Pride
«Auf der Strasse wird viel mehr geguckt: Wer kommt mir entgegen?»
Queere Beratungsstellen erleben eine erhöhte Nachfrage
Immer mehr queere Menschen melden sich wegen des gesellschaftlichen Rechtsrucks bei Beratungsstellen. Zwei Mitarbeitende aus Hamburg und Magdeburg berichten.
Nie gab es so viele Angriffe auf CSDs wie in diesem Jahr, das stellt diese Woche die Amadeo Antonio Stiftung fest. Zwar fanden 2025 auch so viele Pride Events statt wie noch nie, aber dennoch stieg die Gewalt dagegen merklich an. Dies spüren auch immer mehr die queeren Beratungsstellen, die es im deutschsprachigen Raum gibt.
So etwa in Hamburg. «Atmosphärisch und was die Beratungsinhalte angeht, gibt es tatsächlich Verschiebungen», sagt Steve Behrmann, Bereichsleiter in der psychosozialen Beratung für queere Menschen am Magnus Hirschfeld Centrum in Hamburg. Früher sei es meistens um eine innere Auseinandersetzung mit sich und mit dem eigenen Coming-Out gegangen. Heute hingegen seien es eher Fragen zur gesellschaftlichen Gesamtentwicklung, die Menschen Sorgen machten. Es gehe bei vielen Menschen, die sich an die Hamburger Beratungsstelle wendeten um die Frage: «Wohin steuert diese Gesellschaft?»
Dies habe auch schon Auswirkungen auf den Alltag queerer Menschen, beklagt Steve Behrmann. So sei das eigene Risikomanagement ein anderes geworden. «Queere Menschen sind sehr viel ängstlicher geworden. Auf der Strasse wird sehr viel mehr geguckt: Wer kommt mir entgegen und dann überlege ich vielleicht, den Bürgersteig zu wechseln.»
In den Gesprächen in Hamburg beobachtet Steve Behrmann, dass sich vor allem ältere schwule cis Männer Sorgen um den Verlust von Rechten und Freiheiten machten. Denn dies seien ja «diejenigen, die es erkämpft haben in den letzten Jahrzehnten». Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, so Behrmann, hänge es davon ab, wie politisch engagiert die seien. Ganz besonders hoch sei der Druck gegenwärtig jedoch seiner Wahrnehmung nach bei trans und inter Personen, sowie auch bei queeren Geflüchteten.
Immer mehr beobachtet Behrmann in letzter Zeit, dass Menschen entsprechende Mechanismen entwickelten, um damit umzugehen. «Es gibt einige, die sagen, ich guck mir keine Nachrichten mehr an, oder sie ziehen sich zurück aus so einer gesamtgesellschaftlichen Lage.» Sie täten dies, «um sich psychisch stabil zu halten». Auch ein anderes Phänomen sei in jüngster Zeit vermehrt zu beobachten. So erklärten einige der queeren Menschen, die sich an Behrmann und sein Team wenden, darüber nachzudenken, auszuwandern.
Generell suchten Menschen eben noch mal sehr viel deutlicher «safere Umwelten» auf, sagt Behrmann. Eigentlich, findet Steve, sei das so, wie ältere Jahrgänge das früher, als die Rechte noch nicht so umfassend waren, es gemacht hätten. Gegenwärtig jedenfalls seien Menschen eben nicht mehr so offen mit ihrer Identität und Orientierung, weil sie vermeiden wollten, angegriffen zu werden, beklagt der Therapeut.
Doch wie umgehen mit dieser Bedrohungslage, die viele empfinden? Da gäbe es einige Möglichkeiten, sagt Steve Behrmann und weist darauf auch regelmässig in seinen Beratungen hin. So solle jede*r das eigene Risikomanagement noch schärfen, und überlegen, welche Umgebung man aufsuche, wo man sich exponiere und wo nicht. «Und dann natürlich geht es auch darum, sich selber zu empowern, indem man sich vielleicht mal mehr als vorher in entsprechenden Organisationen politisch engagiert.»
Ganz anders als in der liberalen Grossstadt Hamburg kann die Situation in verschiedenen anderen Teilen Deutschlands aussehen. So etwa im Raum Sachsen-Anhalt. Hierbei handelt es sich um ein Flächenland, das grössere Städte und auch viele kleine Ortschaften besitzt. Zudem zählt das Bundesland zu denjenigen Regionen in Deutschland, in denen die AfD derzeit am stärksten in Umfragen vertreten ist.
Erik Füllert ist Pädagoge und arbeitet parallel in einer Beratung für queere Menschen, die Teil des CSD Sachsen-Anhalt ist. «Die Anfragen an unsere Beratungsstelle wegen rechter Entwicklungen haben stark zugenommen», sagt er. Auch er beschreibt eine starke Veränderung innerhalb der letzten Jahre. Vor ein paar Jahren hätten die Menschen eher über etwas reden wollen, von dem sie gehört hatten. Aktuell gehe es stärker um Dinge, die sie selbst erlebt hätten. «Jetzt merken wir, hier geht es wirklich sehr oft um Gewalterfahrungen und Bedrohungslagen. Es ist eine hundertprozentige Kehrtwende.»
