Blockierte Züge und bittere Tränen – Wiener Lesbengruppe wird 40
Ein Rückblick auf bewegte und bewegende vier Jahrzehnte
Vor 40 Jahren wurde die Wiener Lesbengruppe als Arbeitsgruppe in der HOSI gegründet. Das wird gefeiert – mit einem Buch, einer Ausstellung und der Erinnerung an viele Aktionen.
Heutzutage ist es kaum vorstellbar, dass Lesben nicht von Anfang an in der Homosexuellen Initiative Wien organisiert waren, heisst im Vorwort von «Sichtbar – 40 Jahre HOSI-Wien-Lesben*gruppe», das die Kunsthistorikerin, Ausstellungskuratorin und Journalistin Petra M. Springer (im Titelbild die dritte von rechts) und die langjährige Lesbenreferentin Barbara Fröhlich (ganz links im Bild) zum Jubiläum herausgeben.
Es war im Jahr 1979, als die Homosexuelle Initiative Wien gegründet wurde. Das ging damals auf eine Kleinanzeige im Falter zurück. Ab Juni 1979 gab es wöchentliche Treffen, ab Juli erschienen die Warmen Blätter als Vorläufer der heutigen Lambda-Nachrichten. Dort wie auch wiederum im Falter wurden entsprechende Inserate für die Gründung einer Lesbengruppe geschaltet. Die Reaktionen waren teils skurril: So sandte eine Lesbe Aktfotos ein, ein Mann, der sich meldete, wollte lesbischen Urin trinken. Einige Schwule fanden, Lesbenthemen hätten in den Lambda-Nachrichten bitteschön nichts zu suchen.
Zum ersten Treffen kamen sechs Frauen ins HOSI-Zentrum, damals noch in der Wiener Novaragasse. Am 4. November 1981 wurde in der HOSI die Lesbengruppe von Doris Hauberger und Helga Pangratz ins Leben gerufen. Im Dezember folgte der erste öffentliche Auftritt der Gruppe im Volkstheaterstudio. Dort gab es eine Woche vor Weihnachten eine Diskussion mit Darstellerinnen, Regisseur und Publikum zu «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» von R. W. Fassbinder. Im Februar 1982 besuchten schon über 150 Frauen das Lesbengschnas im HOSI-Zentrum.
Von einer spektakulären Aktion erzählt Petra: Angestiftet durch die HOSI-Teilnehmer*innen bei einer ILGA-Konferenz in Amsterdam blockierten an Silvester 1988 rund 30 Aktivist*innen am Amsterdamer Hauptbahnhof den Nachtzug nach Wien. Einige Demonstrant*innen stellten sich vor dem Zug aufs Gleis, mit Spruchbändern in niederländischer und deutscher Sprache, auf denen u. a. zu lesen war: «Weg mit den anti-homosexuellen Gesetzen in Österreich!» Zwei Personen, darunter die Aktivistin Sissi Swoboda, ketteten sich mit Handschellen an eine Waggontür.
Von lesbischer Sichtbarkeit konnte man auch damals nur träumen: Im Februar 1988 wollte ein Zusammenschluss von 18 Wiener Frauen- und Lesbengruppen über die Werbegesellschaft GEWISTA auf den äusseren Werbeflächen der Strassenbahnen Slogans schalten, um auf die Situation von Frauen in der Gesellschaft aufmerksam zu machen: «Macht macht Frauen stark», «Die Zukunft ist weiblich oder gar nicht» und «Lesben sind immer und überall». Tafeln mit den ersten beiden Sprüchen fuhren im März 1988 durch Wien, der dritte wurde verweigert.
«Man fürchtete, dass die Frauen, die unter Plakaten mit dem Slogan ‚Lesben sind immer und überall‘ sitzen, glauben, dass sie lesbisch sind – abstrus!», erzählt Petra. Die HOSI zog daraufhin vor Gericht: Die Verkehrsbetriebe verloren den Prozess, aber aufgehängt haben sie den Spruch nicht. «Unglaublich», finden Petra und Barbara heute noch.
Am 30. Juni 1989 fand die Aktion Standesamt statt – 30 Jahre vor der Eheöffnung in Österreich (MANNSCHAFT berichtete). Damals im Sommer 1989 heirateten ein lesbisches und ein schwules Paar symbolisch im Rahmen der «Warmen Woche» nach einem Hochzeitsumzug durch die Wiener Innenstadt am Graben. Die Aktion gilt als die weltweite Urmutter aller «Aktionen Standesamt» – in Deutschland dauert es noch bis August 1992, als lesbische und schwule Paare die Standesämter stürmten.
Das mit der lesbischen Sichtbarkeit hat man ordentlich vorangetrieben. Seit 2017 ist die Lesbengruppe mit eigenem Truck bei der Regenbogenparade dabei, der alte Pritschenwagen, auf dem man früher mitfuhr, ist ausrangiert.
Nun steht der 40. Geburtstag der Lesbengruppe an. Gefeiert wird am Samstag im Gugg. Dann wird auch die Ausstellung «Sichtbar» mit zahlreichen historischen Fotografien, die die Geschichte der HOSI-Lesben von ihren Anfängen bis heute zeigen. Zum Fotoprojekt von Petra Paul gehören etliche zeitgenössische Fotografinnen, darunter Alice Moe Anouk Erik, Krista Beinstein, Magaly Cureau und Sabine Schwaighofer. Des weiteren findet die Buchpräsentation von «Sichtbar» statt.
Über die vielen Jahren haben sich die Kämpfe teilweise verändert, einige wurden gewonnen, viele sind noch immer relevant. Österreich blickt auf eine lange und dunkle Geschichte von Diskriminierung bis hin zur Verfolgung lesbischer Frauen zurück – als eins der wenigen Länder, in denen weibliche Homosexualität kriminalisiert war. Dazu kommt ein stark konservatives Frauenbild, das in vielen Köpfen bis heute vorherrscht.
Immer mitwochs ist Lesbenabend im Gugg, dem Café und Vereinszentrum der HOSI Wien. Einen Raum zum Austauschen, Vernetzen, aber auch zum Politisieren will man aufrechthalten. Denn auch in Wien gibt es viel zu wenige Orte dieser Art, und leider sind immer noch nicht alle offen für trans Frauen.
Trans Frauen willkommen – Wir schauen nicht unter den Rock!
Was man von der Lesben*gruppe aber nicht sagen kann: Die heisst schon lange trans Frauen in ihrer Mitte willkommen, erklärt Barbara nicht ohne Stolz – egal, an welchem Punkt ihrer Transition die Frauen sind. Denn: «Wir schauen nicht unter den Rock!»
Sie waren die erste transinklusive Lesbengruppe in Europa, sagt Barbara, die knapp 20 Jahre lang Referentin der Lesben*gruppe war, bis 2015. Die Öffnung für trans Frauen liegt so lange zurück, dass Barba ihre Frau anrufen muss, um nachzufragen. Mitte der 90er Jahre, lautet die Antwort. Widerstände habe es von den Mitgliedern der Lesbengruppe übrigens keine gegeben, sagt Barbara.
Zu tun und zu kämpfen gibt es auch nach 40 Jahren noch genug. Für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der queeren Bewegung, gegen Sexismus in queeren Räumen. Aber jetzt am Samstag wird erstmal gefeiert.
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