«Hooligan» in Zürich: «Es geht um die Homoerotik in der Homophobie»

Am Wochenende war Premiere

«Hooligan»
«Mich interessiert die Geste, sich den Namen eines anderen Mannes auf den Rücken zu schreiben» (Bild: Philip Frowein)

Das Stück «Hooligan» in Zürich wurde als Solo «zwischen schwitzenden, grölenden Männerkörpern, sich aneinander reibend» angekündigt.

David Attenberger tanzt, schwitzt und inszeniert sich durch toxische Männlichkeit und Schwulenfeindlichkeit im Fussball. Noch bis 12. Juni im Theater Neumarkt Zürich.

David, worum geht es in «Hooligan»? Es geht um Homophobie, Fankultur und darum, wie nah sich männlich gelesene Personen im Fussball kommen. Sie spielen in diesem Sport und im Fan-Sein eigentlich alle zwischenmännlichen Intimitäten durch, und gleichzeitig ist Homofeindlichkeit der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen können. Weltweit, egal wie sonstige Rivalitäten verlaufen. Das Schlimmste wäre, schwul zu sein.

Auffällig ist die räumliche Situation: Plastiksitze, Umkleide, Gruppendusche. Wir simulieren eine Stadionbestuhlung, die Leute sitzen sozusagen in der Kurve, gucken aber in die Umkleide. Wir spitzen die Projektion zu: Was passiert eigentlich, wenn die Männer vom Platz gehen? Was gehen da für Fantasien los?

Es scheint, als sei die Hauptfigur von lähmender Scham geprägt… Ich würde es eher als eine Art Gefangen- oder Befangensein beschreiben. Das ist glaube ich das, was zwangsläufig aus der heutigen männlichen Sozialisierung folgen muss, vor allem auch im Teamsport. Wie gut kann man sich im eigenen Körper überhaupt fühlen, um mitmachen zu können bei verschiedenen Männlichkeitsriten? Geht das für schwule oder queere Personen überhaupt? Es scheint eine geteilte Erfahrung, dass es in einer homosexuellen oder queeren Adoleszenz fast unmöglich ist, sich gut im eigenen Körper zu fühlen, weil man sich mit dem eigenen Begehren die ganze Zeit in die Quere kommt. Immer gefangen zwischen dem Begehren und dem Gefährdetsein. Was ist bedrohlich für mich? Wo erwartet mich Gewalt? Und was mache ich, wenn ich mich gleichzeitig von Männlichkeit angezogen fühle?

Und doch fühlt man irgendwann im Stück Befreiung. Befreiung oder Emanzipation ist natürlich ein Thema, ich glaube aber auch, dass dies nie vollständig gelingen kann. Das, was man gern so leichtfertig als pubertäre Themen zur Seite legt, sind am Ende Themen, die man für immer mit sich trägt.

David Attenberger ist bei «Hooligan» die einzige Person auf der Bühne.
David Attenberger ist bei «Hooligan» die einzige Person auf der Bühne. (Bild: Philip Frowein)

Was steckt hinter der Entscheidung, ohne Sprache zu performen? Ich komme aus dem Tanz und bin dann ins Theater geschlittert und suche intuitiv seitdem eigentlich immer wieder Arbeiten im Tanz. Ausserdem glaube ich aktuell wieder verstärkt daran, dass es viele Dinge gibt, die man mit dem Körper einfacher ausdrücken kann, und auch besser, schöner. Ich habe das Gefühl, Text wird im Theater oft einfach aus einer Hilflosigkeit verwendet, gerade bei Themen, die eigentlich per se sprachlos sind, ja, aus der Sprachlosigkeit geboren werden.

Männliche Sozialisation hat ja auch viel mit Sprachlosigkeit zu tun. Total, und dann auch noch in der Kombination mit Queerness. Ich finde, da bildet Sprachlosigkeit das absolute Zentrum der Erfahrung.

