Queere Community im Visier: Viele Attacken, wenig Anzeigen
Die Dunkelziffer ist riesig, der Bedarf an Beratungsstellen auch
Die Stimmung gegen queere Menschen ist feindlicher geworden. «Eindeutig», sagt Joachim Schulte vom Verein Queernet Rheinland-Pfalz.
«Das zeigt sich in den sozialen Netzwerken, wo Desinformation, Hass und Hetze gegen queere Menschen, vor allem gegen transweibliche Personen, massiv zugenommen haben.»
Ähnlich beurteilt Diana Gläßer die Situation. Sie ist für die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz die Ansprechperson für lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Menschen: «Die queerfeindliche Stimmung im Jahr 2024 war insgesamt von einer unsachlichen Debatte um die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes aufgeheizt.» Viele Betroffene von Shitstorms im Netz hätten sich Hilfe suchend an die Ansprechstelle der Polizei gewandt.
«Die queerfeindliche Stimmung im Jahr 2024 war insgesamt von einer unsachlichen Debatte um die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes aufgeheizt.»
Diana Gläßer, Polizei Rheinland-Pfalz
Dunkelziffer bei 90 Prozent Die offiziellen Statistiken zeichnen nach Einschätzung von Gläßer nur ein eingeschränktes Bild der Realität. Seit fünf Jahren sei bundesweit ein Anstieg der Straftaten zu sehen. Nach einer Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte geben jedoch lediglich zehn Prozent der Betroffenen von queerfeindlichen Straftaten an, dass sie eine Anzeige bei der Polizei erstatten würden. «Demzufolge dürfte die Dunkelziffer bei etwa 90 Prozent liegen.»
Das Innenministerium berichtet von insgesamt 48 registrierten Straftaten auf queere Menschen im vergangenen Jahr, drei weniger als im Jahr zuvor. 2022 waren lediglich 21 Straftaten in den offiziellen Statistiken aufgetaucht. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wie Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung waren nicht darunter, wie das Ministerium auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Stephan Wefelscheid (Freie Wähler) mitteilte.
Straftaten zählen zur Hasskriminalität Die Polizeien des Bundes und der Länder erfassen gegen homo-, bi-, trans oder inter Personen gerichtete Straftaten als Teil der Hasskriminalität. Diese Daten werden Kriminalpolizeilichen Meldedienst dargestellt.
Es sei dringend erforderlich, diese Zahlen sichtbar zu machen, sagt auch der Queer-Beauftragten der Landesregierung, Janosch Littig, zu der hohen Dunkelziffer. «Daher setzen wir uns dafür ein, das Dunkelfeld zu erhellen. Eine bundesweite Dunkelfeldstudie könnte hier wertvolle Erkenntnisse liefern.»
Die Gründe für die geringe Zahl an Anzeigen seien vielfältig. «Viele Betroffene haben Angst vor homo- oder transfeindlichen Reaktionen vonseiten der Polizei oder sind der Überzeugung, dass eine Anzeige ohnehin keine Auswirkungen hat», erklärt der Staatssekretär im Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration. «Das Vertrauen in die Polizei bleibt ein wichtiges Thema.»
Nach Angaben des Innenministeriums ist die Zahl der aufgenommenen Straftanzeigen von Ansprechstellen im vergangenen Jahr von 8 auf 14 gestiegen. Das Vertrauen in diese Ansprechstellen wachse durch die vermehrte Sichtbarkeit auf Landesebene, betont Joachim Schulte von Queernet.
Grosser Bedarf an Beratungsstellen Die Polarisierung und der Anstieg menschenfeindlicher Gesinnung in der Gesellschaft erzeuge auf der Betroffenenebene jedoch auch einen stetig wachsenden Bedarf. Eine Ausweitung der Ansprechstellen bei der Polizei sowohl auf Landesebene als auch in den Präsidien sei daher dringend notwendig.
Queernet ist das Netzwerk von queeren Vereinen und Initiativen in Rheinland-Pfalz. Das Netzwerk verbindet Organisationen in Mainz, Trier, Koblenz und der Pfalz, um sich zu koordinieren und gemeinsam Projekte durchzuführen. Es gibt Ansprechpartner, Informationen zu Veranstaltungen, Beratungen oder politischen Aktivitäten. Ausserdem ist QueerNet Ansprechpartner*in der Landesregierung für die Interessen von queeren Menschen im Land.
Bewegung bei der Justiz Der Queer-Beauftragte der Landesregierung unterstützte die Forderung von Queernet, auch bei den Generalstaatsanwaltschaften in Rheinland-Pfalz sowie im Justizministerium eine solche offizielle Anlaufstelle für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente und intergeschlechtliche Menschen einzurichten.
Seit Ende vergangenen Jahres gebe es bereits zentrale Ansprechpersonen für die Verfolgung queerfeindlicher Straftaten bei der Hälfte der Generalstaatsanwaltschaften und der Staatsanwaltschaften in Rheinland-Pfalz. Die Etablierung weiterer Ansprechpersonen werde derzeit geprüft, berichtet Staatssekretär Littig.
Queernet-Sprecher Schulte bestätigte die Gespräche. Es gebe positive Signale, erste Ansprechpersonen seien benannt. Der nächste Schritt seien Angebote für Fortbildungen. Die Ansprechstelle der Polizei sei in die Entwicklung bei den Staatsanwaltschaften eingebunden, ergänzt Gläßer.
Gerichtsentscheidungen zu queerfeindlichen Straftaten im Wandel «Auch ist festzustellen, dass die Gerichtsentscheidungen zu queerfeindlichen Straftaten im Wandel sind und Phänomene wie misgendern und transfeindliche Beleidigung auch bestraft werden», berichtet die Ansprechperson bei der Polizei für die queere Community. «Hierdurch ist erkennbar, dass auch eine steigende Sensibilität für die hassmotivierten Straftaten in der Justiz entsteht.» Von Bernd Glebe, dpa
Die Lokalpolitikerin Laura Kasprowski ist trans und Mitglied der CDU, auch dem Landesvorstand der LSU Nordrhein-Westfalen gehört sie an. Mit dem Kurs ihrer Partei zum Selbstbestimmungsgesetz hat sie kein Problem (MANNSCHAFT berichtete).
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