Diese Entschuldigung ist ein Mutmacher für LGBTIQ
Hass macht hässlich, aber wir können alle für mehr Schönheit sorgen
Hass macht hässlich – und ist trotzdem noch sehr verbreitet. Besonders gegen LGBTIQ. Deshalb sollten wir alle für mehr Schönheit im Leben Sorgen. Die jüngste Wahl in Polen und eine emotionale Entschuldigung im dortigen TV haben gezeigt, dass das geht, schreibt unser Autor in seinem Kommentar*.
Der Film «All of Us Strangers» ist deshalb so brillant und unbedingt zu empfehlen – auch ein zweites Mal, wenn die erste emotionale Flutung verklungen ist –, weil er von den Hässlichkeiten unserer nächsten Menschen, den Eltern, handelt.
Von Fiesheiten und Niederträchtigkeiten, gegen die man sich, vor und mit dem Coming-Out, nicht wehren kann, weil man für die eigene «Pride» in Sachen schwul oder lesbisch noch keine innere Erzählung hat. Der Film handelt vom Kostbarsten, das uns widerfahren kann: von der Erläuterung, der Entschuldigung für das angetane Leid – und von unserer Kunst, diese Erzählungen anzunehmen (MANNSCHAFT+). Es ist keine unkomplizierte Kunst, Entschuldigung für wahr zu nehmen – und die, was es sehr oft verständlicherweise gibt, Bitterkeit abzustreifen.
Der Film erzählt eine private Geschichte, hier aber geht es um ein Lob auf eine Institution: der des polnischen Fernsehens TVP. In einer Talkshow entschuldigte sich – inzwischen: vor einem Millionenpublikum, der breitflächigen Berichterstattung über dieses Ereignis wegen – ein TV-Moderator für die jahrelange Schmähung von LGBTIQ-Menschen auf diesem Sender (MANNSCHAFT berichtete).
Es ist ein öffentlich-rechtlicher Sender, der über acht Jahre im Zwinggriff der rechtsnationalistischen Partei PiS sich befand. Eine TV-Station, die hemmungs- und schamlos Regierungspropaganda betrieb und fern der Idee sein Programm ausstrahlte, dies sollte möglichst neutral und mit Berücksichtung aller Perspektiven gehalten sein. Das war bei TVP nicht der Fall. Denn LGBTIQ galten hier als «Gefahr», unsereins wurde dämonisiert. Queeres wurde so viele Jahre lang als Gift berichterstattet.
Der Moderator Wojciech Szeląg, selbst erst seit dem furiosen Regierungswechsel zum liberalen Ministerpräsidenten Donald Tusk im Job bei TVP, hatte den schwulen Filmemacher Bart Staszewski und die Transgender-Aktivistin Maja Heban, zwei bekannte Gesichter der polnischen LGBTIQ-Community, zu Gast. Auch sie beide waren in den vergangenen Jahren wiederholt als «Bedrohung» dargestellt worden. Nachdem er seine Gäste vorgestellt hatte, betonte Szeląg, dass es vor dem Gespräch Zeit für einige Worte sei und wandte sich dann direkt der Kamera zu. Ans Publikum gerichtet sagte er dann, dass LGBTIQ-Personen in Polen seit Jahren «beschämende Dinge» zu hören bekommen hätten, «einfach nur, weil sie für sich selbst entschieden haben, wer sie sind und wen sie lieben». Dafür sei nun eine Entschuldigung fällig.
Und so geschah’s. Eine, soweit ich das überblicken kann, televisionär einmalige Geste: Ein Fernsehsender bittet eine spezielle Menschengruppe, den er viele Jahre aus ideologischen Gründen diskriminiert und an den Pranger gestellt hat, um Verzeihung. Eine Freundin aus Danzig, heterosexuell orientiert, schrieb mir hinterher, dass sie ein bisschen geweint habe bei dieser «Entschuldigung». Eine, wie ich finde, nur zu natürliche Reaktion.
Wichtig aber hier zu erwähnen ist, dass wir anerkennen müssen, auf der Siegesstrasse der Geschichte stehen zu können. Dass unsere Kämpfe für Sichtbarkeit und Freiheit Erfolg haben können – dass wir also auch mal entspannen und von der Angst lassen können, wenigstens ein bisschen.
Denn die Geste des TV-Mannes war ja nicht nur an uns gerichtet, persönlich gerichtet an seine beiden Studiogäste und die queere Community Polens. Sondern auch an die nicht-queeren polnischen Bürger*innen, die allmählich lernen. Dies vor allem: Hass macht hässlich. Immer. Und überall. Sie können jetzt schön werden.
Dass von diesem Umschwung hauptsächlich Polen aufs angenehmste ‚heimgesucht‘ wird, tröstet: Man kann ein politisches Übel, also hier die Partei PiS, durch demokratische Wahlen hinter sich lassen. Was nichts daran ändert, dass in der östlichen Nachbarschaft dieses Landes, in Russland, das übelste homo- und transphobste Regime Europas regiert – kriegstreibend und bombenwerfend obendrein.
Sagen wir uns einfach: Unterstützen wir alle, die dieses Regime bekämpfen, auf dass auch dort eines Tages ein im TV moderierende Person …
Und dann wird der Regenbogen aufgehen, garantiert.
Seit einigen Monaten werden queere Menschen in Russland als «Extremisten» gebrandmarkt und verfolgt. Nun wurde gegen eine junge Frau wegen des Tragens von Regenbogen-Symbolik eine Haftstrafe verhängt (MANNSCHAFT berichtete).
* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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