Ohne rechtliche Anerkennung für Queers: Ein deutsch-japanisches Paar erzählt

Maki (links) und Sophie möchten anonym bleiben, teilen jedoch dieses Foto ihrer Hochzeit.
Maki (links) und Sophie möchten anonym bleiben, teilen jedoch dieses Foto ihrer Hochzeit. (Bild: Privat)

In Deutschland anerkannt, in Japan unsichtbar: Für Maki zog Sophie dauerhaft nach Japan. Hier wollen sie gemeinsam leben, Kinder bekommen, ein normales Leben führen. Sophie und Maki sind verheiratet, aber ihre Ehe wird aktuell trotz neuer Gesetze nicht anerkannt. Als internationales Paar müssen sie sich mit zusätzlichen Hürden befassen.

Japan steht an einem historischen Punkt: Die Regierung hat beschlossen, die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare auf neun weitere Gesetze auszuweiten, darunter das Gesetz über Katastrophenhilfe. Damit sollen Paare, die sich in einer «faktischen Ehe» befinden, umfassender geschützt werden. Die Entscheidung folgt auf die Urteile des Bezirksgerichts Tokio und des Obergerichts Sapporo vom März 2024, welche feststellten, dass gleichgeschlechtliche Paare unter das Gesetz über Opferhilfeleistungen fallen, da sie sich in einer «Ehe-ähnlichen Situation» befinden.

Sophie aus Deutschland und Maki* aus Japan sind in ihren Dreissigern und Vierzigern, arbeiten in Tokio für verschiedene Unternehmen und haben sich 2018 über eine Dating-App kennengelernt. «Und natürlich wusste ich schon seit Beginn unserer Beziehung, dass sie die Frau ist, die ich heiraten wollte», erinnert sich Maki. Aber Gefühle und der Wunsch nach ewiger Verbundenheit waren nicht die einzigen Gründe für die Hochzeit in Dänemark, wo internationale Paare, egal ob heterosexuell oder homosexuell, einfach und unkompliziert heiraten können. «Die Entscheidung fiel, nachdem es uns aufgrund der Covid-Pandemie so schwerfiel, zusammen zu leben, und wir unserer Beziehung eine gewisse rechtliche Absicherung geben wollten», erklärt Sophie.

«Es macht mich fertig zu wissen, dass Kinder in Japan derzeit automatisch das Recht verlieren, von beiden Elternteilen geschützt zu werden.»

Maki

Im Alltag rechtlich unsichtbar Ihre Ehe ist in Deutschland und 37 weiteren Ländern weltweit anerkannt. Japan ist keines davon und ihre Eheurkunde bleibt hier bedeutungslos in den Augen des Gesetzes. «Ich frage mich oft, ob es die richtige Entscheidung ist, unser Leben in Japan zu verbringen», bemerkt Sophie «Wir hatten immer die Hoffnung, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Japan bald ändern würden, aber es ist schwierig, Familie und Freund*innen zu erklären, warum man den rechtlichen Schutz ausschlägt, den man in einem anderen Land geniessen würde.»

Die rechtliche Unsichtbarkeit zeigt sich in zahlreichen alltäglichen Situationen. «Da ich kein Ehevisum beantragen kann, hängt mein rechtliches Aufenthaltsrecht vollständig von meinem Job ab», ergänzt Sophie. «Die Regierung stellt Arbeitsvisa nur für bestimmte Tätigkeiten aus, zum Beispiel für Vollzeitstellen im Büro, was meine Freiheit in Bezug auf meine Lebensweise einschränkt. Wenn ich meinen Job kündige oder verliere, muss ich innerhalb von drei Monaten einen neuen finden, um mein Aufenthaltsrecht nicht zu verlieren. Andere Situationen, die mir Sorgen bereiten, sind medizinische Notfälle, insbesondere solche, bei denen es um Leben und Tod geht und was passieren könnte, falls wir eine Familie in Japan gründen.» Maki beschreibt die emotionale Last, die diese Unsichtbarkeit mit sich bringt: «Vor allem, weil wir Kinder haben möchten und mit Anwälten aus Deutschland und Japan gesprochen haben, hat mich das Ergebnis – das, was wir ohnehin schon befürchtet hatten – tief getroffen und sehr hoffnungslos gemacht. Es macht mich fertig zu wissen, dass Kinder in Japan derzeit automatisch das Recht verlieren, von beiden Elternteilen geschützt zu werden, statt nur von einem. Derzeit gibt es kein Gesetz, das dies ändern könnte.»

