Gewalt im Berliner Regenbogenkiez: «Anhaltend viel und beunruhigend»
Eine erhöhte Polizeipräsenz kann dem schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo zufolge aber nur eine temporäre Lösung sein
Der Berliner Regenbogenkiez soll als kriminalitätsbelasteter Ort eingestuft werden. So möchte es zumindest die CDU und fordert mehr Polizeipräsenz. Das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo sieht das nur als temporäre Lösung.
Beim Folsom Europe werden Teilnehmende mit einer Blechdose beworfen, Scheiben von queeren Organisationen werden beschmiert und zerstört, Regenbogenfahnen werden geklaut – dass nicht alles rosig ist, im Berliner Regenbogenkiez rund um den Nollendorfplatz, ist kein Geheimnis. Doch was tun gegen die immer wieder auftretenden Übergriffe?
«Menschen haben Angst, abends alleine durch die Bars und Kneipen im Regenbogenkiez um die Häuser zu ziehen. Weshalb? Weil sie befürchten, durch Raub oder Angriff Opfer einer Straftat zu werden», erklärte die LSU Berlin und argumentiert mit Clan-Kämpfen und rassistischen wie queerfeindlichen Angriffen. Zunehmend Gewalt und anhaltende Kriminalitätsprobleme würden zu einer «dramatischen» Lage führen. Dem Berliner Kriminalitätsatlas zufolge werden in Schöneberg-Nordwest mit die meisten Delikte in der Stadt gezählt.
Die Interessenvertretung der Lesben und Schwulen in der CDU unterstützt deshalb den von ihrer Partei in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg eingereichten Antrag, um das Gebiet Nollendorf-Kiez/ Kurfürsten-Kiez erneut als «Kriminalitätsbelasteter Ort (kbO)» einzustufen. Damit einhergehend soll eine stationäre, dauerbesetzte Polizeiwache errichtet werden.
Ein Ansatz, den man durchaus ausprobieren könne, sagt Bastian Finke, Leiter vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo. «Es ist einen Versuch wert. Aber eine dauerhafte Lösung kann eine solche Einstufung nicht sein. Nach einer solche Phase sollten die Ergebnisse polizeilicher Arbeit dann bitte auch richtig ausgewertet und evaluiert werden, um zu klären, wie es anschliessend weitergehen soll», sagt der 64-Jährige und verweist auf den Vorstoss im Jahr 2019.
Damals war die Einstufung nach kurzer Zeit wieder aufgehoben worden, nachdem die Anzahl und Schwere der dort festgestellten Straftaten unter die festgelegte Schwelle gefallen war, wie der Rot-Rot-Grüne Senat mitteilte. Eine Analyse blieb im Nachgang aus.
Als kbO wird in Berlin ein Raum mit besonders hohem Straftatenbestand bezeichnet, in dem der Polizei, die Identitätsfeststellung, Durchsuchung einer Person und Durchsuchung einer Sache, erlaubt ist, wenn Auffälligkeiten festgestellt werden. Wie diese Auffälligkeiten auszusehen haben, ist indes nicht näher festgelegt. Aktuelle kbOs sind der Alexanderplatz, Görlitzer Park/Wrangelkiez, Hermannplatz/Donaukiez, Hermannstrasse/Bahnhof Neukölln, Kottbusser Tor, Rigaer Strasse und die Warschauer Brücke.
Jetzt soll – wenn es nach der CDU geht – ein Gebiet in Schöneberg-Nord dazu kommen, wobei es sich aber nicht nur um den Regenbogenkiez handelt, sondern ebenso um angrenzende Bereiche, in den Drogenhandel und -konsum, Sexarbeit und Bandenkriminalität immer wieder Thema sind. «Da gibt es immer wieder viele Situationen, die für Stress sorgen. Und diese Sammlung wird dann über eine längere Zeit in der Häufung zu einer Belastung für die Anwohnenden», sagt Finke.
Er weist dabei genauso daraufhin, dass die reinen Fallzahlen nicht immer die ganze Wahrheit widerspiegeln. Viele Taten würden aus unterschiedlichsten Gründen nicht zur Anzeige gebracht werden, Hinweise auf Taten werden in die Statistik nicht aufgenommen. Dazu kommt die subjektive Wahrnehmung. Denn eine Beleidigung oder eine beschmierte Scheibe mag mancherorts als nicht viel erscheinen, aber wenn Menschen derartigen Übergriffen immer wieder ausgesetzt werden, verschiebt dies die Toleranzgrenze.
«Es reicht dann, wenn es immer wieder erneut zu Vorkommnissen kommt. Wenn immer wieder ähnliche Erfahrungen gemacht werden», erklärt Finke. « Andauernde Belastungen und vorherige ähnliche Erfahrungen verstärken oftmals das subjektive Gefühl der Bedrohung.» Die steten Übergriffe können dann zu Erschöpfung, psychischen Problemen, aber auch zu Wut führen, betont der Soziologe.
Trotzdem hält er fest: «Eine aktuelle Zunahme LGBTIQ-feindlicher Gewalt im Regenbogenkiez können wir glücklicherweise nicht feststellen. Aber es reicht ja auch schon, was immer wieder erneut passiert. Es dauert an und ist weiter beunruhigend.» Auf das vergangene Jahr bezogen hatte der Maneo-Report einen Anstieg queerfeindlicher Fälle in Gesamtberlin von 23 Prozent herausgearbeitet (MANNSCHAFT berichtete).
Um Verbesserung herbeizuführen, rät Finke vor allem zu einem: Kommunikation. An runden Tischen, bei Organisationen, auf Strassenfesten und eben überall, wo sich Menschen begegnen. «Da gibt es bereits viele sinnvolle, etablierte Strukturen. Wir müssen aber noch mehr miteinander reden. Gleichzeitig haben wir leider das Problem, dass wir noch mehr Unterstützung bräuchten – also finanziell, mit mehr Personal.» Auch bei den Verbänden, Organisationen und individuellen Helfer*innen ist die Belastung hoch. «Wir müssen uns so oft auf das beschränken, was gerade so machbar ist», sagt Finke.
Ein verhaltenes, positives Fazit kann der Leiter von Maneo aber ziehen: «Unsere Arbeit trägt kleine Früchte.» Die Mitarbeitenden am Info-Punkt, die Nachtlichter und das Engagement anderer Einrichtungen würden von den Anwohnenden gut angenommen werden. Denn es gebe auch immer wieder ein Dankeschön. Dafür, dass hingeschaut wird, wenn andere den Blick abwenden. Dafür, dass jemand etwas tut. «Doch das sind Tropfen auf dem heissen Stein. Da geht noch mehr. Da gibt es so viele weitere Ideen und Initiativen, die angekurbelt werden könnten.»
Seit September ist Schluss. Alle Versuche, das Berio in Berlin zu retten, von dem seine Unterstützer*innen als «Treffpunkt der queeren Community, Wohlfühlort für Kunst und Kultur» schwärmen, sind gescheitert (MANNSCHAFT+).
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