«Lippenbekenntnisse zum Welt-Aids-Tag genügen nicht»
Erfolge der deutschen HIV-Prävention sind in Gefahr
Der Welt-Aids-Tag steht bevor, und die Deutsche Aidshilfe warnt vor geplanten Kürzungen: Es drohen Neuinfektionen und Aidserkrankungen. Menschen mit HIV erleben weiterhin Diskriminierung.
Kürzungen öffentlicher Mittel bedrohen an immer mehr Orten die erfolgreiche HIV- und Aids-Prävention in Deutschland.
In Nordrhein-Westfalen und Berlin sind drastische Einschnitte angekündigt (MANNSCHAFT berichtete). Auch in anderen Bundesländern sowie in vielen Kommunen gehen die Mittel faktisch stark zurück, weil steigende Lohnkosten und Inflation erneut nicht ausgeglichen werden. In Sachsen und Thüringen besteht für Aidshilfen durch die politische Übergangssituation eine völlige Ungewissheit bezüglich des kommenden Jahres.
«Wer bei der Prävention spart, wird Neuinfektionen ernten. Eine Ausdünnung von Testangeboten wird wieder zu mehr vermeidbaren Aids-Erkrankungen führen. Die Kürzungen bedrohen die Erfolge der letzten Jahre und werden am Ende teuer werden», sagt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.
In Nordrhein-Westfalen sind im Aidshilfe-Bereich Kürzungen von 1,5 Millionen Euro geplant, das ist mehr als ein Drittel der bisherigen Mittel. Bedroht ist zum Beispiel Aufklärungsarbeit für Jugendliche. Geplante Kürzungen in Berlin betreffen auch Aidshilfe- und Drogenhilfe-Organisationen. Auch Hilfsangebote für diskriminierte Minderheiten wie queere Menschen sind von den Einsparungen bedroht, queere Jugendzentren müssten schliessen - was fatale Folgen für die Prävention haben würde. Von den Kürzungen des Berliner Senats wären auch die Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung oder die gesundheitliche Versorgung Obdachloser betroffen. In Hessen steht ein preisgekröntes Hilfs- und Präventionsprojekt für queere Geflüchtete vor dem Aus - eine äusserst verletzliche Gruppe.
DAH-Vorstand Urban: «Wir sind schockiert, dass Sparmassnahmen auch die ohnehin unzureichenden Angebote für die Schwächsten und für marginalisierte Menschen treffen sollen. Das ist ein Offenbarungseid der Sozial- und Gesundheitspolitik.»
Bereits seit Jahren steigt die Zahl der Todesfälle und der HIV-Infektionen bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen, die Präventionsbudgets sinken. Junge queere Menschen haben ein erhöhtes Risiko für Suizid und für Abhängigkeitserkrankungen, doch Angebote für sie werden weiter ausgedünnt. Und die Bundesregierung ist die im Koalitionsvertrag versprochene Lösung zur gesundheitlichen Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung und Aufenthaltspapiere schuldig geblieben.
Zugleich ist es jedoch in den letzten Jahren gelungen, die Zahl der HIV-Infektionen bei schwulen Männern zu senken. Durch verbesserte Testangebote ist die Zahl der frühen HIV-Diagnosen gestiegen, Aids-Erkrankungen sind damit vermieden worden.
«Aidshilfe-Organisationen haben ihren Job in den letzten Jahren unter immer schwierigeren Bedingungen hervorragend erledigt. Wenn Regierungen jetzt in diesem Feld sparen, zerstören sie die Erfolge, für die wir lange gemeinsam gekämpft haben, und die Strukturen, die diese Fortschritte möglich machen», betont DAH-Vorstand Sylvia Urban.
Der Welt-Aids-Tag ist der Tag der Solidarität mit HIV-positiven Menschen. Auch Beratungs- und Selbsthilfeangebote sind von den Kürzungen bedroht.
«Die Kürzungen werden auch Menschen schaden, die mit HIV leben. Lippenbekenntnisse zum Welt-Aids-Tag werden fehlende Unterstützung nicht ausgleichen», sagt Urban.
Menschen mit HIV können heute bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie leben wie alle anderen. Unter Therapie ist HIV auch nicht mehr übertragbar. Im Alltag müssen HIV-positive Menschen aber noch immer mit Diskriminierung und Berührungsängsten rechnen - von Schuldzuweisungen bis hin zum Jobverlust.
Bei der Studie positive stimmen 2.0 erklärten 90 Prozent der Befragten, sie würden gut mit ihrer HIV-Infektion leben. 95 Prozent jedoch hatte im Jahr vor der Befragung Diskriminierung erlebt, mehr als die Hälfte gab an, Vorurteile würden ihre Lebensqualität beeinträchtigen.
«Stigmatisierung und Diskriminierung machen krank. Die wichtigste Botschaft zum Welt-Aids-Tag lautet daher: Berührungsängste gegenüber Menschen mit HIV sind unnötig, Ausgrenzung und Benachteiligung inakzeptabel. Ein entspanntes Miteinander ist möglich: Im Job, in der Freizeit und auch in der Sexualität. Das sollten alle Menschen wissen und beherzigen.»
Die deutsche Welt-Aids-Tags-Kampagne «Leben mit HIV. Anders als du denkst?» soll dazu anregen, sich Vorurteile bewusst zu machen und so gegen Diskriminierung wirken. Menschen mit HIV erzählen aus ihrem Leben und von ihrem Umgang mit Stigmatisierung. "Leben mit HIV. Anders als du denkst?» ist eine Gemeinschaftskampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Deutschen Aidshilfe und der Deutsche Aids-Stiftung.
Mehr Infektionen mit Syphilis und Co. registriert: Es fehlen Prep und Tests, so die Forderungen der Aids-Hilfe Schweiz (MANNSCHAFT berichtete)
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