Jetzt doch: Neubrandenburg bekennt sich zur Pride-Flagge

Toleranz und Vielfalt sollen gefördert werden

Demo in Neubrandenburg
Demo in Neubrandenburg (Archivbild) (Bild: Stefan Sauer/dpa)

Nach einer folgenreichen Sitzung im Oktober sind erstmals die Neubrandenburger Stadtvertreter*innen wieder zusammengekommen. Es ging auch um die umstrittene Regenbogenfahne, aber nicht nur.

Der Streit um das Hissen der Fahne in Neubrandenburg hat in der Stadtvertretersitzung für teils hitzige Diskussionen gesorgt.

Am Mittwoch ging es dabei auch um den Umgang miteinander und die Aussenwirkung der Stadt. Neubrandenburg war in die Negativ-Schlagzeilen geraten, nachdem die Stadtvertreter im Oktober per Beschluss die Regenbogenfahne vom Bahnhofsvorplatz verbannt hatten. Oberbürgermeistern Silvio Witt (parteilos) hatte danach seinen Rücktritt angekündigt.

Nun bekannten sich die Ratsherren und Ratsfrauen zu der Fahne als internationales Symbol für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit. Eine entsprechende Beschlussvorlage von mehr als zwei Dutzend Stadtvertreter*innen verschiedener Fraktionen erreichte eine deutliche Mehrheit. Der Beschluss bedeutet aber nicht automatisch, dass die Flagge vor dem Neubrandenburger Bahnhof wieder aufgehängt wird. Die Stadtverwaltung wird beauftragt, Massnahmen «zur Förderung einer angemessenen und dauerhaften Sichtbarkeit von Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt in der Stadtgesellschaft» vorzulegen.

Der Ratsherr Tim Großmüller vom Wählerbündnis Stabile Bürger Neubrandenburg, der mit seinem Antrag für die Verbannung gesorgt hatte, hatte zeitweise eine Beschlussvorlage eingebracht, die vorsah, abwechselnd die Deutschland-, Landes-, Stadt- und Regenbogenflagge vor dem Bahnhof zu hissen. Dem Nordkurier hatte er gesagt, das Ziel, dass Witt gehe, habe er erreicht.

Am Mittwoch zog er seine Vorlage wieder zurück. Er brachte die Fahne mit der aus seiner Sicht gescheiterten Politik der Berliner Ampel-Koalition in Verbindung. Die Fahne sei politisiert und sexualisiert. Mit einem Antrag, der sich gegen sprachliches Gendern richtete, scheiterte Großmüller. Bei der Abstimmung zum Bekenntnis zur Fahne enthielt er sich. Die AfD-Fraktion verliess den Saal, um nicht abstimmen zu müssen.

Die queere Community in Mecklenburg-Vorpommern sieht sich derweil vor grosse Herausforderungen gestellt, «die durch den anhaltenden Rechtsruck sowie Extremismus und die damit einhergehende Queerfeindlichkeit verstärkt werden». Diese Entwicklung sei nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ spürbar und habe tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben und die Sicherheit queerer Menschen im Nordosten, heisst es in einem veröffentlichten Positionspapier.

So nähmen Diskriminierung, Gewalt und Hassrede gegen queere Menschen zu. Diese Tendenzen fänden auch in breiten Teilen der Bevölkerung Anklang. Das zeigen nach Ansicht der Community nicht zuletzt der mutmassliche Brandanschlag auf eine queere Bar in Rostock, sowie das Verbot der Regenbogenflagge auf dem Neubrandenburger Bahnhofsvorplatz. In der Vergangenheit waren in der Stadt immer wieder Pride-Flaggen gestohlen worden (MANNSCHAFT berichtete).

Die queere Gemeinschaft appelliert in ihrem Papier an Landtag, Landesregierung und Zivilgesellschaft, «gemeinsam gegen diese Entwicklungen vorzugehen und die Rechte und das Wohlbefinden queerer Menschen zu schützen».

Nach der Verbannung der Regenbogenflagge vom Bahnhofsvorplatz durch die dortige Stadtvertretung kündigte Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) vor einem Monat seinen Rücktritt an und erregte bundesweit Aufmerksamkeit. Die Entscheidung sei schon länger gereift, sagt Witt der Deutschen Presse-Agentur.