«Die Menschen sind in der Regel höflich und behalten ihre Meinung für sich.»

Sophie

Akzeptanz im Alltag trotz fehlender Gesetze Trotz dieser Herausforderungen erfährt das Paar im Alltag viel Unterstützung und Akzeptanz in Japan. «Glücklicherweise habe ich noch nie negative Erfahrungen gemacht. Die meisten Menschen sind wirklich freundlich, während andere vielleicht nicht offen darüber sprechen, was auch eines der Dinge ist, die ich am Leben in Japan sehr schätze: Die Menschen sind in der Regel höflich und behalten ihre Meinung für sich», erzählt Sophie. Auch Maki berichtet von einem positiven Umfeld: «Ich habe grosses Glück, denn insbesondere meine Familie und meine Arbeitskolleg*innen behandeln uns wie ein Ehepaar und zögern nicht, uns in unserem Alltag auch so zu behandeln, indem sie uns beispielsweise unbekannten Personen als Ehepaar vorstellen.»

Sophie konnte sich in der Vergangenheit immer auf Maki verlassen. Für ausländische Staatsangehörige ist die japanische Bürokratie oft undurchschaubar und kompliziert. «Glücklicherweise kümmert sich meine Partnerin um fast alle grösseren administrativen Angelegenheiten, einschliesslich der Wohnung, sodass es für mich bisher recht einfach war», so Sophie. Maki erzählt von einem kleinen, aber belastenden Detail: «Eine meiner Versicherungsgesellschaften ist immer noch nicht bereit, sie als Begünstigte einzutragen. Aber wir wohnen zur Miete, haben also keine Kredite, und wir haben noch keine Kinder, sodass wir Steuern wie kinderlose ledige Personen zahlen.»

Die jüngste Entscheidung der japanischen Regierung, die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare auf neue Bereiche auszuweiten, hat für das Paar wenig praktische Wirkung. «Ich wusste nur, dass gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehungen in der Volkszählung registrieren lassen können. Das haben wir getan, aber ich erwarte keine wesentlichen Veränderungen in unserem persönlichen Leben», sagt Sophie.

2021: Etappensieg: Anwälte der Kläger und Unterstützer halten Regenbogenflaggen vor dem Bezirksgericht Sapporo hoch. Auch gleichgeschlechtliche Partner müssten die Möglichkeit haben, einander zu heiraten, befand das Gericht
Etappensieg 2021: Regenbogenflaggen vor dem Bezirksgericht Sapporo (Bild: Yohei Fukai/Kyodo News/dpa)

Auch die gesellschaftliche Stimmung in Japan ist für beide Frauen ambivalent. «Meiner Meinung nach war die japanische Gesellschaft in Bezug auf gleichgeschlechtliche Liebe schon immer vergleichsweise tolerant, und ich war optimistisch, dass sich diese Veränderung bald auch in der Gesetzgebung widerspiegeln würde. In letzter Zeit gewinnen jedoch rechtsgerichtete Diskussionspunkte auch in Japan an Bedeutung. Selbst wenn die meisten Menschen in Japan nichts gegen gleichgeschlechtliche Ehen haben, bezweifle ich, dass viele aktiv auf Veränderungen drängen würden», berichtet Sophie. Maki, die im Bereich Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion arbeitet, sieht zumindest Fortschritte auf Unternehmensebene: «Ja, es findet allgemein mehr Beachtung statt, in Unternehmen und sogar in der Regierung. Durch die Medien ist eine grössere Präsenz festzustellen, es wird häufiger darüber diskutiert. Derzeit befürworten laut der Kampagne ‹Marriage for All in Japan› 49 % der Abgeordneten die Ehe für alle, was im Laufe der Jahre ein ziemlicher Fortschritt ist.»

Ehe für alle – ein politisches Seilziehen in Japan

2015 – Erste gleichgeschlechtliche Partnerschaftszertifikate werden in Tokio (Stadtteil Shibuya) eingeführt. Diese sind symbolisch, aber rechtlich nicht bindend.

2019 – Mehrere Bezirke und Städte in Japan führen ähnliche Partnerschaftssysteme ein. Der öffentliche Druck auf die Regierung wächst.

2021 – Das Bezirksgericht Sapporo entscheidet erstmals, dass das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe verfassungswidrig ist – ein historisches Urteil.

