«Rechte und linke Queers sind nicht demselben Druck ausgesetzt»

Warum sich Kühnert, Ganserer und Co zurückziehen

Michael Hunklinger
Michael Hunklinger (Bild: zVg)

Etliche queere deutsche Politiker*innen mit hohen Ämtern ziehen sich dieser Tage zurück oder haben den Rückzug angekündigt. Über Linke und Rechte und über die Lage in Österreich sprachen wir mit dem queeren Politikwissenschaftler Michael Hunklinger.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: zurückgetreten (MANNSCHAFT berichtete). Die Co-Chefin der Grünen Ricarda Lang führt die Partei nur noch ein paar Tage (MANNSCHAFT berichtete). Michael Roth (SPD) und Tessa Ganserer (Grüne) wollen nächstes Jahr nicht mehr für den Bundestag kandieren. Auffallend viele bekannte queere Köpfe ziehen sich aus der Politik oder von Ämtern zurück. Oft, nicht immer, mit klarem Verweis auf die Anfeindungen, die sie mürbe machen.

Michael Hunklinger ist Politikwissenschaftler, Buchautor («Pride») und Experte für Queer Politics. Der 35-Jährige stammt aus Bayern, lebt in Wien und lehrte zuletzt in Amsterdam, demnächst an der Universität für Weiterbildung Krems.

Michael, wir haben in den letzten Jahren in Deutschland etliche Politiker*innen an prominenten Schaltstellen der Macht gesehen: einen schwulen Generalsekretär der SPD, eine bisexuelle Grünen-Chefin, zudem sitzen zwei trans Politikerinnen im Bundestag (Grüne). Auf konservativer bzw. rechter Seite gab es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die AfD wird von der lesbischen Alice Weidel geführt ...

Einerseits sehen wir, dass das politische Personal diverser wird. Nehmen wir das Beispiel Alice Weidel. Das ist etwas, was vielen vielleicht nicht gefällt, aber ich glaube, es ist auch ein Zeichen von Fortschritt, dass eine lesbische Frau wie sie, die anti-queere Politik macht, trotzdem weit vorne steht, an der Spitze einer Bundestagsfraktion oder auch Partei.

Aber wir sehen noch etwas: Da sind vor allem konservative und liberale Politiker, mehr Politiker als Politikerinnen, die z.B. schwul sind wie etwa Konstantin Kuhle, die das zwar nicht verstecken, es aber auch nicht eindeutig zu ihrer Politik machen. Die positionieren sich ab und an, aber das läuft bei ihnen eher so mit.

Bei linken Politiker*innen wie Kevin Kühnert oder Tessa Ganserer sehen wir, dass die sich inhaltlich sehr viel mehr mit dem Thema LGBTIQ beschäftigen. Das ist einer dieser Zusammenhänge, warum da mehr Hass kommt durch mehr Angriffsfläche, weil sich die auch viel klarer positionieren.

Foto: Twitter/Konstantin Kuhle
Konstantin Kuhle (Bild: X/Konstantin Kuhle)

Nun werden ja auch Figuren wie Weidel oder Jens Spahn sicher angegangen. Bei ihnen kann man sich nur schwer vorstellen, dass die irgendwann hingehen und sagen, sie halten den Druck nicht mehr aus. Beiden wirken eher unkaputtbar.

Ich glaube, die haben diesen Druck nicht, die haben einen anderen Druck. Das ist auch das Spannende, weil die sich ja auch nicht solidarisch positionieren mit der Community oder mit anderen Teilen der LGBTIQ Community, sondern es sind Personen wie Jens Spahn, der sagt: Ich bin schwul, sicher nicht queer, und die anderen Leute sind mir egal.

Ich glaube, die grundsätzliche Ideologie, die dahintersteckt, ist natürlich dieses Nicht-Solidarische. Im liberalen Denken wird viel mehr auf das Individuum geschaut, während es bei Linken in der Tendenz auch darum geht, auf andere zu schauen.

Jemand wie Spahn positioniert sich in Debatten nicht progressiv und solidarisch, etwa wenn es um Trans-Rechte geht. Das heisst es dann: Ich habe für mich dieses konservative Familienbild entschieden, ich kann als Mann meinen Partner heiraten und das reicht mir.

Ich glaube auch, dass das in den nächsten Jahren massiver zunimmt. Es wird für schwule und lesbische Menschen, die in dieser Kernfamilienlogik denken, okay bleiben. Für alle anderen Menschen, die rausfallen aus diesem Schema, queere oder trans Personen, wird es schwieriger.

