Buchtipps Herbst: Liebe in Berlin und Familiengeheimnisse in London

Neues von Ozan Zakariya Keskinkılıç, Christina Fonthes und Lutz Jäncke

eine Person, die mit einem offenen Buch auf dem Boden liegt
(Bild: Unsplash, Caleb Fraze)

Von queeren Liebesgeschichten in Berlin bis zu Familiengeheimnissen in London: Ozan Zakariya Keskinkılıç erzählt poetisch von Begehren, Christina Fonthes berührt mit Migration und queerer Identität, und Lutz Jäncke räumt mit Geschlechterklischees auf.

Ozan Zakariya Keskinkılıç – Hundesohn Der erste Satz: Heute hat mich der Geruch von Lavendel, von Thymian, Minze und Salbei gerettet.

Das Genre: Der Debütroman von Ozan Zakariya Keskinkılıç, bekannt für seine Lyrik (Prinzenbad) und das Sachbuch «Muslimaniac». Queere Gegenwartsliteratur, die Liebesgeschichte, Migrations- und Familiengeschichte miteinander verbindet.

Das neue Buch «Hundesohn» von Ozan Zakariya Keskinkılıç
Das neue Buch «Hundesohn» von Ozan Zakariya Keskinkılıç (Bild: Suhrkamp)

Die Handlung: Zeko (eigentlich Zakariya, von «zakara»: erinnern) lebt in Berlin, sucht Nähe zwischen Sommerhitze, Dating-Apps und Begegnungen vor der Moschee. Doch immer wieder zieht es ihn in Gedanken nach Adana, zu Hassan, dem Nachbarsjungen seiner Sommerferien, den sein Grossvater Dede «Hundesohn» nannte.

Dede, der alten Männern die Sorgen aus dem Bart schnitt und ausser Gott niemanden fürchtete, ist nun tot, und Zeko zählt die Tage bis zur Rückkehr nach Adana. «In neun Tagen werde ich Hassan wiedersehen» wiederholt er wie ein Mantra – neun Tage, in denen Sehnsucht, Trauer, Begehren und ein unausgesprochenes Ereignis ihn zunehmend umkreisen.

Das Urteil: Keskinkılıç schreibt in einer Sprache, die zugleich zärtlich und direkt ist. Die Wiederholungen weben einen hypnotischen Rhythmus, der den Text vorantreibt, wie der Sog eines Herzschlags, dem ich mich nur schwer entziehen konnte.

«Hundesohn» ist ein sprachgewaltiger, poetischer Roman über Liebe, Begehren, Verlust, Sprache, Familie, Körper und das unausweichliche Erinnern – ein Buch, das nachhallt und schon jetzt eines meiner Lieblinge dieses Bücherherbsts ist. Roman, Suhrkamp Verlag, 219 Seiten

Christina Fonthes – Wohin du auch gehst Darum geht es: Nach Unruhen in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa wird die Jugendliche Bijoux zu ihrer Tante Mira nach London geschickt. Dort verliebt sie sich in eine Frau – ein Geheimnis, das sie vor ihrer streng religiösen Tante verbergen muss.

Doch auch Mira hat etwas zu verbergen: den wahren Grund für ihre eigene Migration nach Europa. Eine generationenübergreifende Geschichte über Migration, Trauma und queere Identität.

Buchcover «Wohin du auch gehst» von Christina Fonthes
Buchcover «Wohin du auch gehst» von Christina Fonthes (Bild: Diogenes)

Wir finden: Fonthes gelingt es, historische und persönliche Dimensionen eng miteinander zu verweben. Die Schilderungen der Lebenswelten sind detailreich und atmosphärisch dicht: von Kinshasas Strassen voller Musik und Gefahr bis zu den Sozialbauten in London.

Manche Sprünge zwischen Zeiten und Figuren fordern hohe Aufmerksamkeit und können den Lesefluss bremsen. Insgesamt jedoch ein eindrucksvoller Roman über den eigenen Weg zwischen Tradition und Selbstbestimmung, Migration und postkolonialen Traumata. Roman, Diogenes Verlag, 416 Seiten 

Lutz Jäncke – Mann und Frau, ein Auslaufmodell? Darum geht es: Gibt es nur zwei Geschlechter, oder sollten wir von einem Geschlechtskontinuum ausgehen? Steuern wir auf ein Unisex-Wesen zu? Neuropsychologe Lutz Jäncke untersucht, wie ähnlich sich Männer und Frauen tatsächlich sind – und wo die wahren Unterschiede liegen.

Buchcover «Mann und Frau, ein Auslaufmodell?» von Lutz Jäncke
Buchcover «Mann und Frau, ein Auslaufmodell?» von Lutz Jäncke (Bild: Hogrefe)

Basierend auf aktuellen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen räumt er mit hartnäckigen Klischees auf und zeigt, dass viele vermeintliche Gegensätze mehr mit gesellschaftlichen Rollenbildern als mit Biologie zu tun haben. 

Wir finden: Jäncke gelingt es, komplexe Forschungsergebnisse verständlich und spannend zu transportieren. Seine Argumente sind klar strukturiert und fundiert, allerdings verlangen manche wissenschaftlichen Passagen konzentriertes Mitdenken. Insgesamt bietet das Buch eine differenzierte und faktenreiche Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, Vorurteilen und der Frage, wie viel Natur und wie viel Kultur uns prägt. Sachbuch, Hogrefe, 264 Seiten

1978 machte eine Aktivistin in Zürich den ersten Schritt und trug dazu bei, das Homo-Register abzuschaffen. Heute stehen trans Jugendliche erneut unter Druck. Mona Gamie ruft in ihrer Kolumne zur Solidarität für queere Freiheit auf (MANNSCHAFT-Kolumne).

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