Wie Heteros Verstecken spielen und dafür Applaus bekommen
Das Gewinnerpaar der TV-Show «Die Bachelorette» musste ihre Beziehung für ein halbes Jahr verstecken und bekam dafür viel Anerkennung. Im Vergleich dazu müssen schwule Männer oft ihr ganzes Leben lang ihre Beziehungen verstecken und werden nicht annähernd so gewürdigt.
S. und J. sind ein Paar. Davon wusste bis jetzt aber noch niemand. Sie sitzen in einem Fernsehstudio und werden gleich zum ersten Mal über ihre Liebe sprechen. Auf RTL um 20:15 Uhr. Über Monate mussten die beiden ihre Beziehung vor der Öffentlichkeit geheim halten. Kein Händchenhalten, kein Kuss beim Spazierengehen, alles Gemeinsame war ein Risiko. Man könnte ja von den anderen gesehen werden. Im Interview sagen die beiden, es sei ein «Versteckspiel» gewesen – und das «über Monate» hinweg. Wie gut, dass das Verheimlichen heute ein Ende hat. Endlich dürfen sie offen zu ihrer Liebe stehen.
S. und J. sind Sharon und Jan. Sie war die Bachelorette und er hat «ihr Herz erobert». Im fröhlichen Plauderton wird im TV über die Zeit des Verheimlichens gesprochen und über diese «verrückte Zeit» gelacht. Sie mussten ihre Beziehung ein halbes Jahr geheim halten, weil bis zur Ausstrahlung des Finales natürlich niemand wissen durfte, wer gewinnen würde. Eigentlich ist diese Geschichte nicht mehr als eine nette, kleine Anekdote.
Trotzdem passiert hier etwas sehr Seltsames: Ist es nicht interessant, dass das Gewinnerpärchen für ein paar Monate jenes Leben leben musste, welches schwule Männer oft ihr ganzes Leben lang durchhalten müssen? Ihre Beziehung zu verheimlichen? Sich gemeinsam nicht öffentlich zeigen zu dürfen? Ihr ganzes Leben nur hinter verschlossenen Türen zu organisieren? Überspitzt formuliert könnte man sagen: Wer als Hetero Lust hat, sich für ein paar Monate so zu fühlen, wie sich viele schwule Männer oft ihr ganzes Leben lang fühlen (oder gefühlt haben), muss nur beim Bachelor teilnehmen.
Und nicht einmal dann ist es genau dasselbe: Das Wort «Versteckspiel» beschreibt es am besten. Das Geheimhalten der Beziehung ist für das Gewinnerpärchen nur ein Spiel und nicht Ernst. Es ist nur ein kurzer Teil ihres Lebens und nicht die Grundmelodie ihrer gesamten Beziehung. Die Zeit des Versteckens ist begrenzt. Ausserdem können sich die beiden im Nachhinein mit dem «Geschafft haben» des Geheimhaltens schmücken: Sie bekommen vom Publikum und ihren Followern mitfühlende Reaktionen, wenn sie davon erzählen.
Das muss ja wirklich schwierig gewesen sein!
«Das muss ja wirklich schwierig gewesen sein!» Es ist wie eine bestandene Prüfung, für die man viel Applaus und Bewunderung bekommt. Und sollten sie dennoch von jemandem vor der finalen Sendung erwischt werden, droht im schlimmsten Fall nur ein Vertragsbruch und keine strafrechtlichen Konsequenzen inklusive gesellschaftlicher Ächtung.
Es scheint so, als würden die beiden für das erfolgreiche Verstecken mehr Anerkennung und Würdigung bekommen, als es schwule Männer für ein gesamtes Leben im Geheimen je bekommen haben – und vermutlich auch werden. Nicht als Einzelpersonen und auch nicht als Kollektiv. Über Jahrzehnte etwas aushalten zu müssen, das im Verborgenen stattfinden muss, ist vermutlich schwerer fassbar als ein offenes Leben, das man für ein kurzes Verstecken spielen unterbricht. Weil «da hat man bemerkt, wie schwierig das war». Und erst durch den Vergleich zum freien Leben wird es zu etwas Besonderem. Und damit zu etwas besonders Bewundernswertem.
In den letzten 10 Jahren haben es immer mehr Bereiche schwuler Kultur in den Mainstream geschafft: Heidi Klum sucht im Fernsehen nach Dragqueens, Sendungen wie «Queer Eye» sind breitenwirksame Netflix-Erfolge und «slay» das Jugendwort 2022. Ist das probeweise Verstecken von Beziehungen in der Öffentlichkeit, wie beim Bachelor, auch einer dieser Einflüsse? Oder ist das schon kulturelle Aneignung?
Peter Fässlacher
Er ist Moderator und Sendungsverantwortlicher bei ORF III und Stimme des Podcasts «Reden ist Gold» über die Liebe und das Leben mit Menschen der LGBTIQ-Community. Er lebt in Wien.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
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