«Take back the night»: Queer-feministische Demo zum 1. Mai
In Berlin gehen wieder verschiedene linke Demonstrant*innen auf die Strasse
Einige Jahrzehnte lang ist die Geschichte der 1. Mai-Demonstrationen in Berlin-Kreuzberg. Wer bei den ersten Krawallen 1987 ein Mittzwanziger war, geht nun bald in Rente. Aber immer neue Generationen fordern Veränderung und «Revolution».
Von Andreas Rabenstein, dpa
Der Hotspot der diesjährigen linken und linksradikalen Demonstration am Abend des 1. Mai in Berlin ist klar: die neue Polizeiwache direkt am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Auf der Karte der Organisatoren sind der Anfangs- und Endpunkt der «Revolutionären 1. Mai-Demonstration» markiert und als dritter Punkt am «Kotti»: «Bullenwache». Die traditionelle Demonstration linksradikaler Gruppen beginnt wie immer um 18 Uhr, diesmal in Neukölln auf der Hermannstrasse, wie das Veranstalter*innen-Bündnis in seinem*ihrem Aufruf mitteilte.
Sie führt dann über Hermannplatz, Karl-Marx-Strasse, Sonnenallee und Kottbusser Damm zum Kottbusser Tor und Oranienplatz. Schon im vergangenen Jahr, als die Polizeiwache in dem Hochhaus über der Adalbertstrasse noch im Bau war, schützte die Polizei den Bereich besonders mit Gittern und vielen Polizisten.
Tausende Polizist*innen im Einsatz Auch dieses Jahr ist dort wieder mit Absperrungen zu rechnen. Die Berliner Polizei wird wie jedes Jahr wegen der vielen Veranstaltungen mit insgesamt einigen tausend Polizist*innen im Einsatz sein, darunter auch Verstärkung aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei.
Auch bei der Justiz gilt der 1. Mai als Grosslage, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Beim Bereitschaftsgericht am Tempelhofer Damm sind dann vom 30. April bis 2. Mai in der Regel alle fünf Richter*innen im Dienst, es gibt eine gesonderte Rufbereitschaft mit jeweils zwei Richter*innen in der Nacht. Erfahrungsgemäss fällt die meiste Arbeit am 2. Mai an. Da das ein Wochentag ist, ist aus Sicht der Justiz keine weitere Aufstockung nötig.
Seit 1987 kam es am 1. Mai in Kreuzberg bei abendlichen Veranstaltungen und Demonstrationen immer wieder zu Gewaltausbrüchen von Linksautonomen und Strassenschlachten mit der Polizei. In den vergangenen mehr als zehn Jahren beruhigte sich die Lage weitgehend.
2021 endete die Demonstration allerdings bereits auf der Sonnenallee in Neukölln, weil dort zahlreiche Teilnehmer*innen randalierten. 2022 erreichte der Demonstrationszug mit mehr als 10‘000 Teilnehmern ohne grössere Zwischenfälle den Oranienplatz, wo es kleinere Auseinandersetzungen mit der Polizei gab.
In diesem Jahr schrieben die Veranstalter*innen der 18-Uhr-Demonstration in ihrer Ankündigung mit Blick auf den neuen Berliner Senat: «Wir wünschen der kommenden CDU/SPD-Koalition in Berlin viele medienwirksame Skandale vor ihrem schnellen Ende. Dazu werden wir am 1. Mai beitragen.»
Satirisch-bunte Aktionen Schon am Nachmittag des 1. Mai wollen linke Gruppen mit satirisch-bunten Aktionen und Demonstrationen durch den Villen-Stadtteil Grunewald ziehen. In Anspielung an die Demonstrationen um den Kohlebergbau in Lützerath wurde angekündigt, dass Villenviertel Grunewald werde abgebaggert.
«Der Wille zur Yacht und die Villen der Macht sind verantwortlich für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Hier müssen wir ansetzen. Ab jetzt wird die richtige Kohle abgebaggert.»
Geleitet wird die Aktion von der «RWE – Reichtum wird enteignet». Ein Video zu dem Protest ist aufgemacht wie Werbefilme der Energie- und Stromkonzerne. Beteiligt an den Aktionen und Demonstrationen sind auch Klimaschutz-Gruppen wie Letzte Generation und Fridays For Future, aber auch die als linksextrem eingestufte Interventionistische Linke.
Weitere grosse Demonstrationen am 1. Mai sind wie üblich von Gewerkschaften und verschiedenen Parteien wie der Linken angekündigt.
Das früher so beliebte Kreuzberger «MyFest» mit Zehntausenden Besucher*innen und völlig überfüllten Strassen in Kreuzberg findet nicht statt. Der Bezirk und die Organisatoren stritten sich zuletzt noch.
Frauen in Kreuzberg Das «MyFest» war 2003 gegründet worden, um 1. Mai-Demonstration und die Gewaltausbrüche von der Oranienstrasse fern zu halten. In den folgenden Jahren wurde das Fest immer grösser, den ganzen Tag und die halbe Nacht feierten Tausende Menschen lautstark und hinterliessen riesige Müllberge und zerstörte Grünflächen. Die Anwohner*innen waren genervt, der von den Grünen geführte Bezirk wollte die Feierei nicht mehr.
Der Veranstalter*innenverein warf Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) in einem offenen Brief «bezirkliche Hinhaltepolitik» und «fehlende Unterstützung» vor. Herrmann habe mit «formalen und unglaubwürdigen Finessen» das Stadtteilfest abgewürgt. Das Bezirksamt erwiderte, der Verein sei nicht bereit gewesen, «das Fest entlang der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu planen». Erwartet wird aber trotzdem, dass sich zahlreiche Menschen in den Strassen rund um die Oranienstrasse zum Trinken, Essen und Feiern versammeln.
Bereits am Sonntagabend, dem Vorabend des 1. Mai, ziehen zwei linke Demonstrationen durch die Stadt. Ab 16 Uhr heisst es im Wedding zwischen Seestrasse und Pankstrasse: «Frieden statt Kapitalismus – Wettrüsten stoppen und Armut beenden». Abends demonstrieren Frauen in Kreuzberg: «Take back the night. Queer-feministische Demonstration.»
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