Auffällig ist auch, dass du alleine durch den Abend führst. Es gibt gewisse Themen, die kann man nur alleine verhandeln. Ich hätte gewisse Dinge nicht machen können, hätte es tatsächlich einen zweiten Körper im Raum gegeben. Wir wollten mit homoerotischen Halluzinationen innerhalb der homophoben Realität arbeiten. Und um ungestört halluzinieren zu können, muss man alleine sein.

«Mich interessiert die Geste, sich den Namen eines anderen Mannes auf den Rücken zu schreiben. Das muss schon tiefgehende Liebe sein.»

David Attenberger, Tänzer*in, Schauspieler*in und Performer*in

Was hat es mit dem Trikot auf sich? Das war erstmal eine ästhetische Entscheidung; unser Fotograf meinte dann gestern, Lübeck spiele in der norddeutschen Regionalliga… «Hooligan» sollte überall spielen können, in jeder generischen Gruppenumkleide eines lokalen Fussballvereins. Und vielleicht ist es auch irgendein Trikot, das jemand zum Spass angezogen hat. Mich interessiert per se die Geste, sich den Namen eines anderen Mannes auf den Rücken zu schreiben. Das muss schon tiefgehende Liebe sein.

Es gibt einen Moment, da jubelst du in Zeitlupe, und es sieht genau so aus, wie man es von TV-Aufnahmen kennt. Wie hast du recherchiert? Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich tatsächlich ins Stadion gegangen, in Palermo. Es war genau der richtige Ort. Ich konnte das aber auch nur bringen, weil mein bester Freund mitgekommen ist, der regelmässig und weltweit Fussballspiele besucht. Er hat aufs Spielfeld geschaut, ich in die Kurve.

Die restliche Recherche hat sich dann teilweise einfach auch erübrigt, da ich in einer absoluten Fussballfamilie aufgewachsen bin. Fast alle männlich sozialisierten Personen, aber auch meine Cousine, haben von klein auf Fussball gespielt. Ich habe darum ganze Teile meiner Kindheit auf dem lokalen Fussballplatz verbracht. Ich habe halt am Rand gesessen und Gänseblümchen-Ketten geflochten.

«‹Schalke oder Dortmund?› war bei uns die Frage nach der Religion.»

David Attenberger

Klingt tatsächlich sehr umfassend. Schon meine Grosseltern haben sich bei einem Fussballspiel kennengelernt. Mein inzwischen 86-jähriger Grossvater spielt bis heute, wenn man nicht auf ihn aufpasst. Meine Oma war lange Vorsitzende des dazugehörigen Turnvereins, und auch die meisten meiner Freunde haben Fussball gespielt, als ich klein war. «Schalke oder Dortmund?» war bei uns die Frage nach der Religion.

Hattest du weitere Quellen? Es gibt grossartige ethnografische Beschreibungen von Ex-Hooligans. Autobiografische Werke von Aussteigern, teilweise auch Leute, die Doppelleben führten; tagsüber Polizist und nachts Hooligan zum Beispiel. Das fand ich eine spannende Parallele zu Homosexualität, wo ja auch immer noch viele Doppelleben geführt werden. Viele Hooligans verabreden sich auch im Wald, um heimlich gegeneinander zu kämpfen. Ist das nicht wie Cruising?

Wieviel hat der innere Konflikt mit dir und deiner Jugend zu tun? In der Arbeiterklasse gab es für mich keine Option ausserhalb der Binarität der Geschlechter. Ich habe also erst verhältnismässig spät über nichtbinäre und genderqueere Menschen gelernt. Bis dahin habe ich einfach ein schwules Aufwachsen durchgemacht, inklusive aller Traumata, Closets und Diskriminierungserfahrungen. Das Thema in «Hooligan» ist also eher eines aus meiner Vergangenheit. Deshalb war klar, dass es das Thema meiner ersten Arbeit werden müsste, um dann weiteren Themen Platz zu machen.

Die Premiere von «Hooligan» war am 1. Juni, zu sehen ist das Stück noch bis 12. Juni im Theater Neumarkt, Zürich.

Mehr zum Thema > Fussballer Josh Cavallo: «Ich bekomme täglich mehrere Todesdrohungen» (MANNSCHAFT berichtete)

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