Fetisch
«Leder ist manchmal auch ein Schutz vor innerer Verletzlichkeit»
Mr. Leather Europe 2026 im Interview
Jamie Ryan wurde Ende Oktober zum Mr. Leather Europe 2026 gewählt. Im Interview mit MANNSCHAFT spricht der Ire jetzt über sein Outing, die weltweit vernetzte Leder-Community und warum man mit 30 noch längst kein «Daddy» ist.
Jamie, als Mr. Leather Europe 2026 repräsentierst du die schwule Lederszene und reist viel umher. Hast du schon Pläne, in den deutschsprachigen Raum zu kommen? Ich war in den letzten Jahren bei der Folsom Berlin und auch beim Easter Berlin. Es wäre grossartig, nach München zu kommen und den Munich Lions Club zu besuchen. Ich möchte auch versuchen, nach Hannover zu einem der Leguan-Socials zu kommen – einem kleineren Club, mit dem ich kürzlich Freundschaften geschlossen habe. Und zum Hamburger CSD will ich auch.
Wie sieht es mit der Schweiz und Österreich aus? Ich hoffe auch, es nach Zürich zum Puppy Switzerland 2026 zu schaffen. Ausserdem plane ich, endlich nach Wien zu reisen – der aktuelle Mister Leather Austria, Andreas, leistet dort schon hervorragende Arbeit.
Was möchtest du in deiner Zeit als Mr. Leather bewegen? Mir haben andere Personen der Szene dabei geholfen, selbstbewusster zu werden und mich mehr zu engagieren. Dies möchte ich nun weitergeben. Viel von meiner Arbeit findet unsichtbar statt – ich bekomme viele Nachrichten online, mit allgemeinen Fragen zu BDSM, Gear, Events und Ratschlägen zu verschiedenen Themen. Manchmal kann ich als sichtbarer Orientierungspunkt eine verlässliche Anlaufstelle während eines Events sein. Ich weiss, wie es ist, sich bei der Aufregung eines grossen Events wie ein kleiner Fisch zu fühlen, und ich halte immer Ausschau nach Menschen, die ängstlich oder allein wirken.
Die Lederszene ist ja sehr divers; es gibt grosse und kleine Events… Einer meiner grossen Schwerpunkte in diesem Jahr wird auf kleineren Communities und Clubs liegen, die nicht immer die Aufmerksamkeit der grossen Festivals erhalten. Ich habe bereits Krakau und die dortige PLUG (Polish Leather Uniform Group) besucht. Auch in Tromsø in Norwegen war ich schon. Dort hat der einzige Ledermann im Dorf, Per Helge Nylund, ein grossartiges Arctic Pilot Event mit etwa 20 Kinkstern organisiert. Beide Ereignisse zeigen mir, dass es egal ist, wie isoliert man ist oder wie klein die lokale Community ist – wenn man den Mut hat, etwas zu gestalten, kommt die Lederfamilie zur Unterstützung.
Was sind aus deiner Sicht die grössten Herausforderungen, vor denen die Szene derzeit steht? Früher dachte ich, der Zugang zu Lederkleidung, zu Gear, sei eines der grössten Hindernisse, aber ich glaube, es war noch nie einfacher, damit anzufangen. Leder ist genauso eine Haltung wie ein Look, und ein Paar Stiefel mit einem T-Shirt und Jeans ist ein guter Anfang. Vergleich dich nicht mit jemandem mit perfektem Gear – es kommt auf das Gefühl an, das du dabei hast. Ich bin Mr. Leather Europe und besitze mehr Second-Hand-Gear als neues!
Wie steht es um den Zugang zu öffentlichen Räumen für die Leder-Community? Wir kämpfen immer noch auf unterschiedlichen Ebenen um Akzeptanz – der Zugang zu Räumen, in denen man BDSM-Fähigkeiten in queeren Räumen erlernen kann, ist in einigen Regionen (einschliesslich Irland) sehr schlecht. Ich versuchte einmal, ein Rope Jam für Männer zu organisieren, und musste es schliesslich in meinem eigenen Garten veranstalten, nachdem andere Veranstaltungsorte abgelehnt hatten. In Dublin gab es grosse Schwierigkeiten, einen klassischen Leder-Cruising-Abend mit Sex durchzuführen – Gesetze und konservative Einstellungen haben uns sehr stark eingeschränkt.
