und nichtbinäre Jugendliche beziehen: So sagten die Teilnehmer*innen, dass sich ihre Selbstmordgedanken drastisch verändert hätten, als ihre richtige Identität endlich respektiert wurde, entweder durch korrekte Anwendung von Personalpronomen oder Änderung des Namens in Dokumenten, inkl. Geburtsurkunden.
In Bezug auf soziale Medien gaben die meisten Teilnehmer*innen an, dass die entsprechenden Plattformen sowohl einen positiven wie negativen Effekte auf ihre geistige Gesundheit hätten.
Der CEO des Trevor Project, Amit Paley, betont: «Jugendliche in ihrer Geschlechtidentität zu bestätigen, lässt sich unmittelbar in Verbindung setzen zu niedrigerer Selbstmordgefahr. Deshalb sollten wir unterstützende Massnahmen einführen, die trans Jugendlichen Zugang zu unterstützenden Räumen und Hilfsangeboten [affirming spaces and care] sichern.»
Die Folgen von Beleidigung und Mobbing Sein Kollege Brinton ergänzt, dass es «ermüdend» bzw. «erschöpfend» sei, «andauernd darüber diskutieren zu müssen, dass andere über deine Persönlichkeitsrechte abstimmen». Manchmal sei es auch wünschenswert, einfach darüber zu sprechen, wie schwierig Mathematikhausaufgaben sind, statt immer auf Punkten wie Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung als Problemen herumzureiten.
Wozu eine solche ununterbrochene Problematisierung führen kann – verbunden mit permanenten homophoben Beleidigungen – zeigte kürzlich der Fall des 12-jährigen Riley Hadley in Grossbritannien. Er wurde von seinen Schulkamerad*innen so stark gemobbt, dass er nach den Sommerferien 2019 nicht zur Schule zurückkehrte, sondern zuhause unterrichtet wurde. Als er nun wieder in den regulären Schulbetrieb integriert werden sollte, sprach er bei einem Arzttermin von seiner Angst vor den Klassenkamerad*innen. Anschliessend schickte er einem Freund die Textnachricht. «Ich muss zurück zur Schule.» Als seine Mutter am gleichen Tag nachhause kam, fand die den leblosen Körper ihres Sohns im Kinderzimmer. Der Fall machte in Grossbritannien Schlagzeilen.
Im UK haben laut jüngsten Umfragen 68 Prozent der LGBTIQ-Jugendlichen Selbstmordgedanken, im Vergleich zu «nur» 29 Prozent der übrigen jungen Menschen. Nach britischer Statistik sind es vor allem lesbische (74 Prozent) und trans (77 Prozent) Jugendliche, die Selbstmordgedanken hegten. Und: Queere schwarze Jugendliche haben ein fast dreimal so hohes Selbstmordrisiko (89 Prozent) wie nicht-LGBTIQ schwarze Jugendliche.
Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.
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