Wegen Hungerlohn: Pfleger kündigt und startet bei OnlyFans
Nach einem Jahr Corona-Dauerstress hat James Cowe die Nase voll von den niedrigen Löhnen in seiner Branche und arbeitet lieber als «Online-Hure»
Der 23-jährige Altenpfleger James Cowe aus Bournemouth hat sich in einem TikTok-Video an Premierminister Boris Johnson gewandt und mitgeteilt, dass er künftig lieber als «Online-Hure» arbeiten werde, statt die Ein-Prozent-Gehaltserhöhung fürs Pflegepersonal in Grossbritannien zu akzeptieren.
Der blonde junge Mann mit den strahlend blauen Augen arbeitet seit sechs Jahren in der Altenpflege. Und natürlich war das zuletzt auch für ihn wegen Corona eine besonders intensive und kräftezehrende Zeit. Genau wie in vielen anderen europäischen Ländern wird auch im UK darüber diskutiert, ob man Pflegepersonal besser bezahlen sollte, jetzt wo allen in Covid-19-Zeiten klar wurde, wie wichtig diese Menschen fürs Gemeinwohl sind. Daraufhin hat die britische Regierung eine Gehaltserhöhung von einem (!) Prozent vorgeschlagen, während Gewerkschaften laut BBC-Bericht bis zu 12,5 Prozent fordern.
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Angesichts der zu erwartenden minimalen Gehaltsverbesserung hat sich Cowe entschlossen, seinen Job in der Pflege aufzugeben und sich stattdessen Vollzeit auf seine OnlyFans-Tätigkeit zu konzentrieren. Denn, so teilt er im TikTok-Video mit: da verdiene er in drei Tagen mehr Geld als in einem ganzen Monat im Altenheim. Deshalb prostituiere er sich lieber und nutze sein gutes Aussehen für schwule Sexfilme, für die Abonnent*innen zahlen müssen. Er habe bereits 7.000 solcher Abonnent*innen, die monatlich 11,99 Dollar überweisen, um täglich neuen Content auf Cowes Kanal zu sehen. Mit so vielen Abonnenten reiht sich Cowe in die Top 0,7 Prozent von OnlyFans-Content-Creators ein. (MANNSCHAFT berichtete über das Leben auf OnlyFans zwischen Online-Prostitution und Selbstverwirklichung.)
Nicht wertgeschätzt und schwer beleidigt In einem Interview mit dem Nachrichtenportal Pink News sagte er: «Der Druck der Corona-Pandemie hat alle, die im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten, unter enormen Druck gesetzt. Das hat dazu geführt, dass ich mich [angesichts der geplanten Ein-Prozent-Gehaltserhöhung, Anm.] nicht wertgeschätzt und sogar schwer beleidigt fühle.»
Den Wechsel zu OnlyFans sieht er als «Beginn einer lebensverändernden Erfahrung». Denn: «Nachdem ich mich so lange mit den niedrigen Löhnen im Pflegebereich rumgeschlagen habe, sieht die Zukunft jetzt auf einmal deutlich rosiger aus.»
Nachdem ich mich so lange mit den niedrigen Löhnen im Pflegebereich rumgeschlagen habe, sieht die Zukunft deutlich rosiger aus
In seinen ersten 22 Tagen bei OnlyFans habe Cowe, laut Pink News, mehr verdient als sein ehemaliges Jahresgehalt. Wobei Cowe betont, dass er wirklich gern als Pfleger gearbeitet habe.
Er stammt aus der südenglischen Küstenstadt Bournemouth und ist mit 18 Jahren in das Pflegeunternehmen seiner Familie eingestiegen, das sich um Demenzkranke kümmert. In dieser privaten Pflegeeinrichtung hatte er zuvor schon als Teenager ausgeholfen. Nach zwei Jahren im Familienbetrieb wechselte er zu einem anderen Pflegeheim für Demenzkranke, das spezialisiert ist, Senioren in ihren letzten Jahren zu begleiten.
Hoher Druck und Verantwortung «Das ist eine wirklich erfüllende Tätigkeit», sagt Cowe rückblickend. «Aber es lastet auch hoher Druck und viel Verantwortung auf einem.» Er habe insgesamt sechs Jahre in diesem Job gearbeitet und sich stets mehr darüber geärgert, dass er für eine Arbeit, die ihn zunehmend fordere und erschöpfe, am Ende des Monats fast kein Geld bekam. Das war der Moment, wo er beschloss, sich nackt zu machen.
