Nina Queer: «Dragqueen zu sein klebt an mir wie Hundekot am Schuh»

Bald auch im Kino mit der Horrorkomödie «Der Saft des Bösen»

Nina Queer
Nina Queer: «Drags haben vergessen, dass Shows eine Botschaft haben sollten» (Bild: Stefan Braunbarth)

Provokant, laut, kompromisslos: Nina Queer ist vieles – Drag-Ikone, Filmemacherin, Bestseller-Autorin. Im Interview spricht sie über Eitelkeit in der Dragszene, schlechte Schauspieler*innen und warum ihr schrilles Alter Ego sie nie ganz loslässt.

Die Berliner Mainstream-Ikone Nina Queer spart nicht an Eigenlob, wenn sie auf sich und ihren bisherigen Werdegang zurückblickt. Manche mögen das Egoismus nennen, andere halten es für eine Qualität. Denn einige von uns haben verlernt, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen oder die der anderen zu sehen und anzuerkennen. Mal mit einem Augenzwinkern, mal mit ernster Miene hält die gebürtige Österreicherin nicht nur sich selbst, sondern auch uns als Unterhaltungskonsumenten den Spiegel vor und betrachtet dabei nicht nur das Offensichtliche, sondern gerne auch die Schatten im Hintergrund. Beziehungsweise leuchtet sie diese so aus, dass man förmlich geblendet wird.

Nina Queer kommentiert mit spitzer Zunge alles, was ihr durch den Kopf geht. Vom aktuellen Pop- bis hin zum Polit-Geschehen. Jetzt wartet Madame Queer mit ihrem ersten Film, der Horrorkomödie «Der Saft des Bösen», auf, für die sie unter anderem Schauspiellegende Jürgen Vogel, aber auch TV-Gesichter wie Niels Ruf oder Sarah Knappik verpflichten konnte. MANNSCHAFT hat sich die kreative Allround-Künstlerin zur Brust genommen und durfte auch ihre zarten Seiten kennenlernen.

Nina, du bist seit vielen Jahren Teil der Drag-Welt. Wie hat sich die Szene deiner Meinung nach im Laufe der Zeit verändert? Diese Welt, wie auch das Internet und der Umgang miteinander, ist generell oberflächlicher geworden. Jeder will nur schön sein und nicht auffallen. Wie auf einem Instagram-Filter aussehen. Niemand denkt mehr an die grosse Kunst und all den Spass, den dieser Beruf einst mit sich brachte. Ich sehe nur noch selbstverliebte Dragqueens, die ihre Münder zu Playback bewegen wie Fische, bevor sie sterben, wenn sie von einem Angler an Land gezogen werden. Der Höhepunkt ihrer uninspirierten Shows sieht immer gleich aus: Sie reissen sich irgendwelche Klamotten vom Leib und zeigen ein bisschen Haut. Dann wollen sie dafür gefeiert werden, und ich frage mich: Wofür eigentlich? Dafür, dass sie mit ihrer Darbietung nicht einmal das Minimum erreicht haben, das man von Unterhaltung erwarten kann? Die Drags von heute haben vergessen, dass eine Show eine Botschaft haben, eine Geschichte erzählen oder zumindest witzig sein sollte. Leider ist alles nur noch sexy, glatt und sinnlos.

Ich will nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft sein. Ich bin eine vielseitig begabte Künstlerin. Ein Gesamtkunstwerk, wenn ich das so sagen darf. Es ist eher Zufall, dass ich meine Arbeit in Drag mache. Eine Art schriller Bonus. Nach 25 Jahren Erfolg und einer grossartigen Karriere muss ich sagen, dass mir dieser Bonus allerdings eher hinderlich war. Mit meinen kreativen Fähigkeiten hätte ich die 100 Millionen Gage von Stefan Raab bei RTL einstreichen müssen. Ja, wäre ich keine Dragqueen, hätte man mich nie in diese eine Schublade gesteckt und ich wäre heute eine weltweit agierende Geschäftsfrau und würde Filme in Hollywood drehen. Dragqueen zu sein klebt an mir wie Hundekot an einem Schuh mit viel zu tiefem Profil.

«Für voll genommen zu werden, nicht unterschätzt zu werden, das ist die grösste Herausforderung und der schwerste Kampf meines Lebens.»

Nina Queer

Wie bleibt man als Dragkünstler*in relevant? Das ist mir egal. Ich möchte als Künstlerin im Allgemeinen relevant bleiben, nicht als Drag. Das geht nur, indem man sich ständig weiterentwickelt und seine Interessengebiete erweitert. Man darf sich der Zukunft nicht verweigern, sollte aber immer ein Auge auf die Vergangenheit haben.

