Romain Berger: «Ich zeige den verborgenen Teil der Welt»
Das Werk des queeren Szenefotografen ist eine schräge Ode an das Leben, die Liebe und die Meinungsfreiheit
In seiner Heimat Frankreich hat er vergeblich gesucht, was er schliesslich im Ausland gefunden hat: Anerkennung. Romain Berger inszeniert mit seinen Bildern das geheime Leben der Menschen, ihre dunklen Seiten, sonst verborgen aus politischer Korrektheit.
Dein Bild «La fine fleur de la société patriarcal» zeigt zwei verschlungene Männer im Bad, während Hausfrauen in der Küche schwatzen. In «Bon appétit» fläzt einer an der offenen Kühlschranktür und gibt sich der Völlerei hin. Wie viel Romain steckt in diesen Bildern? In diesen Bildern lebe ich den Teil von mir aus, den ich verborgen habe. Ich traute mich sehr lange nicht, mich zu kleiden, zu frisieren und zu tun, was ich wollte, aus Angst vor den Blicken der anderen. Die zwei Männer verstecken sich im Bad, um ihr queeres Verlangen zu befriedigen. Der Mann in «Bon appétit» vergnügt sich ohne Scham – das Bild ist eine Metapher für Sex, für die Freiheit des eigenen Körpers und dafür, zu seinen sexuellen Wünschen zu stehen. All das steht für meine dunkle Seite, die ich seit einigen Jahren zu erforschen beginne. Und ich fühle mich immer freier mit mir selbst.
Was bedeutet das Patriarchat für dich und welchen Teil davon forderst du heraus? Das Patriarchat steht für die Gesellschaft, die weissen cis-gender heterosexuellen Männer, die ein System geschaffen haben, indem sie sich als Norm durchgesetzt haben. Sie haben Regeln geschaffen und akzeptieren nicht, dass man aus ihnen ausbrechen kann. Sie haben Angst vor der Freiheit. Daher fordere ich die Gewalt heraus, mit der sie Minderheiten und Frauen unterdrücken. Ich versuche, den Menschen etwas anderes zu zeigen, weit weg von dem, was die Gesellschaft versucht, uns als normal aufzuzwingen. Ich finde ihre Regeln idiotisch.
Du willst mit jedem Bild eine Geschichte erzählen. Hast du eine, die dir besonders am Herzen liegt? Eine bestimmte nicht, aber das geheime Leben von Menschen zu inszenieren . . . das ist es, was ich mag. Wir alle haben ein öffentliches Image, und oft ist dieses Image klassisch, um den Regeln und Normen der Gesellschaft zu entsprechen. Wie sieht das Leben aus, das die Menschen führen, wenn sie ihre Wohnungstür geschlossen haben? Was machen sie in ihrer Freizeit? Ich zeige gerne den verborgenen Teil der Welt, den man nicht offenbaren darf, weil man sonst von anderen verurteilt und als abnormal angesehen wird.
Deine Ästhetik ist sehr gay, sagst du. Wie drückst du sie aus? Meine Ästhetik ist sehr schwul, schon deswegen, weil mein Hauptthema auf queeren Menschen basiert und weil ich die Codes der LGBTIQ-Kultur aufgreife und sie verfremde. Die Farben, die ich verwende, spielen viel mit dieser Ästhetik, die häufig in Schwulenclubs und -saunen zu finden sind.
Wie findest du deine Models? Die meisten meiner Modelle finde ich über Instagram oder manchmal sind es Leute, die ich auf Partys treffe, Jungs, mit denen ich geschlafen habe und die ich perfekt für meine Kreationen finde.
Das Neonlicht erinnert mich an die Saunen und Clubs von Paris
Deine Arbeit ist gesellschaftskritisch: Du stellst Menschen in den Mittelpunkt, die sonst diskriminiert werden. Was forderst du mit deinen Bildern ein? Ich fordere, dass man sein kann, wer man will, und tun kann, was man will, ohne beurteilt zu werden und ohne die Zustimmung anderer zu benötigen. Das ist es, was mir am meisten am Herzen liegt. Die Freiheit, sich selbst zu sein. Und dass der Hass der Liebe weicht.
Du benutzt Neonlicht und sagst, es gehört mittlerweile zu deiner künstlerischen Identität. Woher kam die Idee? Ich bin ein grosser Fan des Regisseurs Gregg Araki, der Neonröhren in seinen Szenen verwendet. Diese Art von Licht erinnert mich auch an die Saunen und Clubs von Paris, die ich früher oft besucht habe. Das sind Atmosphären, die mich geprägt haben, und mit denen ich Sinnlichkeit und Sexualität verbinde.
Deine Bilder muten fast an wie Gemälde. Wie viel Zeit steckst du in die Vor- und Nachproduktion? Für ein neues Bild benötige ich etwa zwei bis drei Wochen. Zwischen der Idee, der Skizze auf Papier, der Suche nach dem Modell oder den Modellen und dem Finden der Elemente der Kulisse kann ich schon eine Woche verbringen. Dann muss ich die Kulissen komplett zusammenbauen, das ist wie ein Filmsetaufbau. Manchmal brauche ich bis zu 24 Stunden, um ein Set fertigzustellen. Das anschliessende Shooting geht sehr schnell, weil ich mir vorher schon alles überlegt habe. Die Postproduktion kann von 3 bis 15 Stunden dauern, das hängt vom Bild ab. Ich bin sehr perfektionistisch, also nehme ich mir die Zeit.