«Ein OnlyFans-Konto zu eröffnen war mit Abstand eine der besten Entscheidungen meiner bisherigen Berufskarriere», sagt Cowe. «Ich habe in Bournemouth Social Media studiert und dafür schon immer eine Leidenschaft gehabt. Im letzten Jahr habe ich viele Stunden damit zugebracht, Content für meinen Instagram-Kanal zu kreieren und fand die Idee spannend, Vollzeit-Influencer zu werden.» Auf Instagram hat Cowe mehr als 37.000 Follower, womit er definitiv in der Influencer-Kategorie gelandet ist.
Dass er sein Vollzeit-Ziel erreichen könnte wird begünstigt dadurch, dass in Pandemiezeiten fast alles in Online-Sphären verlagert wurde. Und es scheint, dass derzeit so ziemlich jeder – «von Männern mit einem sehr, sehr, sehr grossen Penis bis zu Teen-Wolf-Stars bis zu James Cowe» (Pink News) – sich OnlyFans zuwendet, um Geld zu verdienen. Im ersten Pandemiemonat, also im März 2020, erlebte OnlyFans einen 75-Prozent-Zuwachs, mit 3,7 Millionen neuen Nutzern in nur einem einzigen Lockdown-Monat.
«Der zunehmend überfüllte OnlyFans-Markt wirkte anfangs einschüchtern auf mich», gesteht Cowe. «Die Influencer-Branche ist ohnehin sehr konkurrenzgetrieben, anfangs wusste ich nicht, wie ich mich da am besten vermarkten könnte. Ich wusste nicht, was ich einem grossen Publikum verkaufen könnte.»
Seine Familie steht hinter ihm – bis auf den Vater! Als er immer mehr Prominente auf OnlyFans entdeckte, beschloss Cowe, das Thema genauer zu untersuchen und zu prüfen, ob das etwas für ihn wäre. «Mir wurde klar, dass das etwas ist, was ich probieren könnte, weil ich eine sehr unterstützende Familie habe», so Cowe zu Pink News.
Mir wurde klar, dass das etwas ist, was ich probieren könnte, weil ich eine sehr unterstützende Familie habe
Während es für manche ein Alptraum ist, dass ihre Familienangehörigen herausfinden könnten, was für sexuelle Inhalte auf OnlyFans gepostet werden, sagt Cowes Familie: «Solange dir das, was du tust, Spass macht, haben wir damit kein Problem.» Und so kann man sowohl seine Mutter und Grossmutter immer wieder auf seinem Regenbogen-Instagram-Account sehen, wo auch schon Schnappschüsse von seinen OnlyFans-Vorbereitungen auftauchten. Sein Vater hat sich aber scheinbar weniger positiv zu dem Karrierewechsel geäussert. (MANNSCHAFT berichtet über eine Mutter, die eine Gewinnbeteiligung am OnlyFans-Erfolg ihres Sohnes forderte.)
Einige seiner Follower in sozialen Medien haben die Ankündigung seines Karrierewechsels allerdings nicht so positiv aufgenommen und Cowe wüst beschimpft. Er habe sogar Morddrohungen bekommen, erzählt er, weil er dem Pflegedienst in dieser Covid-19-Situation den Rücken zukehre. «Aber ich kann mit solchen Reaktionen umgehen», meint Cowe. «Ich bin es gewohnt, derartige Nachrichten zu bekommen. Inzwischen habe ich mir für so etwas ein dickes Fell zugelegt.»
Rückkehr ins reguläre Berufsleben Ob Cowe irgendwann in die Altenpflege zurückkehren wird, liess er vorerst offen. Über die Frage, wie Personalchefs zukünftig mit Bewerber*innen umgehen werden, die auf OnlyFans gearbeitet haben, wurde bislang nicht viel geschrieben, auch nicht in LGBTIQ-Medien.
James Cowes OnlyFans-Kollege Reno Gold (24) aus den USA – der ihm vom Typ nicht unähnlich ist – wurde inzwischen zum Star und Multimillionär, über den sogar Wirtschaftszeitschriften wie Forbes berichten. Die britische Zeitschrift Attitude hat ihn verkaufsfördernd aufs Cover ihrer neuen «Sex & Sexuality»-Ausgabe genommen.
Reno Gold sagt, für ihn sei die Performance für Fans und das Knüpfen von Banden mit seinen Abonnent*innen ein «Liebesakt». Und der wird, angesichts der teils verblüffenden Gewinnaussichten, sicher noch weitere junge (schwule) Männer inspirieren, ihm oder Cowe nachzueifern, solange das Aussehen Massen von Abonnenten anlocken kann.
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