Was sind deine grössten Herausforderungen abseits der Bühne? Dass ich nicht immer ernstgenommen werde. Ich war 10 Jahre meines Lebens ein Mainstream-TV-Star. 15 Jahre lang Radiomoderatorin. Ich bin Regisseurin, Geschäftsfrau, Mode- und Produktdesignerin. Ich bin Bestseller-Autorin und Popstar. In all diesen Tätigkeiten war und bin ich unglaublich erfolgreich. Jeder Bereich für sich hat mich nachweislich reich gemacht, und niemand kann mir diese Erfolge, die sich in Zahlen ausdrücken, absprechen. Aber wurde ich jemals mit einem dieser Berufe beschrieben oder in Verbindung gebracht? Nein. Es hiess höchstens: «Die Dragqueen, die ein Buch geschrieben hat». Für voll genommen zu werden, nicht unterschätzt zu werden, das ist die grösste Herausforderung und der schwerste Kampf meines Lebens.

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«Guter Trash sollte professionell sein.» (Bild: Stefan Braunbarth)

Wo hört denn deine Drag-Persona auf und wo fängt die Privatperson an? Oder lassen sich diese beiden Identitäten nicht voneinander trennen? Ich bin immer Nina Queer. Ich lüge die Menschen nicht an. Ich mache ihnen nichts vor. Ich bin immer ich. Immer die selbe Person. Ob mit oder ohne Fummel und Perücke.

Welche Verantwortung fühlst du als öffentliche Person gegenüber der LGBTIQ-Community? Ich setze mich für die Opfer von Gewalt gegen Homosexuelle ein, weil es kaum eine ehrliche und offene Lobby gibt. Die Menschen werden meist alleine gelassen, auch weil unsere teils doppelzüngige Community nicht gerne über die Täter spricht. Ansonsten empfinde ich Verantwortung für alle meine Mitmenschen und nicht nur für einen Teil davon.

Was hat dich dazu bewogen, neben deiner Karriere als Partyveranstalterin, Performerin und Komikerin auch noch einen Film zu produzieren? Die Tatsache, dass ich dazu in der Lage bin. Ich bin eine grossartige Autorin und wer könnte meine Fantasien und Geschichten besser umsetzen als ich? Ich habe meine Figuren schon vor Augen, wenn ich über sie schreibe. Ich weiss, wie sie aussehen, ich höre, wie sie sprechen. Ausserdem habe ich selbst in zehn Filmen mitgespielt, von denen einer schlechter war als der andere. Ich hatte die Nase voll. Deshalb habe ich beschlossen, selbst einen zu machen, und ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen. Es wird bestimmt nicht mein letzter sein.

Dein Debüt heisst «Der Saft des Bösen». Du bezeichnest es als Trashfilm. Was macht denn guten Trash aus? Ja, es ist kein Hollywood-Blockbuster, dafür fehlten mir die finanziellen Mittel. Auch wenn es ein Trashfilm ist, ist er immer noch besser als jeder Streifen von Til Schweiger. Das muss an der Stelle gesagt werden! Guter Trash sollte professionell sein. Wir haben an tollen Drehorten und ausschliesslich in Kinofilmqualität gedreht. An diesem Film haben bis auf wenige Ausnahmen im Schauspielensemble nur Profis gearbeitet. Am Ende steht und fällt aber alles mit dem Drehbuch und dem Schnitt. Ich denke, beides ist uns gut gelungen.

Welche Trashfilme zählen zu deinen Favoriten? Ich mag alles von John Waters. Ausserdem liebe ich die Splatter-Movies der Siebziger und Achtziger.

Ist bei der Produktion von «Der Saft des Bösen» alles so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast? Oder gab es Probleme, mit denen du nicht gerechnet hast? Ja, ja und ja. Oh Gott, ja. Es gab 1000 Dinge, die nicht so gelaufen sind, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber ich bin ein Mensch, der sich schnell an neue Situationen gewöhnt, und ich bin bekannt dafür, Schwierigkeiten schnell und unkompliziert zu lösen. Das hat mir bei meinem Film sehr geholfen.

Welche Momente während der Dreharbeiten sind dir besonders in Erinnerung geblieben? Am ersten Drehtag wollte ich eine meiner Hauptdarstellerinnen feuern. Sie war schrecklich und konnte ihren Text nicht. Sie hatte ihn weder ernsthaft gelernt, noch konnte sie ihn richtig aussprechen und spielen. Ich war sehr wütend. Aber wir drehten auf dem Land und es gab keinen Ersatz. Die Kosten für den Film waren enorm und wir konnten uns die gebuchte Villa am See nicht länger leisten. Also drehten wir weiter. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf: Ich lasse diese untalentierte Amateurin einfach nachsynchronisieren.

Erst viele Monate später, beim Schnitt, habe ich gemerkt, dass ihre Art aber genau das ist, was die Figur Brunhilde im Film so witzig macht. Sie ist offensichtlich eine schwer gestörte Frau mit einem Sprachfehler und Konzentrationsschwierigkeiten. Finde erst mal eine Schauspielerin, die das überzeugend darstellen kann.