Platt ausgedrückt: Sind die Linken zu schwach sind oder die Rechten zu stark oder zu aggressiv?

Ich würde das trennen, zum einen, was den Wahlkampf betrifft und zum anderen, was Inhalte der Parteien betrifft. Hier würde ich sagen, sind die Linken zu schwach, weil sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten fast schon viel zu viel sehr nur reagiert haben und sich nicht nach vorne verteidigen oder nach vorne kämpfen, also wenig offensiv sind und eigene Ideen in den Vordergrund stellen, sondern es geht immer vor allem gegen die AfD, gegen Rassismus.

Was wirklich fehlt, ist so eine positive linke Erzählung. In der politischen Mitte ebenso, auch den Konservativen im Sinne von christlich-sozial fehlt komplett eine Erzählung, wie man gegen Rechts angehen kann. Das ist eine Schwäche.

Was den Online-Hass im Wahlkampf anbelangt: Ich habe mit Kolleg*innen eine Studie gemacht zu den Europawahlen, wie Politiker*innen online gehatet werden. Da haben wir gesehen, dass linke Politiker*innen, vor allem Frauen, sehr stark auf privater Ebene angegriffen werden - die Rechten eher auf inhaltlicher Ebene.

Das ist eine spannende Beobachtung und passt auch zu diesem Druck, den wir angesprochen haben. Darum ziehen manche Linke vielleicht eher Konsequenzen. Katharina Barley von der SPD kriegte sehr viele Hasskommentare, die auf ihr Äußeres abzielten. Ähnlich sah man es bei Ricarda Lang, es gab mehr Angriffe auf der persönlichen Ebene als auf der politischen.

Ricarda Lang (Foto: Guido Kirchner/dpa)
Ricarda Lang (Bild: Guido Kirchner/dpa)

Du lebst seit vielen Jahren in Wien. Wie beobachtest du das in Österreich?

Das Grundmuster ist in Österreich ein ähnliches, aber es ist aktuell viel abgeschwächter. Es gibt gegen queere Politiker*innen vielleicht nicht weniger Hass, aber er ist in der breiten Öffentlichkeit weniger sichtbar, denn sie sind weniger präsent in den Medien oder überhaupt. Die einzigen zwei, die aktuell sehr sichtbar sind, sind Mario Lindner von der SPÖ und Yannick Shetty von den Neos.

Mario Lindner positioniert sich ganz klar als der «Community-Kandidat», während Shetty eher Post-Community-Politik macht. Und die anderen wie etwa Nico Marchetti von der ÖVP sind nicht präsent in der Öffentlichkeit. Die Situation kann man sehr schwer vergleichen mit einem Kevin Kühnert z.B., denn es gibt aktuell keine führenden politischen Personen in Österreich, die queer sind.

Es gab vor der Europawahl in Deutschland und auch vor der Nationalratswahl in Österreich bei Planetromeo eine Umfrage: Da schnitten AfD bzw. FPÖ als stärkste Parteien ab (MANNSCHAFT berichtete). Eine Partei, die queere Rechte beschneiden will. Wie passt das zusammen?

Solche Umfragen sind natürlich sehr mit Vorsicht zu genießen, es sind immer nur Augenblickaufnahmen und diese sind auch nicht repräsentativ, aber natürlich ist das Ergebnis beunruhigend. Ich habe vorletztes Jahr mit meiner Kollegin Edma Ajanovic ein Paper geschrieben, genau zu dem Thema: Warum schwule Männer vor allem, und auch ein paar lesbische Frauen, AfD und FPÖ wählen.

Es gibt da dieses Muster: Es ergibt eigentlich keinen Sinn, dass jemand eine Partei wählt, die gegen die eigenen Rechte ist. Aber wenn es darum geht, vor den «bösen Migrant*innen» beschützt zu werden, dann funktioniert das.

hunklinger pride
(Bild: Promo)

Das spiegelt sich natürlich auch in der Politik von AfD und FPÖ wieder, die in den Parteiprogrammen gegen alles sind, was irgendwie queer ist. Sobald es darum geht, den «guten Schwulen» vor den «bösen Muslimen» zu schützen, dann sind sie aber zur Stelle. Dieses Framing, dass es eben diese Bedrohung gibt, funktioniert ziemlich gut. Auch Politiker*innen anderer Parteien sind davor nicht gefeit. Ich glaube, diese Bewegung wird immer stärker in den nächsten Jahren.