2022 – Das Bezirksgericht Osaka urteilt gegenteilig: Das Eheverbot sei nicht verfassungswidrig. Japan bleibt beim Status quo.

2023 – Weitere Bezirksgerichte erkennen an, dass das Fehlen rechtlicher Anerkennung für gleichgeschlechtliche Paare Menschenrechte verletzt, erklären das Verbot aber nicht vollständig für verfassungswidrig.

2024 –Das Obergericht Sapporo bestätigt: Das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen verstösst gegen die Verfassung. Es ist das erste Ober­gericht in Japan, das so entscheidet, vier weitere folgen.

2025 – Die japanische Regierung erweitert den rechtlichen Schutz für gleichgeschlechtliche Paare auf neun weitere Gesetze, darunter Katastrophenhilfe – jedoch ohne Einführung der Ehe für alle.

Politischer Rückschritt unter Premierministerin Takaichi Die politische Lage in Japan, insbesondere die Wahl von Sanae Takaichi zur ersten Premierministerin (siehe Infokasten am Artikelende), stösst bei beiden auf Unverständnis und Frustration. «Schockiert und enttäuscht», war Sophies erste Reaktion. Maki war «am Boden zerstört» und sieht in der neuen Regierungschefin «einen Rückschritt, wenn man ihre politischen Standpunkte betrachtet». Sie befürchten, dass die Regierung den Fortschritt bei LGBTIQ-Rechten verzögern oder blockieren könnte. «Leider glaube ich, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um ihn zu verlangsamen», sagt Sophie. Maki ergänzt: «Ich glaube, sie wird versuchen, den Prozess der Gesetzgebung zur gleichgeschlechtlichen Ehe zu verzögern. Die LGBTIQ-Arbeitsgruppe des Kabinetts bezieht die LDP [die konservative Partei von Takaichi] aktiv mit ein und macht Fortschritte, aber es könnte genauso gut zu zahlreichen Gerichtsverfahren kommen.» Damit spielt Maki auf die neusten Gerichtsurteile an. Im März diesen Jahres entschieden auch die Obergerichte von Osaka und Nagoya, dass das Verbot für die gleichgeschlechtliche Ehe verfassungswidrig sei (MANNSCHAFT berichtete). Auch die Bevölkerung befürwortet die Ehe für alle – gemäss einer Umfrage des Pew Research Centers aus dem Jahr 2023 sogar zu 63 %. Mittlerweile haben schon Dutzende Paare ihr Recht auf die Eheschliessung eingeklagt.

Wie gleichgeschlechtliche Paare eine Gesetzeslücke nutzen

Seit dem 13. Jahrhundert gibt es in Japan die Erwachsenenadoption, welche den Adoptierten offizielle Rechte gewährt wie Steuervergünstigungen, Erbrecht und Krankenhausrechte. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele, wo sich erwachsene Frauen oder erwachsene Männer gegenseitig adoptierten, um ihre Partner absichern zu können. Auch heute besteht das Recht auf die Erwachsenenadoption. Ein bekanntes Beispiel ist der Anime Director Takashi Otsuka, der 2013 seinen Partner Shinji adoptierte, um ihm rechtlich abgesicherte Erb- und Nachfolgerechte zu verschaffen. Trotz der Vorteile bleibt die Erwachsenenadoption keine Ehe und kann international nicht anerkannt werden. Auch ist es adoptierten Menschen verboten, ihre Partner später zu heiraten, sollte die Ehe für alle in Japan doch legal werden. Bevor in den USA die Ehe 2015 bundesweit für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde, nutzten auch dort viele Paare die Methode der Erwachsenenadoption.

Japan am Scheideweg: Wie sieht die Zukunft aus? Trotz aller Widrigkeiten bleiben Maki und Sophie hoffnungsvoll und stark verbunden. «Wir haben immer die Möglichkeit, Japan zu verlassen und uns in Europa niederzulassen, wenn die Situation unerträglich wird. Natürlich wäre ein solcher Umzug mit grossen finanziellen und emotionalen Kosten verbunden, aber meine Familie zu Hause würde uns willkommen heissen und die Behörden würden unsere Beziehung anerkennen», betont Sophie. «Es ist wichtig, ehrlich und verletzlich miteinander zu sein, um sich gegenseitig zu unterstützen, und gleichzeitig die Fortschritte zu sehen, die in diesem Land gemacht werden. Ausserdem teilen wir unsere Geschichten mit anderen, damit sie verstehen, was wir durchmachen, und selbst aktiv werden», führt Maki hinzu.

