Divers, bunt, überwältigend – «Vivid» am Friedrichstadt-Palast
Die neue Show feierte am Donnerstagabend umjubelte Premiere
Eingestimmt und eingeschworen wird man auf den Abend durch Intendant Berndt Schmidt, der vor einigen Jahren damit begann, Botschafter aus homophob regierten Ländern nicht mehr zur Premiere einzuladen – sie dürfen freilich kommen, müssten sich ihr Ticket aber selber kaufen. Auch vor dieser Premiere weist Schmidt darauf, wie divers das Ensemble am Friedrichstadt-Palast ist – Tänzer*innen und Musiker*innen stammen aus der ganzen Welt, sind christlich, jüdisch, muslimisch, auch ist jede sexuelle Orientierung vertreten, so wie es mehr als zwei Geschlechter gibt, sagte er vorab.
Schmidt, der das Traditionshaus an der Friedrichstraße enorm erfolgreich führt – 2017 hat man einen Gewinn von 1,9 Millionen Euro eingefahren, den höchsten seit vielen Jahren – erklärt sein Team zu den freundlichen Gesichtern Deutschlands und erntet viel zustimmenden Applaus.
Die Handlung ist bei den Shows im Friedrichstadt-Palast ja immer tendenziell zweitrangig, sie dient mehr als roter Faden, als Struktur. So wird in der neuen Grand Show die junge R’eye von ihrem Vater getrennt und in eine Androidin transformiert. Halb Mensch, halb Maschine wird ihr uniformiertes Dasein nun fremdbestimmt, aber ihre Sehnsucht nach Freiheit, nach Schönheit bleibt. Dass sie eines Tages aus der Reihe tanzt, gegen den Strom schwimmt und sich gegen eine binäre Ordnung stellt, wird belohnt, weil sie die Welt neu entdeckt, eine überwältigende Schönheit der Dinge wahrnimmt, die man sonst oft übersieht. Soweit der grobe Rahmen.
Dann wird man überwältigt von Eindrücken, von Licht und Farben – so sinnlich und kraftvoll stellt man sich einen zünftigen LSD-Trip vor oder die Auswirkungen einer Überdosis Absinth. Wie so oft in den Grand Shows im Friedrichstadt-Palast weiß man stellenweise nicht, wo man zuerst hinschauen soll, ständig segelt jemand elegant von der Decke, tanzt durch die Zuschauerreihen und klettert aus dem Bühnenboden.
Für die Hutkreationen des Designers Philip Treacy würde jede Drag Queen, die etwas auf sich hält, töten
Für die Kostüme und vor allem die Hutkreationen des irischen Designers Philip Treacy würde jede Drag Queen, die etwas auf sich hält, töten. Nachdem er neben Lady Gaga und Madonna auch königliche britische Häupter behütet hat und sogar für die Filme der Harry-Potter-Reihe Kopfbedeckungen kreierte, ist er nun in Berlin angekommen. Dem Ballett setzte er Kappen aus Leuchtstoffröhren auf, die sich an- und ausknipsen lassen und farblich einmal sogar als Regenbogen erstrahlen.
„Revueshows und Kopfschmuck bilden seit jeher eine grandiose Symbiose“, schwärmte Indendant Schmidt schon vorab. Treacy setze „selbst einer Königsdisziplin wie der Haute Couture noch die Krone auf“.
Artistischer Höhepunkt der Show ist der Aufritt der Navas Troupe aus Südamerika (unser Titelbild). Wie leichtfüßig sich die ecuadorianischen Brüder Ray und Rony Navas durch die beiden miteinander verbundenen Laufrädern bewegen und schließlich noch Salti schlagen, das ist so spekatukulär, dass es die Premierenbesucher von den Stühlen reißt und es mitten in der Show die ersten Standing Ovations gibt.
Der Vergleich mit Las Vegas, der für den Berliner Friedrichstadt-Palast oft bemüht wird, trifft bei „Vivid“ mal wieder absolut zu. Die musikalischen Nummern, die – so fett sie auch produziert sind – mitunter mehr nach Jeannette Biedermann klingen, können da nicht immer mithalten. Das macht aber nichts: Diese Show kann sich zweifellos sehen und hören lassen.
Und dass in dem Theater, das nächstes Jahr sein 100. Palast-Geburtstag feiert, mit Krista Monso, der früheren künstlerischen Leiterin des Cirque du Soleil, endlich mal eine Frau Regie führte, verdient nochmal einen Extra-Applaus.
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