Wenn du dir den fertigen Film anschaust – was ist dir besonders gut gelungen? Was ist schief gegangen? Das Endergebnis überzeugt mich voll und ganz. Natürlich ist es mein erster Film und es haben sich kleine Fehler eingeschlichen, aber ich garantiere, dass die Zuschauer*innen davon nichts merken werden, sich auf Unterhaltung auf höchstem Niveau und Humor aus echten Untiefen freuen dürfen.

Nicht nur an der einen oder anderen Stelle in «Der Saft des Bösen», sondern auch sonst überschreitest du gerne Grenzen, die andere als geschmacklos definieren. Was reizt dich daran? Mich reizt das überhaupt nicht. Ich kann nichts dafür, wenn Leute meinen Humor als Grenzüberschreitung empfinden. Die Messlatte liegt bei jedem anders. Ich bin da sehr tolerant. Aber ich habe auch schon am eigenen Leib erfahren, wie schrecklich es sein kann, missverstanden zu werden. Schliesslich hätte mich ein schlechter Witz über Adolf Hitler fast meine Karriere gekostet.

Welche Argumente deiner Kritiker*innen kannst du nachvollziehen, welche nicht? Soll ich jetzt Leute, die im Internet trollen, als Kritikerinnen ansehen? Nein, wirklich nicht! Kritikerinnen wären für mich anspruchsvolle Journalist*innen, die sich intensiv mit meiner Arbeit auseinandersetzen und von denen ich mir etwas anhören oder sagen lassen würde. Aber die haben sich schon vor Jahren von mir verabschiedet, und so bin ich vogelfrei und muss mich nicht an Normen und Regeln halten, an die alle anderen so sehr gebunden zu sein scheinen.

Wie gehst du mit Shitstorms um? Du hast ja schon einige erlebt. Das Schlimme ist, dass wir in einer Welt leben, in der man mit Liebe keine Aufmerksamkeit mehr generieren kann. Das geht nur noch mit Hass und Skandalen. Als moderner PR-Profi mache ich mir das natürlich zunutze.

Neben deinem Filmprojekt bist du derzeit in deiner eigenen Call-In-Talkshow «Nina hebt ab» bei Alex TV zu sehen. Was reizt dich an diesem Format? Damit geht ein Traum in Erfüllung, den ich seit 20 Jahren träume. Ich wollte schon immer eine eigene Call-In-Talkshow haben. Aber viele Sender haben das als zu altmodisch und langweilig abgetan. Als mein ehemaliger Chef Lutz von Comedy Central zu Alex TV, einem Berliner Sender, wechselte, fragte er mich, ob ich mitkommen wolle und liess mir freie Wahl bei den Projekten. Ich entschied mich also für «Nina hebt ab» und siehe da, die Sendung wurde innerhalb weniger Wochen ein Riesenerfolg. Wir erreichen mit der Show und Clips daraus oft bis zu einer halben Million Zuschauer*innen. Und da sind diejenigen, die uns im Radio hören, noch gar nicht mitgezählt.

Du versuchst in deiner Sendung auch gegensätzliche Standpunkte zu Wort kommen zu lassen. Warum ist dir das wichtig? Menschen haben unterschiedliche Meinungen und ich versuche in meiner Sendung eine Diskussionskultur wiederzubeleben, die uns leider verloren gegangen ist. Ein Miteinander kann es nur geben, wenn man nicht immer nur die eigene Meinung als richtig empfindet und gelten lässt. Für geistige Weiterentwicklung braucht es Gespräche und Austausch mit anderen.

Gibt es Projekte oder Ziele, die du in nächster Zeit erreichen möchtest? Demnächst geht meine Homepage NinaQueer.com in einer neuen Version online. Dort wird es über 1000 Kleidungsstücke und Produkte geben, die ich selbst entworfen habe. Ich werde dort meinen eigenen Sex-Shop betreiben, Kunstwerke versteigern und Musik und Filme von mir anbieten, lange bevor sie auf den regulären Plattformen erhältlich sind. Zudem schreibe ich bereits an meinem nächsten Drehbuch, produziere und texte für die HipHop-Künstler Der Talahon und Sebastiano und bringe dieses Jahr mein erstes Weihnachtsalbum «MILF Christmas» auf den Markt.

Den ganzen Sommer bin ich mit «Der Saft des Bösen» in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. Im Herbst startet dann meine neue TV-Show «Wo keiner hin will – Das Reisemagazin für Menschen, die lieber zu Hause bleiben». Ich glaube, das reicht!

Ein Special Screening von «Der Saft des Bösen» mit Nina Queer findet am 16. Juni im Berliner Kino Babylon Kreuzberg statt.

Mehr zum Thema: Dragqueens auf der Flucht – der «Polizeiruf» aus München (MANNSCHAFT berichtete)

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