«Zeit, dass die Community miteinander wieder ins Benehmen kommt»
Der Kampf ist noch nicht lange am Ende, so unser Autor
Unser Autor wäre sehr dafür, man unterliesse die Giftereien vor allem gegen alte weisse cis-Männer. Denn: Vielleicht braucht man sie noch, um hierzulande ungarisch-polnische Verhältnisse zu verhindern oder zu bekämpfen, schreibt er in seinem Kommentar*.
Dieser Begriff ist ein wenig aus den Charts unserer intellektuellen Queerszene geraten, aber hier soll er mal aktualisiert werden: «Homonationalismus». Das Wort schliesst eine kritische Haltung ein, mit der vermittelt werden soll, dass man – also wir in Deutschland, der Schweiz und Österreich ganz bestimmt – sich mit Kritik an homo- und transphoben Ländern und ihren Regierungen zurückhalten soll, weil doch in den eigenen Ländern noch so viel im Argen liege. Bilden wir uns bloss nix ein!, heisst die Devise. Das besagte Wort, also «Homonationalismus», bezog sich vornehmlich in der Debatte auf das Lob vieler schwuler Männer, lesbischer Frauen und trans Menschen auf Israel – und dieses Lob sei ganz unpassend, denn Israel sei eine ganz schlimme Besatzungsmacht auf palästinensischem Territorium und deshalb immer und unter allen Umständen zu kritisieren, denn die Palästinenser, die hätten immer Recht.
Das war Bullshit durch und durch, so ist meine Auffassung, denn unser Massstab – hier im Forum für queere Menschen – muss ja immer sein, zu fragen, wie es unseren Brüdern und Schwestern in anderen Ländern geht, und da schneidet kein einziges arabisch-muslimisches Land günstig ab, im Gegenteil. Israel, ein jüdischer Staat mit einem muslimischem Bevölkerungsanteil von einem Fünftel, ist widersprüchlich. Es werden gleichgeschlechtliche Ehen akzeptiert, auch, dass schwule Männer gemeinsam Eltern sein können (MANNSCHAFT berichtete), lesbische Frauen sowieso, auch als Singles. Andererseits darf man in Israel nur heterosexuell heiraten … aus Gründen, die wir hier nicht verstehen müssen, weil es so kompliziert ist. Jedenfalls: Schwulen und Lesben und auch trans Menschen geht es vergleichsweise in Israel viel besser, ums Leben als in Saudi-Arabien.
Sei’s drum, immer der gleiche Schnee auf derselben Schaufel. Nur: Man braucht, um antiqueere Politiken zu gewärtigen, nicht aus Europa hinaus zu blicken, um übelsten Missständen auf die Spur zu kommen. Auch in unseren Nachbarschaften spielt die Musik der Homo- und Transphoben. In Polen ist ein Gesetz verabschiedet – aber noch nicht von allen Parlamentsinstanzen durchgewunken – worden, nach dem homo- und transfreundliche Demonstrationen verboten werden können (MANNSCHAFT berichtete). Alles Werben unsererseits um Diversität, um wenigstens Toleranz – von Akzeptanz zu schweigen, hat dort nicht gefruchtet. Dass die nationalkonservativ-ultrareligiöse PiS-Partei nur knapp regiert, spielt keine Rolle: Sie hat die Mehrheit und spielt sie auch aus.
Kaum besser ist die Lage unserer Geschwister in Ungarn, Belarus und Russland, die anderen Länder des früheren Ostblocks will ich gar nicht aufzählen, dort ist es atmosphärisch für unsereins kaum besser.
Es gibt also Gründe, wachsam zu bleiben – und zu versuchen, dass unsere Freund*innen in den Apparaten der EU in Brüssel zu bitten, in diesen Ländern keine Politik zu akzeptieren, die Queers der Hatz der Populist*innen aussetzt. Polen ist hier im Übrigen ein Spezialfall – denn dieses Land kriminalisiert inzwischen sogar fast jeden Schwangerschaftsabbruch von Frauen (MANNSCHAFT berichtete) und bagatellisiert zugleich den sexuellen Missbrauch des katholischen Klerus gegen ihre schutzbefohlenen Kinder.
Und bei uns? Oder in den USA? Hat sich die Bewegung faktisch zerlegt. In Boston gibt es den CSD-Verein faktisch nicht mehr, weil dessen Vorstand nicht hinreichend trans und schwarze Queers mit inkludierte. Überall im Mutterland der Bewegung, in den USA, gibt es kleinteiliges Rumoren wider die weissen schwulen Männer, weil die alles dominiert haben. Wird es nicht langsam mal Zeit, die Giftereien vor allem gegen die alten Kämpen zu unterlassen, denn vielleicht braucht man sie noch, um gemeinsam in unseren Gefilden es nicht zu ungarisch-polnischen Entwicklungen kommen zu lassen? Eventuell haben weisse schwule Männer den Vorteil zu wissen, wie politische Veränderung geht und ins Werk gesetzt werden kann?
Der Berliner CSD des kommenden Jahres ist noch nicht gesichert, es finden sich nicht genügend Aktivist*innen, um die Mammutaufgabe der Organisation zu stemmen. Queeren Fetischfesten wie Folsom oder dem Osterfest in Berlin droht auch das finanzielle Scheitern. Leider. Es wird Zeit, dass man miteinander wieder ins Benehmen kommt, unabhängig davon, dass man nicht in allen Punkten zum Queeren einig ist. Die Beispiele aus Polen und Ungarn mögen genügen – unser Kampf ist noch nicht lange am Ende.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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