Homophobie ist keine Meinung
Am 9. Februar 2020 stimmt die Schweiz über Ausdehnung der Antirassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung ab
In einem demokratischen Land ist die Meinungsfreiheit ein wertvolles Gut, darf jedoch nicht als Freipass für die Diskriminierung anderer Menschen verwendet werden. Darum benötigen wir in der Schweiz die Ausdehnung der Antirassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung. Der Samstagskommentar von Mannschaft-Redaktor Greg Zwygart.
Das Schweizer Stimmvolk entscheidet am 9. Februar 2020 an der Urne, ob die Antirassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung ausgedehnt werden soll. In anderen Worten: Ob Schwule, Lesben und Bisexuelle als Gruppe vor Hass und Hetze geschützt werden sollen – ein Schutz, der in der Schweiz bereits andere Minderheiten aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion abdeckt.
Bis zum Urnengang dauert es noch mehr als drei Monate, doch der Abstimmungskampf scheint bereits jetzt in vollem Gange zu sein. Die Schwulenzeitschrift Display veröffentlichte diese Woche das Inserat eines Abstimmungskomitees, das sich für ein Nein einsetzt. Das Co-Präsidium teilen sich die beiden offen schwulen Politiker Michael Frauchiger von der SVP und Silvan Amberg von up!, einer libertären Mikropartei ohne Vertretung im Parlament.
In der von der SVP nur zu gut bekannten reisserischen Wortwahl schreibt das Komitee von «linkem Gesinnungsterror» und «Behördenwillkür». Das Komitee will für eine Gesellschaft kämpfen, die «LGBTI als gleichwertig akzeptiert und nicht als schwache Minderheit behandelt» und «Aufklärung betreibt und nicht andere Meinungen mit Polizeigewalt niederknüppelt».
Das grösste und gefährlichste Trugbild, das durch dieses Inserat kolportiert wird, ist das Verständnis, dass eine ablehnende Haltung gegenüber Homosexuellen zur Meinungsfreiheit gehört. Das ist falsch! Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegender Wert und ein Menschenrecht, gilt jedoch nicht unbeschränkt – vor allem dann nicht, wenn sie die Grundrechte anderer Menschen beeinträchtigt. Das wird explizit auch in unserer Bundesverfassung so festgehalten. Wer es nachlesen will: Artikel 36.
Wer einem gleichgeschlechtlichen Paar die Ehe und Adoption von Kindern verbietet, dies einem gemischtgeschlechtlichen Paar jedoch erlaubt, handelt homophob. Wer einer Person keine Waren und Dienstleistungen verkaufen will, weil sie eine dunkle Hautfarbe hat, handelt rassistisch. Rassismus ist keine Meinung, Homophobie auch nicht.
In einer perfekten Welt hätten wir eine Ausdehnung der Antirassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung nicht nötig. In einer perfekten Welt könnten sich zwei Männer nachts auf der Strasse küssen, ohne spitalreif geprügelt zu werden (MANNSCHAFT berichtete). In einer perfekten Welt würde ein Vater seinem Sohn nicht die Kehle durchschneiden wollen, weil dieser schwul ist (MANNSCHAFT berichtete). In einer perfekten Welt könnten zwei Väter ohne Angst vor einem Ausschluss ihre Zwillinge in die Spielgruppe bringen (MANNSCHAFT berichtete). Das wir nicht in einer solchen perfekten Welt leben, zeigen die traurigen Beispiele, die in weniger als zwei Monaten (!) in der Schweiz passiert sind.
Unser Autor Silvan Hess hat eine hervorragende Analyse über öffentliche Homophobie geschrieben und geprüft, was sich mit der Ausdehnung der Antirassismusstrafnorm in der Schweiz ändern würde.
Die Schweizer LGBTIQ-Organisationen sind sich nicht immer in allen Punkten einig, bei der Abstimmungsvorlage vom 9. Februar jedoch schon. Sie stehen gemeinsam für ein starkes Ja ein. Selbst das Magazin Display, das das Inserat veröffentlicht hat, räumt einen Fehler ein und distanziert sich vom Komitee.
In einem Punkt gebe ich dem Nein-Komitee recht: LGBTIQ-Personen sind nicht «schwach» – im Gegenteil. Ich habe selten Menschen gesehen, die ihr Anderssein mutiger und selbstverständlicher leben als Mitglieder unserer Community. Wir sind aber eine Minderheit. Eine Minderheit, die immer wieder ausgegrenzt und angegriffen wird – das zeigen die oben verlinkten Vorfälle. Das Einzige, was ich an der Ausdehnung der Antirassismusstrafnorm bemängle, ist der fehlende Schutz von trans und inter Personen. Nach unserem Sieg an der Urne ist ihr Schutz das nächste, was wir in Angriff nehmen müssen.
Hier erfährst du mehr über die wichtige Abstimmung vom 9. Februar. Bitte unterstütze das Ja-Komitee bei ihrer Arbeit:
Das bringt die November-Ausgabe der MANNSCHAFT!
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