In Wien verhafteten die Nazis Schwule sogar in der Dampfkammer
Im Esterházybad war es am schlimmsten
Nach derzeitigem Forschungsstand haben die Nazis in Wien etwa 1400 Männer und 80 Frauen wegen homosexueller Handlungen verfolgt. Über 100 Männer mussten in ein Konzentrationslager. Es überlebten nicht einmal 30 Prozent.
Österreich hat sich mit dem Gedenken an queere Menschen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden, viel Zeit gelassen. In diesem Jahr soll in Wien endlich im Resselpark am Karlsplatz ein entsprechendes Denkmal errichtet werden. In Berlin gibt es eine solche Gedenkstätte schon seit fünfzehn Jahren. Rechtzeitig zur Errichtung des Denkmals in Österreich liegen nun aktuelle und detaillierte Ergebnisse eines großen Forschungsprojekts über die Verfolgung von queeren Menschen in der NS-Zeit vor.
Verantwortlich dafür ist das queere Forschungszentrum QWIEN, das sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit diesem Thema beschäftigt (MANNSCHAFT berichtete). In einer Datenbank wurden bei QWIEN alle erhaltenen Strafakten der Wiener Gerichte aus der NS-Zeit erfasst und ausgewertet. Nach derzeitigem Forschungsstand wurden in Wien etwa 1400 Männer und 80 Frauen wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen beschuldigt. Viele Personen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, landeten in der Psychiatrie oder auf dem Operationstisch. Auch wurden Betroffene in den Suizid getrieben. Zudem konnten die Nazis Homosexuelle als sogenannte Gewohnheitsverbrecher zum Tode verurteilen. Aus der Datenbank von QWIEN geht hervor, dass von den 1400 beschuldigten Männern über 100 in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden. Von ihnen überlebten nicht einmal 30 Prozent.
Um diesen anonymen Zahlen ein Gesicht zu geben, erzählt der Historiker Andreas Brunner, Leiter von QWIEN, nun in einem Buch die Lebens- und Leidensgeschichten von 50 queeren Menschen, die in die Fänge der NS-Zeit geraten sind. Es sind Geschichten, die berühren und unter die Haut gehen. Die Aufgliederung nach den heutigen 23 Wiener Bezirken soll zeigen, dass in ganz Wien gleichgeschlechtlich liebende Menschen verfolgt wurden. Gleichzeitig erfahren die Leser*innen auch viel über die geheimen Treffpunkte von queeren Menschen.
An keinem Ort Wiens wurden so viele schwule Männer verhaftet wie im Esterházybad, das sich in der Gumpendorfer Strasse befand. Denn in dem Bad ermittelte regelmässig Kriminal-Oberassistent Karl Seiringer. Dieser besuchte sogar die Dampfkammer des Bades, wo er schwule Männer auf frischer Tat ertappte und festnahm. Aus Gerichtsakten geht hervor, dass sich Seiringer in der Dampfkammer die Plätze auf der oberen oder unteren Bank aussuchte, um einen guten Überblick zu bekommen.
Warnten die anwesenden Homosexuellen einander nicht vor der Gefahr? Oder schätzten sie jene unvorsichtigerweise falsch ein?
«Die Bekanntschaft zwischen diesen homosexuellen Männern entsteht dadurch, dass sie sich gegenseitig anschauen und dann gewissermassen mit den Zehen zu kokettieren beginnen. Der andere drückt auch darauf, und schon ist der Kontakt geschlossen», sagte Seiringer vor Gericht aus. Laut Brunner nahm Seiringer zwischen 1938 und 1945 mehr als hundert Männer im Esterházybad fest. Der Historiker stellt in dem Buch die Frage, ob Seiringer den schwulen Stammgästen des Bades nicht bekannt gewesen sei. «Warnten die anwesenden Homosexuellen einander nicht vor der Gefahr? Oder schätzten sie jene unvorsichtigerweise falsch ein?», schreibt Brunner.
Neben Bädern trafen sich schwule Männer auch in Parks und öffentlichen Bedürfnisanstalten, auch «Logen» genannt. Beliebte Treffpunkte waren in Wien vor allem die «Logen» im Resselpark, beim Hotel Wimberger am Neubaugürtel, am Naschmarkt, im Rathauspark, am Stephansplatz und die «Schwarzenbergloge» am Schwarzenbergplatz. Die Logen und Parks waren allerdings gefährlich, weil sie von der Polizei oberserviert wurden. Eine weitere Gefahr waren Schlägertrupps oder Erpresserbanden. Vor allem im Wiener Prater und in Parkanlagen machten junge Männer Jagd auf Homosexuelle. «Viele Bedrohte zahlten aus Angst. Nur selten kamen Fälle von Erpressung direkt zur Anzeige», schreibt der Historiker Brunner. So gab es in Wien eine Bande von drei Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren, die mit dem «Roten Hans» über drei Jahre hinweg etwa 300 schwule Männer «abgestiert» haben, wie es in dem Buch heisst. Abstieren ist ein Wiener Ausdruck und bedeutet: abgreifen, bestehlen oder jemanden das letzte Geld aus der Tasche ziehen.
Auch Lesben wurden verfolgt In dem Buch werden auch die Geschichten von Frauen, die sich wegen lesbischer Handlungen vor Gericht verantworten mussten, erzählt. Die österreichische Rechtsordnung hatte im europäischen Vergleich diesbezüglich eine Sonderstellung. Im Gegensatz zu anderen Ländern wurden in Österreich nicht nur Männer, sondern auch Frauen wegen Homosexualität strafrechtlich verfolgt. Laut Brunner belief sich der Anteil der verfolgten Frauen sowohl vor als auch nach der NS-Zeit mit leichten Schwankungen auf unter fünf Prozent. «Dies liegt darin begründet, dass lesbische Sexualität zumindest in privatem Rahmen stattfand, wohingegen sich Männer häufig an öffentlichen Orten trafen», schreibt Brunner. Auch wurden über Frauen viel geringere Strafen verhängt, was sich auch in der NS-Zeit nicht änderte.
Besonders schlimm erging es jenen schwulen Männern, die in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden. Diese Rosa-Winkel-Häftlinge hatten «oft seitens der Wachmannschaften besondere Brutalität und vor allem auch seitens der Mithäftlinge keinerlei Solidarität zu erwarten», heisst es in dem Buch. Dementsprechend gering seien auch ihre Überlebenschancen gewesen. In manchen Fällen gab es die Möglichkeit, mit der sogenannten freiwilligen Entmannung der Haft im Konzentrationslager oder einem angedrohten Todesurteil zu entkommen. Aber auch in Konzentrationslagern wurden solche Operationen durchgeführt. Das vorliegende Buch «Als homosexuell verfolgt. Wiener Biografien aus der NS-Zeit» ist aufwendig illustriert und eine absolute Leseempfehlung.
Andreas Brunner: Als homosexuell verfolgt. Wiener Biografien aus der NS-Zeit. Mandelbaum Verlag, Wien 2023.
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