«Ich habe viele schwule Freunde!» – Ist das schon Toleranz?

Der Kommentar über ein zweischneidiges Schwert

Bild: Zoran Zeremski, stock.adobe.com
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In den letzten Jahren hat sich ein Satz etabliert, der mittlerweile zu den beliebtesten zählt, um die eigene Toleranz gegenüber schwulen Männern zu demonstrieren – und letztlich zu zementieren.

Man hört ihn in Talkshows, von Politikern, eigentlich überall. Er kommt so sanft daher, dass man seine destruktive Kraft fast überhört.

Das Spannende an diesem Satz: Es gibt – zumindest bis jetzt – noch kein vernünftiges Gegenargument, keine adäquate Reaktion darauf. Mit diesem Satz ist es möglich, die fragwürdigsten und uncharmantesten Dinge über Schwule sagen – solange man ihn noch schnell hinzufügt, ist alles wieder gut und man selber nicht mehr angreifbar. Es ist ein magischer Satz, der sogar Diskriminierungen neutralisieren kann.

Und das geht so: Vielleicht findet man, dass schwule Männer zwar nicht heiraten oder Kinder kriegen oder sich in der Öffentlichkeit so in den Vordergrund drängen sollen – aber das habe natürlich alles nichts damit zu tun, dass man etwas gegen Schwule hätte! Auf gar keinen Fall! Weil – und jetzt kommt der berühmte Satz: «Ich habe viele schwule Freunde!» So jemand kann doch kein schlechter Mensch sein! So jemand meint es doch gut mit einem!

Es ist ein wirklich gemeiner Satz. Sobald er fällt, ist jede Diskussion beendet. Er wirkt auf den ersten Blick umarmend und klingt nach Augenhöhe und gelebter Gleichwertigkeit. Die queere Generation würde so jemanden als Ally bezeichnen. Ein Verbündeter im Geiste und im Herzen. Aber nur auf den ersten Blick.

Die Intuition sagt einem schnell, dass mit diesem Satz irgendetwas nicht stimmt – aber es ist nicht leicht zu benennen, was es ist. Vielleicht, weil er nach jener Welt klingt, in der man selbst gerne leben möchte? Im Extremfall meint der Satz das Gegenteil von dem, was er sagt.

Die Schwulen, das sind die anderen. Ich bin es nicht.

Ob er will oder nicht! Er sagt zwar: «Ich habe viele schwule Freunde», aber er meint – ganz automatisch – auch damit: Die Schwulen, das sind die anderen. Ich bin es nicht. Mit diesem Satz kann man gleichzeitig Nähe und Distanz herstellen. Man kann damit das Abnormale in einem selbst in die anderen auslagern und deutet gleichzeitig auf die, die abnormal sind: die Schwulen. «Ich habe viele schwule Freunde» bedeutet also auch: Ich bin keiner von ihnen. Soweit kommtʼs noch.

Ist es nicht interessant, dass es diesen Satz nur in der Mehrzahl gibt? Es ist immer nur von «vielen» schwulen Freunden die Rede, nie etwa von «einem» oder «zwei». Man könnte fast glauben, die Heterosexuellen seien in der Minderzahl – so viele schwule Freunde scheinen sie zu haben! Hat es vielleicht damit zu tun: Je mehr schwule Freunde ich habe, desto normaler bin ich? Es ist letztlich ein Satz, der zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Ich bin tolerant und gleichzeitig normal.

Das wirklich Geniale daran ist: Er funktioniert auch, wenn es diese vielen schwulen Freunde gar nicht gibt. Niemand kann überprüfen, ob der Satz tatsächlich der Wahrheit entspricht.

Ich frage mich gerade, was es über mich aussagt, wenn ich beim Satz der «vielen schwulen Freunde» immer an eine Fernsehwerbung der 90er-Jahre denken muss, in der von «vielen bunten Smarties» die Rede war?

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*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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