In Deutschland gibt es immer wieder Diskussionen um Fetische auf CSDs ... Ja, und ich wünschte wirklich, die Leute würden endlich darüber hinwegkommen.
Inwieweit ist das Thema Diskriminierung durch Alter ein Thema in der Lederszene? In schwulen Räumen gibt es das zwar, aber in Leder- und BDSM-Communities ist Alter oft weniger ein Problem, weil das mit Lebenserfahrung einhergeht. Ich bin manchmal irritiert von der Einstellung jüngerer Generationen zum Alter. Als ich 30 wurde, haben manche mich plötzlich ‹Daddy› genannt – 30 ist weit entfernt von ‹alt›. Begriffe wie ‹Twink Death› können zwar witzig sein, aber sie tragen auch eine unterschwellige Botschaft eines Verfallsdatums älterer Personen in sich, was mich stört. Ganz zu schweigen von den Herausforderungen, denen ältere Kinkster in ländlichen Gegenden oder Pflegeheimen gegenüberstehen. Da können wir immer besser werden.
Wie inklusiv für trans Menschen ist die Lederszene deiner Meinung nach? Männerabende sind ein heiss diskutiertes Thema, aber ich denke, die Einbeziehung von trans Männern ist eine positive Entwicklung. Es ist wichtig, dass wir geschlossen gegenüber der oft feindlichen heteronormativen Welt auftreten. Ich wünsche mir künftig Community-Zentren, in denen wir uns miteinander vernetzen und koordinieren können, sodass alle gleichberechtigten Zugang zu Räumen haben, mit denen sie sich am meisten identifizieren.
Wenn du dich zurückerinnerst: Wie und wann hast du selber entdeckt, dass du auf Leder stehst? Ich bin mit der Leder- und Fetischkultur aufgewachsen – Freddie Mercury, Rock’n’Roll, die Rocky Horror Picture Show. Es hat nur etwas länger gedauert, bis es für meine eigene Identität und Interessen klick gemacht hat. Aber als ich dann Internetzugang bekam, suchte ich im Internet nach ‹haarigen Männern› – mit einer stillen, aber zugleich furchterregenden Mischung aus Angst und Aufregung, dass es irgendwie falsch sein könnte. Obwohl sich das alles aber sehr gut angefühlt hat. Als ich einen Mann in einer Lederweste sah, der kräftig aussah und gefesselt war, wusste ich, dass ich angekommen war, wo ich hin wollte …
Und wie ging es dann weiter? Ich behielt das eine Zeit lang als kleines Geheimnis für mich, bis meine Mutter irgendwann ein gespeichertes Bild auf meiner Playstation fand – ich dachte, das sei ein cleveres Versteck. Es ist nur eine Phase, behauptete ich – aber wir alle wussten die Wahrheit, auch wenn ich sie noch ein paar Jahre unter dem Radar halten wollte. Als ich mich schliesslich outete, beschloss ich, dass meine erste sexuelle Erfahrung mit einem Ledermann sein sollte. Also nahm ich den Zug in den Südwesten Irlands und verbrachte ein Wochenende mit Master Ted – und falls es vorher Zweifel an meiner Identität gab, wurden diese durch Seile und Flogger beseitigt! Heute könnte ich es mir nicht anders vorstellen.
Welche Herausforderungen gab es für dich nach diesem kinky Outing? Es hat viel Arbeit an mir selbst und Zeit gebraucht, um aufrecht in meinen Stiefeln zu stehen. Obwohl wir als Leathermen ein selbstbewusstes und starkes Bild abgeben, ist Leder manchmal auch ein Schutz vor innerer Verletzlichkeit.
Als ich meine ersten Schritte in die Szene und zu Events machte, war ich von Unsicherheit geprägt. Ich hatte eine zusammengewürfelte Auswahl an Gear, die nicht wirklich dem Look entsprach. Ich war etwas mollig und behaart, was im Gegensatz zu den beliebten Twinks stand, die so viel Aufmerksamkeit bekamen. Die erste Person, die ich über Recon (eine Fetisch-App) anschrieb, antwortete mit ‹Nimm ab› – ein niederschmetternder Schlag für mein Selbstvertrauen.
