Boykott oder Annäherung? Wie man mit Homophobie (auch) umgehen kann
Eine Geschichte aus dem niederländischen Bible Belt
Wie umgehen mit Menschen, die homophobe Ansichten vertreten? Man kann sie meiden, andere mögen sie lieber beschimpfen. Wieder andere suchen das Gespräch. So wie ein schwules Paar aus den Niederlanden.
Krankheiten, Unfälle und Naturkatastrophen sind eine Strafe Gottes, der dafür schon seinen guten Grund haben wird. So sehen es die rund 400‘000 orthodoxen Calvinist*innen in den Niederlanden, die Mitglieder der «Zwarte Kousen-Kerk», wie sie heissen: der «Schwarzstrümpflerkirche», benannt nach den dunklen Beinkleidern ihrer weiblichen Mitglieder.
Diese orthodoxen Christ*innen glauben, dass Radiohören schädlich ist, Fernsehen sowieso. Parteiämter für Frauen: des Teufels! Homosexualität? Geht gar nicht! Gut zwei Prozent der niederländischen Bevölkerung glauben das. Sie leben im sogenannten «Bible Belt» (Bibelgürtel), der sich von Zeeland bis zum Overijssel im Norden erstreckt. Dazwischen gehören Teile mehrerer Provinzen dazu, auch Utrecht. Die Gemeinde Veenendaal liegt hier, bekannt unter Bahnreisenden, die von Deutschland nach Amsterdam fahren – hier hält im Halbstundentakt der Intercity.
Eine Viertelstunde mit dem Auto entfernt, in einem kleinen Ort in der Provinz Utrecht, leben Klaus und Ben. Die beiden Männer sind seit gut 18 Jahren verheiratet. Für Ben, den Niederländer, ist der Deutsche Klaus hierher gezogen. Sie besitzen ein Haus und einen grossen Garten. Anfeindungen kennen sie nicht, sie pflegen gute, teils freundschaftliche Beziehungen zu ihren Nachbarn. Man kennt sie im Ort.
Sie trennen Müll oder versuchen ihn ganz zu vermeiden. Zu diesem Zweck kaufen sie so viele Lebensmittel wie möglich in einem Geschäft ein, das Obst und Gemüse, Reis und Nudeln auch Olivenöl und Waschmittel ohne Plastik-Verpackung verkauft. Es ist ein kleiner Laden, meist sitzt die Chefin selbst an der Kasse.
Diese Frau, nennen wir sie Sigrid, gehört zur orthodoxen Christenheit der Niederlande – dem Land, wo bei den letzten Wahlen dem Rechtspopulisten Geert Wilders ein triumphaler Wahlsieg gelang (MANNSCHAFT berichtete).
Homosexualität ist in ihren Augen eine Sünde. Ihre beiden Kunden, Klaus und Ben, sind Sünder. Wie sie über die beiden denkt, haben die Männer zufällig erfahren.
Als Ben dort einkaufen war, erzählte Sigrid ganz nebenbei, dass sie mit einem Nachbarn über die beiden gesprochen hätte: Klaus und Ben seien sehr nette Männer, so das einhellige Urteil. Aber die Beziehung und dass sie verheiratet seien, könne man gar nicht gutheissen. Ob Ben das schlimm finde?
«Natürlich kann jeder sagen, was er sagen will», erwiderte Ben, packte seine Einkäufe und radelte nach Hause, wo er seinem Mann erstmal alles erzählen musste.
Beide waren einigermassen entsetzt, legten das Thema aber erstmal ad acta. Als Klaus ein paar Tage später wieder im Laden war, sprach die Chefin ihn auf das Thema an. Sie habe schon erwartet, dass Ben nicht kommen würde. Ob er böse sei? Sie erklärte, sie plappere manchmal einfach daher, ohne über die Konsequenzen nachzudenken.
Klaus hörte sich alles an und fing an, zu erzählen. Dass es für ihn als schwulen Mann fast zum täglichen Leben gehört, in den Medien, auf der Strasse, auf der Arbeit, in der Nachbarschaft oder sogar in der eigenen Familie homophoben Äusserungen ausgesetzt zu sein. Dass vor ein paar Jahren ein Männer-Paar in Arnheim auf offener Strasse zusammengeschlagen wurde oder dass man als schwuler Mann auch in den Strassen von Amsterdam heute besser vorsichtig sein sollte und nicht allzu sichtbar. Auch die Äusserungen von Sigrid gehörten in die Kategorie Diskriminierung, liess Klaus sie wissen.
Man lerne damit zu leben, auch wenn es immer wieder weh tue, sagte Klaus und wunderte sich, wie ruhig seine Stimme dabei blieb. Sigrid hörte aufmerksam zu. Doch als ein weiterer Kunde den Laden betrat, war das Gespräch beendet. Kurz vor Verlassen des Ladens flüsterte die Geschäftsfrau Klaus ins Ohr, dass sie das Bedürfnis habe, ihn in den Arm zu nehmen und zu drücken, doch der hinzugekommene Kunde störe.
Eine Woche verging, und Sigrid stand plötzlich morgens bei den Männern vor der Haustür. Es täte ihr alles leid, und sie wollte sich bei Ben entschuldigen.
Die eigene Sexualität kann man sich nicht aussuchen; die Kirche dagegen schon.
Zwei Stunden unterhielten sich die beiden, Klaus musste arbeiten. Sigrid erzählte aus ihrem Leben als streng Gläubige und Ben aus dem seinigen als schwuler Mann und Familienvater. Am Ende hatten beide gefühlt mehr Verständnis füreinander, erinnert sich Ben. Sie teilten zu 90 % gemeinsame Werte wie Naturschutz, Nachhaltigkeit und Pflege der Nachbarschaft. «Aber es blieben die trennenden 10%, ein Keil zwischen uns», wie Ben es ausdrückt. Die Calvinistin wollte den Dogmen ihrer Kirche treubleiben; Sex unter Männern und gar die Ehe zwischen ihnen, das blieb ein Tabu.
Für Ben ist Einmischung in das Leben anderer eine inakzeptable Haltung. Und schliesslich: Die eigene Sexualität kann man sich nicht aussuchen; die Kirche dagegen schon.
Es war ein gutes Gespräch, erinnert sich Ben, sehr offen und teils sehr vertraulich, fast wie unter Freunden. Er und sein Mann Klaus kaufen auch weiter in Sigrids Laden ein. Und führen gute Gespräche mit ihr. Ab und zu ist spürbar, dass sie sich inhaltlich dem kritischen 10-%-Bereich nähern. Dann wird ein nett gemeinter Spruch mit einem Lächeln gemacht. Oder das Thema wird, wie man auf Niederländisch sagt, umsegelt.
Die Männer fühlen sich in ihrem überwiegend calvinistischen Dorf auch weiterhin zu Hause. Sie haben das gute Gefühl, von Sigrid und den meisten anderen respektiert zu werden. Vielleicht wird daraus ja irgendwann Akzeptanz.
Ein queerer Asylbewerber ist in den Niederlanden schwer misshandelt worden. Die LGBTIQ-Organisation LGBT Asylum Support habe mehrmals vergeblich auf homophobe Vorfälle aufmerksam gemacht, heisst es (MANNSCHAFT berichtete).
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