«Ich liebe meinen Kanzler»: Chat-Oper über Sebastian K. und Thomas S.
In Österreich geht ein Musiktheaterstück in Premiere zu einer besonderen Männerfreundschaft
Eine Chat-Oper? Über den intimen Austausch zwischen Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Thomas Schmid, ehemals Generalsekretär im Finanzministerium – wo auch «die erotischen Teile dieser Beziehung» nicht ausgeklammert werden?
Das verspricht das neukomponierte Stück «Der Prätorianer, Oder die Zärtlichkeit des Thomas S.». Dieses «Machtspiel in vier Chatprotokollen» soll im Juni in St. Koloman uraufgeführt werden.
Zu den Chats des einstigen jugendlichen Strahlemanns Kurz und seinem «Männerbündnis» im Zentrum der Macht ist schon viel geschrieben worden. Zur Erinnerung: Es geht um Ermittlungen wegen Machtmissbrauch und Manipulation, basierend auf hunderten Chats, die bei der Auswertung von Thomas Schmids Handys aufgepoppt waren. Schmid war u. a. Generalsekretär im Finanzministerium, später übernahm er einen weiteren wichtigen Finanzposten. Und pikanterweise tauchten auf seinem Diensthandy tausende von Dickpics auf, also Schwanzfotos (MANNSCHAFT berichtete).
Das führte zu der Frage, welche Beziehung genau die – laut eigenen Bekundungen – heterosexuellen Männer miteinander hatten und wieso genau Kurz seinem engen Freund Schmid wichtige Posten gab, für die er – nach Ansicht vieler Kommentator*innen – wenig geeignet war.
Der schwule Blogger Kurt Krickler sprach von einem «Dickpicgate» und von «Seilschaften» rund um «Kurz-Fanboys», die zu hohen Ämtern gekommen sein sollen durch bedingungslose Treue – und mehr? Bei der Geschichte geht es neben Kurz und Schmid auch um den umstrittenen Finanzminister Gernot Blümel. Über eine mögliche sexuelle Beziehung zwischen Blümel und Kurz wurde schon lange spekuliert. Kurz hatte die Gerüchte im Wahlkampf 2019 selbst angesprochen – und dementiert!
«Ich bin so glücklich :-)))» Ein zentraler Satz in den Chats zwischen dem damaligen Kanzler und Schmid, lautet: «Kriegst eh alles, was du willst», worauf Schmid mit Emojis erwiderte: «Ich bin so glücklich :-))), ich liebe meinen Kanzler.»
Daraus entwickelte sich eine Schlammschlacht, mit einer bemerkenswerten Mischung aus unterschwelliger Homophobie und Lust am Skandal.
Das Burgtheater organisierte zusammen mit Der Standard – der Zeitung, die zuerst über die Ermittlungen berichtete und den öffentlichen Diskurs ins Rollen brachte – noch im Oktober 2021 eine Lesung der Chats in 15 Kapiteln, mit sechs Sprecher*innen. Star-Regisseur Martin Kušej setzte diese Lesung in Szene, sie ist inzwischen auf YouTube abrufbar. Sie bleibt aber recht nüchtern, was die erotischen Teile angeht.
Das künstlerische Team um Johannes B. Czernin (Text und Regie) und Tristan Schulze (Komposition) hat da einen ganz anderen Ansatz für St. Koloman. Sie fragten sich, «wie ein Aristophanes, Plautus und Terenz, Shakespeare, Zan Ganassa, Gozzi und Goldoni, Molière, Mozart, Rossini, aber auch Weill und Brecht oder Bernhard auf dieses aktuelle Schauspiel von Machtmissbrauch, Gier und jugendlicher Hybris reagiert hätten».
Ihr Ziel war es, «dass grösstmögliche künstlerische Kraft und bösartigste Albernheit es erleichtern, diesen schmerzhaften Angriff auf die Würde und die Integrität der österreichischen Demokratie durch den Lichtträger, den vermeintlichen Prometheus (wohl aber eher den Lucifer) der politischen Zukunft dieses Landes, etwas erträglicher zu machen». So kann man es auf der Homepage der Veranstalter lesen.
Frauen in Männerrollen Dort erfährt man auch, dass Johannes Czernin das Libretto zum Machtspiel «Der Prätorianer» in der Tradition der Commedia dell‘Arte verfasst habe, nach einer Idee von Patrick Sellier.
Die zentralen Rollen des «Thomas S.» und «Sebastian K. » werden dabei von einem Sopran und einem Mezzosopran gesungen, also von zwei Frauen: Anita Giovanna Rosati als Thomas S. und Laura Rieger als Sebastian K.. (MANNSCHAFT berichtete über den ersten schwulen Opernführer der Welt.)
