Ungarn droht Ärger wegen LGBTIQ-feindlichem Zensurgesetz

Brüssel sei bereit, ähnliche Massnahmen zu ergreifen, wie sie polnischen Regionen auferlegt wurden, die sich als «LGBT-frei» erklärt hatten, so die EU-Gleichstellungbeauftragte Dalli

Foto: Twitter/Cyrus Engerer
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Ungarn droht wegen der Verabschiedung des LGBTIQ-feindlichen Zensurgesetzes am Dienstag nun Ärger mit der EU-Kommission.

Brüssel sei bereit, ähnliche Massnahmen zu ergreifen, wie sie polnischen Regionen auferlegt wurden, die sich als «LGBT-frei» erklärt hatten (MANNSCHAFT berichtete), sagte die EU-Gleichstellungbeauftragte Helena Dalli in einem Interview mit Reuters vor Verabschiedung des Gesetzes: «Die Botschaft ist, dass sie kein Recht haben, Geld für ihr Projekt zu nehmen, wenn sie die Werte der Demokratie oder Gleichheit der Europäischen Union nicht hochhalten.»

Vorsichtigere Töne schlug am Mittwoch ein Sprecher der Kommission an. Er erklärte, Staaten könnten «ein ausgewogenes Verhältnis der Rechte auf Meinungsfreiheit und Nichtdiskriminierung finden», wenn sie Kinder schützen wollten.

Der Europastaatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), hatte bereits am Dienstag auf MANNSCHAFT-Anfrage erklärt: «Das im ungarischen Parlament beschlossene Gesetz, das die positive Darstellung von Homosexualität, Transsexualität oder Geschlechtsumwandlung vor Minderjährigen verbietet, ist eine weitere staatliche Diskriminierung von LGBTI-Personen in Ungarn und mit den Grundwerten der EU nicht vereinbar. Ich gehe davon aus, dass die EU-Kommission als Hüterin der Verträge hier sehr genau hinschauen wird.»

Ein Sprecher der für die Einhaltung der europäischen Grundwerte zuständigen Behörde bestätigte am Mittwoch, dass das Gesetz geprüft werde. Zugleich betonte er, dass die Kommission einen klaren Standpunkt zu Diskriminierung habe und sich verpflichtet fühle, die Ungleichheiten und Probleme anzugehen, mit denen es LGBTIQ in Europa zu tun hätten.

Vertragsverletzungsverfahren möglich Sollte die EU-Kommission bei der Prüfung des Gesetzes zu dem Ergebnis kommen, dass es gegen EU-Recht verstösst, könnte sie ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dieses wiederum könnte dann mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes enden.

Das ungarische Parlament hatte am Dienstag ein Gesetz gebilligt, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität einschränkt (MANNSCHAFT berichtete). Es sieht ein Verbot von Büchern, Filmen und anderen Inhaltsträgern vor, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind und in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht. Darüber hinaus soll jede Art von Werbung verboten werden, in der Homosexuelle oder trans Personen als Teil einer Normalität erscheinen. Kritiker sehen darin die Bemühung, im EU-Land Ungarn eine LGBTIQ-feindliche Zensur nach russischem Vorbild einzuführen.

Am Dienstag demonstrierten die EU-Abgeordneten mehrerer Parteien in Brüssel und forderten Sanktionen gegen Ungarn.

Das Gesetz gilt als besonderes Anliegen von Ministerpräsident Viktor Orbán, dem Kritiker*innen das Schüren von Vorurteilen gegenüber Minderheiten vorwerfen. Schon in der Vergangenheit fiel Orbán durch Äusserungen auf, als fremden- und homofeindlich eingestuft werden.

Kommission wagt es nicht, den Staats- und Regierungschefs auf die Füsse zu treten.

Aus dem Europaparlament kommt indes scharfe Kritik an Anwendungsleitlinien zum neuen Mechanismus, der Verstösse gegen die Rechtsstaatlichkeit in der EU ahnden soll. Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf sei der beste Beweis dafür, dass es gar keine Leitlinien brauche, kommentierte Vize-Präsidentin Katarina Barley (SPD) am Mittwoch. Die Guidelines seien «Verzögerungstaktik einer Kommission, die es nicht wagt, den Staats- und Regierungschefs auf die Füsse zu treten».

Im Streit um die bislang nicht erfolgte Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus hatte das EU-Parlament jüngst bereits ein Verfahren für eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission eingeleitet. Mit dem Schritt soll die Behörde dazu gebracht werden, das neue Instrument unverzüglich anzuwenden. Es sieht vor, dass EU-Ländern Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsstaatsverstössen ein Missbrauch der Gelder droht.

Brisant ist das Verfahren vor allem deswegen, weil die EU-Kommission nach einer Einigung der Staats- und Regierungschefs eigentlich erst dann tätig werden soll, wenn der Europäische Gerichtshof über eine Klage von Ungarn und Polen gegen die neue Regelung entschieden hat. Mit diesem Zugeständnis waren die Regierungen in Budapest und Warschau im vergangenen Jahr dazu gebracht worden, ihre Blockade von wichtigen EU-Haushaltsentscheidungen aufzugeben.

Ungarn und Polen gehen davon aus, dass der sogenannte Konditionalitätsmechanismus nicht mit dem geltenden EU-Recht vereinbar ist. So dürfen aus polnischer Sicht für die Vergabe von Geld aus dem EU-Haushalt einzig «objektive und konkrete Bedingungen» gelten. Die EU habe keine Befugnis, den Begriff «Rechtsstaat» zu definieren, heisst es.

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