Im Raum rund um die Landeshauptstadt Magdeburg lief diese Entwicklung stark parallel zum Erstarken der AfD. Als die Partei vor etwa 10 Jahren entstand, fingen auch queere Menschen an, sich Gedanken zu machen, was dies für sie bedeute. Nach dem Ende der Corona-Krise, habe sich diese Situation aber noch einmal sehr verschärft, sagt Erik.
Darauf reagieren auch die queeren Menschen deutlich. Veranstaltende von CSDs oder anderen queeren Events würden viel häufiger nach den Sicherheitskonzepten gefragt. Einfach darauf zu antworten, dass die Polizei schon anwesend sei, erklärt Erik, reiche nicht mehr aus. Die Leute wollten genaue Angaben, um sich sicher fühlen zu können.
Eine besondere Herausforderung stelle auch der ländliche Raum dar, oder Gebiete, in denen es eher kleinere Städte gibt, so die Erfahrung der Magdeburger Queer-Aktivist*innen. «Die Leute auf dem Land haben Angst, sich alleingelassen zu fühlen», erklärt Erik. «Man spürt es auch, dass ländliche CSDs zum Beispiel wirklich sehr politisch ausgerichtet sind und sehr in den Aktivismus gehen, um zu sagen: wir müssen hier deutlich kämpfen».
Dabei sei der ländliche Raum oft wie ein Wespennest. Auf den ersten Blick merke man gar nichts, aber wenn man einmal nachfrage, komme schnell etwas hoch, sagt Erik vom CSD Sachsen-Anhalt. Auch in kleineren Städten sei die Lage anders als in der Landeshauptstadt Magdeburg. Beispielhaft hierfür waren etwa die Anfeindungen beim CSD in der Stadt Köthen, der vor einiger Zeit stattfand (MANNSCHAFT berichtete).
Den Aktivist*innen aus Sachsen-Anhalt mache aber noch etwas ganz anderes zu schaffen, beklagt Erik. Nämlich ein Stigma, das von aussen an sie herangetragen werde. Zwar sei der Zuspruch zum Rechtsextremismus gerade vielerorts wirklich salonfähig geworden (MANNSCHAFT berichtete). «Die Leute, die queer sind, die überlegen sich dreimal, was sie in der Öffentlichkeit tun», sagt Erik. Allerdings werde dem Osten Deutschland ein Etikett angehaftet: Der Osten sei als Ganzes rechts, der Osten sei blau. «Das erschwert uns die Arbeit enorm», betont Erik.
Die Mitarbeitenden vom CSD Sachsen-Anhalt versuchen in ihrer täglichen Arbeit, der Situation, die sie bei sich vor Ort haben, auf den Grund zu gehen. Viele Menschen in der Mehrheitsgesellschaft seien aus verschiedenen Gründen gefrustet und würden sehen, dass Menschen da sind – queere Menschen – die scheinbar überall gefeiert würden, analysiert Erik. Etwa dann, wenn Firmen ihre Solidarität zeigten. Und dann entstehe dadurch Ablehnung.
«Das Problem ist auch, dass aktuell die Politik über queere Menschen so diskutiert, dass manche Rechte in Zweifel gezogen werden. Das befördert noch die Ablehnung bei Menschen», betont Erik. Ein weiteres schwerwiegendes Problem vor Ort sei zudem die mangelnde Aufklärung in Sachen sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten. Dies betreffe viele Elternhäuser, Kindertagesstätten und Schulen, sagt Erik.
Doch Aufgeben sei keine Option, sagt der Mitarbeiter der Magdeburger queeren Beratung. Voraussetzung sei zunächst einmal, die Realität wie sie sei, zur Kenntnis zu nehmen. Es helfe nichts, den Rechtsruck, die Gewaltzunahme und die Bedrohungslage klein zu reden. Erik und seine Kolleg*innen fragten sich dann häufig gegenüber rechten Gruppen: «Was rufen die, warum rufen die das? Das heisst auch Dialog – wobei wir niemanden von denen bei uns reinlassen.»
Dann müsse die queere Beratung dementsprechend weiterentwickelt werden, sagt Erik. Ausserdem schmiedeten er und seine Kolleg*innen Bündnisse mit anderen Organisationen, um wirklich grössere Reichweiten und mehr Sichtbarkeit zu schaffen. Ein grösseres Projekt sei aktuell etwa «Queer together Landkreis Börde». Hierbei geht es um Aufklärung an Schulen oder anderen pädagogischen Einrichtungen im Bundesland Sachsen-Anhalt. Eriks Kollegin Jenny Rasnov fährt derzeit unermüdlich von einer Schule zur nächsten, um dort Veranstaltungen anzubieten. «Und da können wir uns vor Anfragen derzeit kaum retten», so Erik.
Und wenn die Magdburger*innen dann durchs Land reisen und andere CSDs besuchen, machen sie zudem noch eine ganz andere Erfahrung. Dann komme es mittlerweile durchaus sogar mal vor, dass sie um Rat gefragt würden. Von Leuten aus anderen Teilen des Landes, in denen der Rechtsruck noch nicht so weit fortgeschritten ist. «Dann fragen die Leute schon: wie geht ihr damit um und wie schafft ihr das eigentlich?»,
Mehr als 22'000 Menschen haben in Deuschland ihren Geschlechtseintrag angepasst. Am häufigsten gingen trans Männer zum Amt (MANNSCHAFT berichtete).
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