«Natürlich habe ich diese Aufmerksamkeit jetzt genutzt, um darauf aufmerksam zu machen, was falsch läuft in demokratischen Prozessen, in der Kommunalpolitik, insbesondere hier in Neubrandenburg.» Dem offen homosexuell lebenden Politiker schlägt ein rauer Ton entgegen. Etwa ein Dutzend Strafanzeigen habe er am Laufen wegen Beleidigungen.

Auch der Antrag gegen die Flagge sei gegen ihn gerichtet gewesen. «Man hat gedacht, das schadet ja auch nichts, wenn er da mal einen Dämpfer bekommt. So interpretiere ich das.» Das bestätigte selbst der Antragssteller, Tim Großmüller. «Mir ging es ganz klar darum, den Politiker Silvio Witt weg aus dem Amt zu bekommen, weil er ein Hemmnis in der Weiterentwicklung der Stadt Neubrandenburg war», sagte er kürzlich dem Nordkurier. Mit der dpa wolle er nicht sprechen. Auch eine E-Mail-Anfrage liess er unbeantwortet.

Großmüller, Betreiber unter anderem eines Fitnessstudios und bei den Kommunalwahlen im Sommer über das Wählerbündnis «Stabile Bürger Neubrandenburg» in die Stadtvertretung gewählt, ist kein Unbekannter. Im März 2024 gab es eine Durchsuchung bei einem «kommunalpolitisch ambitionierten Unternehmer aus Neubrandenburg», wie die Polizei damals schrieb. Laut Nordkurier bestätigte Großmüller, dass es um ihn ging. Das legen auch Posts auf der Facebook-Seite der «Stabilen Bürger NB» nahe, die Großmüller demnach betreibt.

Hintergrund der Durchsuchung war nach damaligen Polizeiangaben unter anderem der Verdacht der Volksverhetzung und der üblen Nachrede. Auch um Videos auf der Facebook-Seite ging es, die Witt mit entblösstem Oberkörper tanzend in einer Disco zeigen, versehen mit Regenbogenfahne und als drastische Beleidigung zu lesender Bildunterschrift. Laut Staatsanwaltschaft dauern die Ermittlungen gegen «einen kommunalpolitisch tätigen Unternehmer wegen Beleidigung» an, unter anderem zum Nachteil des Oberbürgermeisters.

Neben den Themen Gewaltverbrechen, Kritik an der Regierung, besonders der Migrationspolitik, ist die Regenbogenfahne auf der Facebook-Seite der «Stabilen Bürger» omnipräsent. «Auf meinem Facebook-Profil findet man das zweimal im gesamten Jahr», sagt Witt. Das Thema werde von Rechten bewusst nach vorn gestellt. «Dadurch will man ja auch die sogenannte gesellschaftliche Mitte gewinnen und sagen: ,Findet ihr nicht auch, dass das übertrieben ist?'» Vor wenigen Jahren habe Großmüller der Stadt Korruption vorgeworfen im Zuge einer gescheiterten Umwandlung eines von ihm gekauften Grundstücks zu Bauland.

Witt von demokratischer Mitte enttäuscht

«Ich habe erwartet, dass wenn jemand, der wirklich einen so plakativ destruktiven, beleidigenden Wahlkampf gemacht hat, wenn so jemand eine Vorlage bringt, mit diesem Inhalt, dass zumindest die demokratische Mitte sich intern abstimmt und sagt: ,Also ganz klar wir stimmen dagegen'.» Einige Stadtvertreter*innen waren nicht anwesend. Die AfD sowie ein weiteres Wählerbündnis und der fraktionslose Großmüller hatten für den Antrag gestimmt. Die CDUplus-Fraktion enthielt sich grösstenteils, lehnte ihn aber auch in Teilen ab. Die Fraktion, die aus BSW und einem weiteren Wählerbündnis besteht, enthielt sich grösstenteils, stimmte teilweise aber auch dem Antrag zu.

«Da waren wirklich Sachen bei, die gehören sich einfach nicht.»

Jan Kuhnert (BSW/BfN)

«Scheisse», das sei seine erste Reaktion gewesen, nachdem er Witts Rücktrittsankündigung gelesen habe, sagt Jan Kuhnert, Vorsitzender der Fraktion BSW/BfN. Mit dieser heftigen Reaktion habe er nicht gerechnet. Dass der Oberbürgermeister unter anderem von Großmüller wiederholt diffamiert worden sei, wisse er. Er kenne teils die Nachrichten, die Witt erhalten habe. «Da waren wirklich Sachen bei, die gehören sich einfach nicht.»

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