Deine Ausstellungstour heisst «All You Need Is Love». Ist es die Liebe, die dich zu deinen Arbeiten antreibt? Ja, ich glaube zutiefst, dass die Liebe das beste Heilmittel gegen das Böse in dieser Welt ist. Dieser Titel ist auch eine Art zu sagen, dass jeder Mensch Liebe verdient, unabhängig von seiner Sexualität. Niemand sollte gehasst werden, nur weil er von den «Normen» des Patriarchats abweicht. Das ist lächerlich und bringt nichts.
Du stellst dieses Jahr in deiner Heimat Frankreich aus, in England und Deutschland. Kommst du auch mal in die Schweiz und nach Österreich? Ich werde in die Schweiz kommen, aber derzeit nicht für die «All You Need Is Love»-Tour, sondern für eine Gruppenausstellung im Mai oder Juni, um einige meiner neuen Kreationen vorzustellen. Falls eine Galerie an meiner Ausstellung interessiert ist, kann sie mich gern kontaktieren.
Stimmt es, dass du in deinem Heimatland kaum gewürdigt wirst, während man dich im Ausland feiert? Das ist absolut wahr. Französische Galerien und Zeitschriften sind nicht begeistert davon, mich auszustellen. Sie halten mich für zu trashig, zu bunt und zu queer. Sie wollen kein Risiko eingehen und glauben nicht wirklich an meine Arbeit. Bisher hatte ich nur zwei Ausstellungen in Frankreich und jedes Mal war es sehr kompliziert. Es gibt enorm viele Regeln und wenig Freiheit. Die anderen Ausstellungen, die ich regelmässig im Ausland mache, sind anders. Galerien und Zeitschriften lieben meine Arbeit und ermutigen mich sogar, Frankreich zu verlassen, um zu ihnen zu kommen. Es gibt einen echten Unterschied zwischen Frankreich und anderen Ländern und in meiner Heimat sind sie sich nicht bewusst, was für mich im Ausland passiert.
Wie erklärst du dir diesen Unterschied? Frankreich kontrolliert sein Image. Man sagt, man sei ein sehr kulturelles Land, aber nur für eine Art von Kultur. Man mag Schlösser, klassischen Tanz und schöne Renaissancegemälde. Wir mögen auch alles, was zeitgenössisch und manchmal abstrakt ist. Aber Kunst wie meine, die eine andere und freizügige Realität darstellt, wird unsichtbar gemacht. Es wird gerne das Gerücht verbreitet, dass Frankreich ein offenes Land sei, aber bis jetzt war es das Land, das am härtesten zu mir war und sehr kritisch gegenüber meiner Arbeit ist. Deshalb habe ich vor, nach Berlin zu ziehen und dieses Land ohne Reue zu verlassen.
Wenn du einen Wunsch frei hättest, was möchtest du als Fotograf noch erreichen? Ich wurde von Dian Hanson, der Verlagsredakteurin bei Taschen, entdeckt und würde mich sehr freuen, wenn sie mich verlegen. Deshalb arbeite ich neben meinen Ausstellungen intensiv an neuen Entwürfen. Träume habe ich viele: Bilder für Jean Paul Gaultier zu machen, mit Sängern für Albumcover zu arbeiten wie Lil Nas X, Olly Alexander oder in Frankreich Eddy de Pretto. Ich habe seit sieben Jahren keinen Film mehr gemacht, obwohl ich das studiert habe. Als ich jetzt einen Clip für die Promotion meiner Tournee drehte und merkte, wie sehr mir das Filmen fehlt, habe ich beschlossen wieder etwas zu machen. In meinem Kopf gibt es eine Million Wünsche und Träume. Ich hoffe, dass ich sie alle erfüllen kann.
Romain Berger
Der französische Szenefotograf wurde Ende der Achtziger in der Normandie geboren. Er absolvierte eine Film- und Theaterausbildung. Die Populärkultur, Stereotypen und die Geschlechterfrage faszinieren ihn seit langem.
Er greift bewusst Klischees der Schwulenkultur auf und verfremdet sie, um unsere Welt zu beleuchten, in ihren besten Seiten als auch in ihren schlechtesten: Zu seinen Themen gehören etwa Einsamkeit, Oberflächlichkeit, Überkonsum, Gewalt, Sucht, Sex und Politik.
Der englische Verlag Men on Paper Art veröffentlichte im September 2022 «Life’s a cabaret», ein Buch über seine Arbeit, in dem alle seine Fotografien seit 2018 zusammengefasst sind. Vom 13. Mai bis 11. Juni sind seine Werke in der Bowie Gallery in Genf zu sehen, vom 28. Juli bis 6. August führt ihn seine Ausstellungstour «All You Need Is Love» nach Berlin.
Mehr über Romain Berger: romainberger-photography.com
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