Romain Berger: «Ich wollte nie Fotos nur für Schwule machen»

Der französische Fotokünstler spricht über sein neues Projekt «Fake Society»

Ein Foto der Serie «Fake Society» von Romain Berger
Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger (Bild: Romain Berger)

Romain Berger inszeniert Bilder derart akribisch, bis man sich in ihnen verliert und dabei vergisst, ob man wach ist oder träumt. In seinem neuen Fotoprojekt «Fake Society» hält er der Gesellschaft einen seltsam-absurden und zugleich schönen Spiegel vor.

Romain, beschreibe dein neues Fotoprojekt «Fake Society» in drei Sätzen. Früher habe ich über das geheime Leben und die Sehnsüchte des Menschen gesprochen – bei diesem Ansatz bleibe ich, füge aber die Übertreibung unserer Gesellschaft hinzu mit ihrem Wunsch nach Macht, Reichtum und Erfolg.

Ich spreche über den Körperkult und wie die Gesellschaft unsere Besessenheit, berühmt zu sein, beeinflusst. Danach überlasse ich es gerne dem Publikum, was es sehen will, denn jedes meiner Bilder erzählt eine eigenständige Geschichte.


  • Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger

    (Bild: Romain Berger)

  • Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger

    (Bild: Romain Berger)

  • Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger

    (Bild: Romain Berger)

Mit deinen Bildern verweist du auf eine kollektive Illusion, in der die Menschen es vorziehen, ein Idealbild zu projizieren, anstatt ihr wahres Wesen zu zeigen. Was hat dich dazu inspiriert? Durch meinen Beruf war ich gezwungen, soziale Netzwerke zu nutzen und viel Zeit dort zu verbringen. Mit zunehmendem Alter stelle ich fest, dass mein Glück weniger präsent ist als früher, und dass der Einfluss der Netzwerke die Ursache dafür ist.

Jeden Tag sehen wir Menschen, die ihr neuestes Abendessen oder ihren letzten Urlaub präsentieren, Fotos von sich mit freiem Oberkörper in der Umkleidekabine des Fitnessstudios machen oder mit ihrem finanziellen Erfolg prahlen. 


Wir wissen auch, welche Auswirkungen dies auf junge Menschen hat, die nicht mehr wissen, wie ein natürliches Gesicht aussieht. Influencer haben nichts Natürliches mehr an sich, und es geht immer darum, ein Bild von sich zu vermitteln, das das perfekte Leben propagiert. Neben der kollektiven Illusion erzeugt dies bei vielen Menschen ein Gefühl des Unwohlseins.


Auch die Kommerzialisierung des Körpers und der Sexualität thematisierst du. Welche Reaktionen hoffst du mit «Fake Society» auszulösen? Gibt es etwas, das du dem Publikum mit auf den Weg geben möchtest? Mit diesem Projekt versuche ich nicht, Dinge zu kritisieren, sondern eine Beobachtung zu machen. Die Welt ist so, wie sie jetzt ist, das ist in Ordnung. Manchmal geht sie zu weit, und manche Dinge sind sogar lustig, weil sie so übertrieben sind. Deshalb gefällt mir die Idee, das Ganze mit übertriebenen Inszenierungen und Farben auf die Schippe zu nehmen.

Ich möchte, dass es wie zu viel Essen ist, dass es ein wenig aggressiv für die Augen ist. Überraschenderweise hat das auch eine Wirkung auf mich. Seit ich mit dieser Serie angefangen habe, habe ich die X-App gelöscht, in der ich nur Sex gesehen habe, ich habe auch Instagram eingeschränkt und ich kümmere mich besser um mich selbst, aber auf eine gesunde Art und Weise. Ich habe komplett aufgehört, mich mit anderen zu vergleichen und habe ein natürlicheres Verhältnis zum Leben.


«Fake Society» basiert auf einer queeren Ästhetik, spricht aber universelle Themen an. Wie schaffst du diesen Spagat, und warum ist es dir wichtig, über die queere Perspektive hinauszugehen? Für mich war es wichtig, über die Queer-Perspektive hinauszugehen, weil ich das Gefühl hatte, in etwas eingesperrt zu sein, das nicht wirklich zu mir passt. Ich bin nicht oft in der LGBTIQ-Community, und um ehrlich zu sein, war die Community in meiner Stadt meiner Arbeit gegenüber sehr negativ eingestellt.