Ihre Zukunftsvision für die nächsten fünf bis zehn Jahre ist klar: Ein Leben in Sicherheit, Gleichberechtigung und die Möglichkeit, eine Familie zu gründen. «Ich hoffe, dass wir eine Familie haben und irgendwo auf dem Land mit einem grossen Garten leben», sagt Sophie. Auch Maki erklärt, dass sie sich eigentlich nichts Besonderes wünschen, keine Sonderrechte, sondern Gleichbehandlung: «Wir hoffen, dass wir die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen haben.»

Für andere binational oder gleichgeschlechtlich lebende Paare in Japan haben sie einen pragmatischen Rat: «Geniesst die vielen guten Seiten und habt immer einen Plan B», betont Sophie. Dem kann Maki nur zustimmen: «Ein Plan B ist immer notwendig. Man sollte seine wahren Gefühle nicht unterdrücken. Japan ist ein sicheres Land, aber es ist nicht für jeden geeignet. Die kulturellen Nuancen können enttäuschend sein, wenn man sie nicht versteht.»

Ihr Alltag zeigt, wie queere Menschen in Japan trotz gesetzlicher Einschränkungen, politischer Rückschritte und gesellschaftlicher Unsicherheiten ein Leben voller Liebe, Zusammenhalt und Mut führen. Man könnte meinen, dass die japanische Gesellschaft bereit für die gleichgeschlechtliche Ehe sei. Fünf Obergerichte stehen auf ihrer Seite. «Boys Love» und «Girls Love» sind beliebte Genre bei Mangas und auch weltweit bekannte Anime-Serien, wie «One Piece» und «Jujutsu Kaisen» zeigen queere Charaktere. In der beliebten Mangaserie «Dou Kyu Sei – Verliebt in meinen Mitschüler», welche seit 2006 erscheint, endet die Liebesgeschichte der Protagonisten Hikaru Kusakabe und Rihito Sajo mit einer Hochzeit.

Aktuell steht Japan an einem Scheideweg: Historische politische Ereignisse, konservative Regierungspolitik und jüngste gesetzliche Fortschritte zeigen, wie komplex die Realität für gleichgeschlechtliche Paare ist. Für binational lebende Paare wie Sophie und Maki bedeutet das tägliche Balanceakte zwischen Liebe, rechtlicher Unsicherheit und Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Japan tatsächlich aufholen kann, oder ob konservative Strukturen weiterhin die Gleichstellung blockieren.

Sanae Takaichi wurde zur ersten Ministerpräsidentin des Landes gewählt.
(Bild: Eugene Hoshiko/AP/dpa)

Sanae Takaichi

Am 21. Oktober wurde Sanae Takaichi nach einer überwältigenden Parlamentsabstimmung zur ersten Premierministerin Japans gewählt. Sie bewundert Margaret Thatcher und wird deshalb auch als «Eiserne Lady Japans» bezeichnet. Die Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei (LDP) vertritt streng konservative Positionen, einschliesslich der Ablehnung der Ehe für alle. Während sie 2023 im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Förderung des Verständnisses für LGBTIQ erklärte, dass es «keine Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität geben sollte», bezeichnete sie die gleichgeschlechtliche Ehe zugleich als «sehr schwieriges Problem».

Homosexualität ist in Japan legal, aber die gleichgeschlechtliche Ehe wird nicht anerkannt, und Konversionstherapien sind noch nicht verboten. Laut Equaldex zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der japanischen Bevölkerung LGBTIQ-Rechte unterstützt: 2023 befürworteten 72 Prozent der Befragten die Ehe für alle.

Japan ist bislang das einzige G7-Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe nicht legalisiert hat, obwohl Gerichte das Verbot als verfassungswidrig angesehen haben. Gleichgeschlechtliche Paare können lediglich eingetragene Lebenspartnerschaften eingehen, haben jedoch weder Erb- noch Adoptionsrechte und sind in kritischen Situationen wie Krankenhausbesuchen oft rechtlich nicht als Familienmitglieder anerkannt.

Mehr: Entscheid des Supreme Courts: Ehe für alle in den USA wird nicht neu verhandelt (MANNSCHAFT berichtete)

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare