Rechte Gewalt gegen LGBTIQ: Deutlich mehr Fälle erfasst
«Der Begriff Genderwahn wird genutzt, um den Schulterschluss in die bürgerliche Mitte zu schaffen»
Homosexualität, queeres Leben, jüdischer Glauben: Zunehmend werden Menschen wegen ihres Aussehens oder ihrer Lebensart in Berlin angegriffen.
In Berlin sind deutlich mehr rassistische, queerfeindliche sowie antisemitische Propaganda, Bedrohung und Angriffe registriert worden. Die Sammelstelle Berliner Register hat im vergangenen Jahr 7‘720 Vorfälle erfasst, wie sie mitteilte. Damit sei ein neuer Höchststand erreicht, hiess es. Im Jahr 2023 wurden laut Register 5.286 Vorfälle gemeldet.
«Der deutliche Anstieg geht vor allem auf verstärkte extrem rechte Aktivitäten sowie eine Zunahme antisemitischer Bedrohungen zurück», erklärte die Koordinatorin der Berliner Register, Jana Adam.
In 64 Prozent der Fälle handelt es sich um Propaganda-Delikte. 18 Prozent der Fälle machen Beleidigungen und Bedrohungen aus, 5 Prozent körperliche Angriffe. Durchschnittlich 21 Vorfälle pro Tag gab es laut Statistik im vergangenen Jahr. Dazu kommen andere Kategorien wie Sachbeschädigungen.
Fast doppelt so viele antisemitische Vorfälle
Fast verdoppelt hat sich dabei laut Meldestelle die Zahl antisemitischer Vorfälle. Mit 2‘200 Fällen machten sie 28 Prozent aller erfassten Ereignisse aus (2023: 1‘113). Häufig steht das Geschehen im Kontext mit dem Gaza-Krieg. Der Terroranschlag der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 markiere eine Zäsur, so Koordinatorin Adam. (MANNSCHAFT berichtete, wie sich das auch innerhalb der LGBTIQ-Community bemerkbar macht.)
Die Meldestelle beobachtet aber auch, dass sich antisemitische Einstellungen zunehmend normalisieren. Unter Berücksichtigung der Daten der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) werde deutlich, dass die «Grenzen des Sagbaren sich insgesamt verschoben haben und einige antisemitische Äusserungen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein akzeptabel scheinen».
Auch mehr rassistische Vorfälle
Diese Entwicklung ist aus Sicht des Projekts auch bei rassistischen Vorurteilen zu beobachten. Das Erstarken der AfD und Begriffe wie «Remigration», die einst dem Sprachgebrauch extrem rechter Parteien vorbehalten gewesen seien, beeinflussten das gesellschaftliche Klima. «Die dokumentierten Vorfälle zeigen, dass der Rechtsruck in öffentlichen Debatten seinen Widerhall auf der Strasse findet», hiess es. 1‘761 rassistische Vorfälle zählte das Register im Jahr 2024 - 302 mehr als im Vorjahr.
Und noch etwas beobachtet das Projekt zur Dokumentation extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in den Berliner Bezirken: «Die extreme Rechte gewinnt in Berlin an Einfluss – sei es durch eine wiedererstarkte rechte Jugendkultur, die Normalisierung rassistischer Rhetorik oder den Schulterschluss über antifeministische Ideologien», erklärte Adam.
Rechtsextreme Gruppen im Osten der Stadt
Die grösste organisierte Neonazi-Struktur in Berlin ist demnach die rechtsextreme Kleinstpartei «Der III. Weg». Die Organisation setze auf den «Kampf um die Strasse» und verbreitete ein völkisches, am Nationalsozialismus orientiertes Weltbild. «Erfahrene Neonazi-Kader schulen gezielt aktions- und gewaltbereite Jugendliche, wodurch sich extrem rechte Strukturen weiter verfestigen und radikalisieren», heisst es im Bericht des Registers. Das Auftreten vor Schulen sei ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit geworden, so Adam.
Die rechtsextreme Gruppe ist vor allem im Osten der Hauptstadt aktiv. Erst am vergangenen Wochenende gab es in Hellersdorf eine Demonstration mit rund 250 Teilnehmer*innen, die laut Polizei aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Insgesamt 30 Demonstrant*innen der rechtsradikalen Szene wurden wegen Angriffen und anderen Delikten laut Polizei vorläufig festgenommen.
Wie schon bei rechtsextremen Demos zuvor gab es Gegenproteste. «Viele nehmen Hass und Ausgrenzung nicht einfach hin», sagte Koordinatorin Adam. Dies schlägt sich in den Zahlen des Registers nieder, weil mehr Fälle gemeldet werden.
Extreme Rechte zunehmend aktiv
Nach den Zahlen stiegen die Aktivitäten gegen politische Gegner*innen der extremen Rechten von 252 (2023) auf 1‘296 (2024). Auch die Verherrlichung des Nationalsozialismus, etwa durch Hakenkreuz-Schmierereien (2024: 842; 2023: 704) und rechte Selbstdarstellung durch Werbung für extrem rechte Gruppen (2024: 959; 2023: 787) stiegen deutlich an.
«Die neue Rechte konstruiert gezielt Feindbilder, indem sie trans und nicht-binäre Personen als Bedrohungen darstellen»
Jana Adam, Koordinatorin der Berliner Register
Besonders betroffen von den Entwicklungen sind Menschen, die nicht in das extrem rechte Weltbild passen. Nach den Daten kam es vermehrt zu LGBTIQ-Feindlichkeit. 520 Vorfälle liegen hier vor (2023: 464). «Die neue Rechte konstruiert gezielt Feindbilder, indem sie trans und nicht-binäre Personen als Bedrohungen darstellen», so Adam. «Der Begriff Genderwahn wird genutzt, um den Schulterschluss in die bürgerliche Mitte zu schaffen.»
Die Berliner Register sind ein Projekt zur Dokumentation extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in den Berliner Bezirken. Dabei werden auch Vorfälle wie Schmierereien oder Beleidigungen gezählt, die keine Straftaten darstellen oder nicht angezeigt werden bei der Polizei.
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