Ein solches Crossdressing als Kunstgriff ist derzeit sehr en vogue. Besonders wenn es darum geht, Machtmissbrauch von Männern zu thematisieren und vormals männerdominierte Geschichten feministisch zu dekonstruieren. So ist beispielsweise eine Neuproduktion des Broadwaymusicals «1776» zur Unabhängigkeitserklärung der USA (im Jahr 1776) geplant, wo diese Geschichte der Gründungsväter der Vereinigten Staaten nur mit Frauen bzw. nicht-binären Darstellenden neu erzählt werden soll. Quasi in Fortsetzung des Musicals «Hamilton», wo die vermeintlich «weisse» Geschichte der Founding Fathers bewusst mit PoC besetzt und neu erzählt wurde. Ein Hit, der demnächst auch nach Deutschland kommt.
Gleichzeitig kam gerade eine neue Aufnahme der Rockoper «Jesus Christ Superstar» heraus, nur mit Frauen, die sämtliche Männerrollen spielen (Jesus, Judas, Herodes usw.) und die Musik von Andrew Lloyd Webber bravourös singen. Mehr noch: Die Macherinnen dieses Projekt bestanden darauf, dass auch bei der Aufnahme nur Frauen im Orchester und als Technikerinnen im Tonstudio dabei waren. Ein feministisches Statement – das grandios klingt und seit kurzem im Handel erhältlich ist.
Burlesque und Bridgerton Die Idee, Frauen in Männerrollen zu zeigen, war im 19. Jahrhundert in Burlesques populär, was Historiker*innen wie Robert C. Allen als bewusstes Auflehnen gegen Gender-Normen interpretieren: Frauen begehrten damit gegen gesellschaftliche «Ideale» auf, sie stellten diese mit Selbstermächtigung auf den Kopf. Und zeigten, dass sie solche Rollen – als Parodie und Übertreibung – genauso gut selbst übernehmen konnten. Was im späten 19. Jahrhundert funktionierte, ist nun wieder topaktuell. Und es erreicht nun nicht via die Kunstform Musical Europa, sondern über eine Oper in St. Koloman.
Auch im neuen «Bridgerton – The Unofficial Musical» hört man auf dem Cast-Album die beiden Autorinnen Barlow & Bear alle Rollen singen, so also auch die Liebesduette zwischen Simon und Daphne – was beim Anhören eine starke lesbische Wirkung entfaltet, die dem Stoff einen unerwartet neuen Twist gibt. (MANNSCHAFT berichtete über dieses Musical sowie eine schwule Neuinterpretation der Bridgerton-Welt in Romanform.)
Uraufführung auf Dorfplatz Die Uraufführung von «Der Prätorianer, Oder die Zärtlichkeit des Thomas S.» findet am 18. Juni auf dem Dorfplatz der 1.800 Einwohner Gemeinde südlich von Salzburg statt. Um die Abstraktion noch zu erhöhen, ist das Ganze kombiniert mit einem «Puppenspiel auf Wanderbühne».
Es gibt auch eine dritte Rolle, einen Tenor, der «Das fast stumme Gewissen des Sebastian K.» verkörpert, gesungen von Peter Godulla.
Man darf gespannt abwarten, wie genau die nicht ausgeklammerten «erotischen Teile dieser Beziehung» von Rosati und Rieger gespielt/gesungen werden und welche hinreissenden Duette die beiden Stimmen in Engführung aufführen werden, bei Stellen wie «Ich bin so glücklich :-))), ich liebe meinen Kanzler». Und ob das «fast stumme Gewissen» dabei als dritte Stimme miteinstimmen darf oder nicht.
Man darf ebenfalls gespannt sein, ob Lucas Kazan dieses Stück oder diesen Stoff zu einer seiner berüchtigen schwulen Porno-Opern machen wird, mit denen er in der Vergangenheit für Aufsehen sorgte und Teil mehrerer Ausstellungen im Schwulen Museum Berlin war.
Die Uraufführung von «Der Prätorianer, Oder die Zärtlichkeit des Thomas S.» wird per Livestream übertragen.
Das könnte dich auch interessieren
News
Trump stellt schwulen US-Botschafter für Belgien ab
Der designierte Präsident Donald Trump hat einen neuen US-Botschafter in Belgien ernannt. Seine Wahl scheint auf den ersten Blick verwunderlich
Von Newsdesk Staff
News
FPÖ hetzt gegen trans-freundlichen Kindergarten
FPÖ und Queers – das passt selten zusammen. Einen neuesten Beleg lieferte die rechtspopulistische Partei nun, indem sie einer LGBTIQ-freundlichen Einrichtung das Geld streichen will.
Von Newsdesk Staff
TIN
Österreich
Bildung
News
Klagen abgewiesen: Ghana macht Weg für Anti-LGBTIQ-Gesetz frei
Ghana plant eines der restriktivsten queerphoben Gesetze Afrikas einzuführen. Rechtlich wurde dafür nun der nächste Schritt getan.
Von Newsdesk Staff
International
TIN
Kurswechsel bei Disney? Trans-Thema aus Pixar-Serie gestrichen
Disney kippt einen Erzählstrang über die Trans-Identität einer Jugendlichen aus der neuen Serie «Win or Lose». Die Synchronsprecherin spricht von einer Unsichtbarmachung.
Von Newsdesk Staff
Serie
Kultur
Queer