Ich spiele gerne mit Sinnlichkeit und queeren Farben und Haltungen, aber vor allem möchte ich, dass meine Arbeit alle anspricht. Von Anfang an wurde ich als queerer Künstler abgestempelt, aber ich wollte nie eine Arbeit machen, die nur für Schwule ist. Ich bin ein Verfechter der Inklusivität, und das bedeutet auch, dass ich meine Arbeit öffnen muss. Meiner Meinung nach ist das der beste Weg, um ein bisschen Queerness in jedermanns Leben zu bringen.


Portrait von Romain Berger
Portrait von Romain Berger (Bild: Romain Berger)

Romain Berger ist ein französischer Fotokünstler, Ende der Achtziger in der Normandie geboren. Er absolvierte eine Film- und Theaterausbildung. Die Populärkultur, Stereotypen und die Geschlechterfrage faszinieren ihn seit langem.

Mit lebendigen Farben erschafft er akribische Atmosphären, so dass seine Inszenierungen des Alltags zwischen Film und Traum schweben. Was alle seine Werke eint: ihre Fähigkeit, einen Moment der Schönheit, des Gefühls oder der versunkenen Betrachtung einzufangen und gleichzeitig der Fantasie einen Spielplatz anzubieten.

2022 veröffentlichte er sein Buch Life's a Cabaret und arbeitete an Sex Utopia mit renommierten Künstlern wie Pierre et Gilles.

Mehr über Romain Berger: romainberger-photography.com

Galerist*innen in Frankreich wollen deine Arbeiten nicht ausstellen, weil sie ihnen «zu ungewöhnlich» sind. Wie gehst du damit um? Lange Zeit war das ein echtes Problem für mich. Auch ich gehöre zur Fake Society, also wollte ich gefallen, sichtbar sein und bekannt werden. Ich war oft frustriert und habe viel gezweifelt. Jetzt kann ich viel besser damit leben und sage mir einfach, dass ich im Vergleich zu den Kunsttrends in Frankreich wohl zu avantgardistisch bin.

«Ich bin zu Avantgarde für Frankreich»

Romain Berger, Künstler und Fotograf aus Frankreich

Ich bin zuversichtlich, dass es so sein wird, wenn es so sein soll, aber wenn es nicht so ist, ist es mir egal. Der ausländische Markt ist da und war schon immer eine grosse Unterstützung für meine Arbeit.

  • Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger

    (Bild: Romain Berger)

  • Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger

    (Bild: Romain Berger)

  • Ein Foto aus der Serie «Fake Society» von Romain Berger

    (Bild: Romain Berger)

Gibt es andere Länder oder Städte, in denen du dich besonders gut unterstützt fühlst? Ja, in Berlin erhalte ich viel Unterstützung. Die Zeitschrift «Männer» zum Beispiel schaut regelmässig bei mir vorbei und veröffentlicht mehrere Artikel im Jahr, um meine Arbeit am Leben zu erhalten. In Berlin habe ich auch mein erstes Magazin-Cover bekommen. In Frankreich hatte ich nie das Recht auf all das.


Du bist auf der Suche nach Galerien und Medien, die dein Projekt unterstützen. Wie wichtig sind Kooperationen für dich, und welche Partner wünschst du dir für «Fake Society»? Heutzutage ist es schwierig, in einer Galerie zu verkaufen, und ich verkaufe auch sehr gut über meinen Webshop. In einer Galerie auszustellen ist für mich wie einen Film auf der grossen Leinwand zu zeigen: Es ist eine Gelegenheit, die eigenen Kreationen im Grossformat zu sehen, ein neues Publikum zu erreichen und die eigene Arbeit auf eine andere Art zu geniessen.

In einer Galerie auszustellen ist auch eine Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen. Das geht Hand in Hand mit Fake Society, denn eine Ausstellung in einer Galerie ist konkret, sie ist real und unterscheidet sich von einem virtuellen Kontakt, der nichts wirklich Menschliches an sich hat. Ich liebe den Austausch mit dem Publikum. Fake Society in Galerien oder Kunstinstitutionen zu präsentieren, ist wirklich mein Leitmotiv für 2025, und diese Serie wird bald in Luxemburg ausgestellt werden.

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