Ich kann es insofern nachvollziehen, als ich vor kurzem mit meinem Freund in Paris unterwegs war, der lebt dort. Wir sind auf der Strasse angespuckt worden von jemandem, der ein islamisches Gewand trug.

«Man muss konkrete Probleme ansprechen, ohne zu pauschalisieren und zu polemisieren.»

Das eine ist die persönliche Realität. Ja, sowas passiert. Aber deswegen ist nicht grundsätzlich der Islam das Problem oder Muslime an sich. Diese Differenzierung ist vielleicht manchmal schwierig, aber man muss konkrete Probleme ansprechen, ohne zu pauschalisieren und zu polemisieren.

Ich glaube einfach, dass Pauschalkritik nicht funktioniert, weil das nur zu mehr Feindbilden und zu mehr Polarisierung irgendwie führt. Und das schadet uns selbst dann auch. Das ist aber schwierig, weil seit einigen Jahren ganz massiv und in den sozialen Medien eigentlich nur noch schwarz und weiss erlaubt ist, weil Polarisierung am besten funktioniert.

Und es ist wahnsinnig schwer, da mal dazwischenzukommen und über Zwischentöne zu sprechen. Das war auch einer der Gründe, warum ich das «Pride» Buch geschrieben habe, um einfach mal einen Überblick über die Debatte zu geben. Das hat aber in der Medienlogik gar nicht so gut funktioniert. Denn so wie wir heute Politik machen, da funktioniert eigentlich nur dieses Freund/Feind-Schema. und das ist gerade, wenn es um Minderheitenrechte geht, extrem bedrohlich.

Wenn Markus Söder sagt: «Leistung statt Gendern», dann vermischt er da Schlagworte, die nichts miteinander zu tun haben. Gerade da wäre eine Differenzierung wichtig. Es wird auch gerade von konservativer Seite häufig von einer sogenannten Normalität gesprochen und alles, was scheinbar «nicht normal» ist wird als Feindbild aufgebaut.

Wie kommen wir wieder raus aus dieser Polarisierungsspirale? Es ist im Moment ja nicht abzusehen, dass das abflacht.

Das ist nicht nur ein rechtes Problem, sondern auch ein linkes. Es ist auf allen politischen Ebenen wichtig und leider echt schwierig. Ich sehe die nächsten Jahre auch gar nicht so positiv, aber ich glaube, miteinander reden und einander zuhören, so banal das klingt, ist die einzige Option, die funktioniert.

Auch aufzeigen, dass es Unterschiede gibt und dass diese auch aushaltbar sind. Dass jemand nicht gleich ein Nazi ist, auch wenn er vielleicht manche konservativen Positionen hat. Ich ertappe mich da auch, dass man einfach schnell urteilt.

Diese Differenzierung zwischen konservativ und rechtsradikal fehlt oft, das ist aber auch den Konservativen anzulasten, Leuten wie Friedrich Merz oder Sebastian Kurz, die teilweise rechte Rhetorik übernommen haben oder übernehmen.

Ausserhalb von Deutschland, Österreich und Schweiz ist der Trend nicht wirklich ein anderer.

Nein, das ist absolut ein gesamteuropäischer Trend. Mit dem Thema LGBTIQ kann man Signale senden, etwa an die eigene Wählerschaft. Stichwort Italien: Wie die Meloni-Regierung beispielsweise mit gleichgeschlechtlichen Müttern umgeht (MANNSCHAFT berichtete), ist wirklich erschreckend und das ist etwas, das würde ich bei uns auch nicht ausschliessen. Nicht aktuell, aber vielleicht in fünf Jahren, wenn es dann okay ist, dass die CDU mit der AfD koaliert.

Fällt es einem Politikwissenschaftler eigentlich schwerer als anderen Menschen, eine Partei zu finden, der man sich zugehörig fühlen kann? Oder findet man sie alle gleichermassen scheusslich?

Nein, das hängt vor allem mit persönlichen Idealen zusammen und mit inhaltlichen Schnittmengen, wie bei jedem anderen Menschen auch. Natürlich schaut man anders auf diese ganzen Themen, reflektiert vielleicht anders, aber im Endeffekt bleibt es einfach eine persönliche Positionierung.

Historisch: Sarah McBride wurde als erste trans Frau in den US-Kongress gewählt. Sie setzt sich ein für den Schutz der reproduktiven Selbstbestimmung (MANNSCHAFT berichtete).

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