Du bist in Irland aufgewachsen. Wie waren da so die Startchancen für einen jungen Kinkster? Was das Aufwachsen als schwuler Kinkster in Irland angeht: die Erfahrung variiert sehr je nach Wohnort. Ich bin in den irischen Midlands aufgewachsen, wo die Einstellungen rückständig waren – dort wurde ich einmal wegen meines Schwulseins angegriffen. Mir ist bewusst, dass es ausserhalb Dublins deutlich schwieriger ist und viele Menschen nach Dublin reisen müssen, um ihre Community zu finden. Ich hoffe, dass es künftig mehr Orte in Irland geben wird, die als Zentrum dienen und mehr Kinkster in kleineren Städten inspirieren können. Es gibt schon jetzt positive Entwicklungen, zum Beispiel Gruppen wie ‹Belfast Leather Social› und ‹Kink NI›. Ich glaube zudem, dass Online-Communities eine spannende Welle von Post-Covid-Kinkstern hervorgebracht haben, die diese Zeit genutzt haben, um ihre Identität online zu erkunden.
Und jetzt bist du Mitglied der Dubliner Community? Ja, die lokale Community in Dublin war immer unterstützend – sobald ich ihnen erlaubte, mir zu helfen. In meinen frühen Tagen beklagte ich mich oft über die Männer, die komplette Outfits hatten und die so arrogant auf mich wirkten. Erst später wurde mir klar, dass ich meine eigenen Unsicherheiten auf sie projizierte. Als ich endlich den Mut hatte, mit ihnen zu sprechen, nahmen mich viele unter ihre Fittiche und halfen mir zum Thema Gear und mit ihrem Wissen. Wenn Leute mich ignorierten oder nicht so reagierten, wie ich erwartete, hielt ich sie für Idioten. Erst später erkannte ich, dass auch sie hochgradig unsicher waren und sich mir gegenüber ähnlich fühlten. Heute sind wir Freunde und lachen darüber.
Die Erkenntnis, dass ich meinen Körper und meine Eigenschaften akzeptieren und lieben muss und nicht alles für alle sein kann, half mir sehr, meinen inneren Frieden zu finden und weniger ängstlich zu sein, oder mich für andere verändern zu wollen.
Was ist für dich das Schöne an der Leder-Community? Für mich bedeutet Teil einer Fetisch-Community zu sein, eine erweiterte globale Familie und einen zweiten Reisepass zur Welt zu haben. Wir sind auf eine Weise miteinander verbunden, die schwer zu erklären ist, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Ich habe von den Erfahrungen so vieler vor mir profitiert und selber anderen geholfen, auszubrechen und ihr bestes Selbst zu finden. Wenn es einen Grund gibt, ein mutiges und erfülltes Leben als Mensch zu führen, dann ist es für mich genau das – ich habe durch Leder ein höheres Selbstwertgefühl gefunden.
Hast du einen Tipp an junge Kinkster, die in die Szene einsteigen wollen? Geh dein eigenes Tempo – im Einklang mit deinem Komfort- und Risikolevel. Nicht alle haben die Möglichkeit, offen oder sichtbar zu leben. Nutze Online-Plattformen und soziale Medien, um deine Community zu finden und dich mit anderen zu verbinden. Die Erkenntnis, dass du mit deinen besonderen Interessen nicht allein bist, ist zutiefst empowerend.
Wenn du kannst und bereit bist, empfehle ich dringend, eine lokale Community zu besuchen. Gruppen wie ECMC haben ein Verzeichnis der Mitgliedsclubs, das dir helfen kann, deine lokale Community zu finden. Soziale Medien wie Instagram und FetLife sind ebenfalls hilfreich, um Events und Munches (anfängerfreundliche Treffen ohne Pflicht zu Gear) im Blick zu behalten.
Zu denjenigen, die bereits aktiv in der Community sind, würde ich sagen: bitte achtet auf die, die neu sind und sich noch unsicher fühlen. Wir waren alle einmal dort, und das Beste, was wir geben können, ist Offenheit und Akzeptanz, selbst wenn die betreffende Person nicht unseren persönlichen Vorlieben entspricht. Die Kraft eines Lächelns und einer Begrüssung kann ein Leben verändern – unterschätzt das niemals.
Die HIV-Infektionen steigen: «Das ist kein Zufall», sagt Deutsche Aids-Hilfe (MANNSCHAFT berichtete).
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