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Star-Trainer van Gaal: «Schwule sind die wertvolleren Fussballspieler»

Der Niederländer hat immer dafür gekämpft, keine Rollen spielen zu müssen und ganz man selbst zu sein. Er sass bereits 2013 beim Gay Pride in Amsterdam in einem Fussballboot. Trotzdem hat sich keiner seiner Spieler je bei ihm geoutet. Warum?

«In der Fussballwelt herrschen altmodische Hierarchien und ein sehr konservatives Denken und Handeln», sagt der 68-Jährige und glaubt nicht, dass sich bald ein Spieler outen wird (Foto: Jason Charters / Unsplash)

Als Fussballtrainer hat der Niederländer Louis van Gaal (68) mit den berühmtesten Clubs dieser Welt gearbeitet: Bayern München, Barcelona und Manchester United. Gerade ist eine 288 Seiten Biografie über ihn erschienen, in der das Wort «homosexuell» nicht vorkommt. Weil er nie einem schwulen Spieler begegnet ist? Die niederländische Zeitschrift Gaykrant sprach den Star-Coach-im-Ruhestand darauf an und bekam einige verblüffende Antworten.

Laut Interview mit van Gaal werde über das Thema im Allgemeinen in der Fussballwelt nicht gesprochen. «In der Fussballwelt herrschen altmodische Hierarchien und ein sehr konservatives Denken und Handeln. Und im Prinzip ist der homosexuelle Mensch auch so, denn er hat Angst vor den Konsequenzen. Warum sollte er sonst sein innerstes ‹Wesen› nicht zeigen? Weil es nicht akzeptziert würde? Gerade in der Abgeschlossenheit der Umkleidekabinen würde das sehr wohl akzeptiert werden. Aber es gab bislang noch keinen Fussballer mitten in der Karriere, der diesen Schritt getan hat.» Deswegen sei es laut van Gaal auch nicht verwunderlich, dass darüber nicht gesprochen werde. Er betont gleichzeitig, dass er immer ein «sehr neugieriger» Coach gewesen sei, der das Coming-out eines Spielers unterstützt hätte: «Ich bin selbst jemand, der keine Rolle spielen möchte und immer ich selbst bleiben will. Das würde ich auch allen anderen Menschen wünschen, also auch einem schwulen Fussballer.» (MANNSCHAFT berichtete über das jüngste Outing des Spielers Thomas Beattie.)

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Deshalb ist van Gaal Mitglied in einer niederländischen Vereinigung, die versucht, Einfluss auf die Regierung zu nehmen, um den Schulunterricht so zu gestalten, dass Sexualkunde in breiterem Masse ins Curriculum integriert werde. «Jong geleerd is oud gedaan», sagt van Gaal, also «Wer etwas jung lernt, lebt im Alter auch danach». Das habe seiner Meinung nach auch Einfluss auf den Fussball. Van Gaal war u. a. Trainer der niederländischen Nationalmannschaft.

Keine selbstgewählte Identität zertrümmern
Selbst wenn er bei Treffen mit Spielern nach «Partnern» statt «Freundinnen» fragte, um niemanden vorab in eine Schablone zu stecken, sei nicht ein einziger Spieler in seiner Karriere zu ihm gekommen und hätte gesagt: ‹Ich bin homo.› Er habe es zwar sehr oft gedacht und vermutet bei Spielern, aber wenn die betroffenen Personen nicht selbst davon anfangen zu sprechen, dann wollte er ihnen das Thema nicht von seiner Seite aufdrängen. Seine Aufgabe als Coach sei es gewesen, Spieler zu beschützen. «Die meisten von ihnen sind verheiratet und haben Frau und Kinder. Das kann ich ihnen wirklich nicht antun.» Es sei nicht an ihm, ihre selbstgewählte und -aufgebaute Identität zu zertrümmern.


Grundsätzlich glaubt van Gaal, dass einem schwulen Spieler nichts im Weg stehen würde, um offen und frei mit der eigenen Sexualität umzugehen. «Davon bin ich hundertprozentig überzeugt», sagt der Ex-Coach. Ihm sei sogar aufgefallen, dass meistens die kreativeren Spieler diejenigen waren, die homosexuell sind. «Und genau solche Spieler sind in der Fussballwelt besonders wertvoll. Mit anderen Worten: Sie werden geschätzt für ihre aussergewöhnlichen Spielerqualitäten.»

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Als Unterstützer von LGBTIQ ist van Gaal bereits 2013 beim Gay Pride in Amsterdam auf einem Regenbogen-Fussballboot auf den Grachten mitgefahren. Aus der «Homosexuellenwelt» habe er dafür viele Komplimente erhalten, aus der Heterowelt allerdings sehr wenig, so van Gaal. Das fand er erstaunlich. Noch erstaunlicher waren Fragen in den Medien, ob er nochmal mitfahren würde – und was er selbst eigentlich sei.

Gerede nicht widerstandlos hinnehmen
Jetzt wolle er sich in den Ruhestand zurückziehen und nicht mehr so viel in der Öffentlichkeit auftreten. Trotzdem antwortete er auf die Frage von Gaykrant, was er einem schwulen Spieler heute raten würde: «Ich würde ihn warnen, dass man viel Mut und Kraft für ein Coming-out braucht, denn die Fussballwelt und die oft sehr wütende Welt um uns herum empfindet alle normabweichenden Orientierungen als Problem. Trotzdem ist es immer besser sich zu outen, weil man möglichst man selbst sein sollte – und nicht einfach widerspruchslos hinnehmen darf, was so alles geredet wird.»


Er selbst habe für sein auffallend anderes Benehmen ebenfalls viel Kritik aushalten müssen. «Da muss man durch», sagt er heute

Er selbst habe für sein auffallend anderes Benehmen ebenfalls viel Kritik aushalten müssen. «Da muss man durch», sagt er heute. Homosexualität werde von vielen Menschen nach wie vor als «Abweichung» betrachtet, oft sogar mit Verweis auf Gott abgelehnt. Sich als Fussballer dagegen zu stemmen, wäre wegweisend, man müsse aber auch fragen, ob solch ein Kraftakt zu einem selbst passe.

«Allah ist bei Homosexualität das Totschlag-Argument schlechthin»

Deshalb glaubt van Gaal, dass es länger dauern werde als viele glauben, bis ein aktiver Profispieler in der Top-Liga sich das antun werde. Wichtig sei, sich Verbündete zu suchen, die positive Zeichen setzen. Er nennt explizit den niederländischen Rapper Ali B: «Er ist Marokkaner, es wäre also sehr hilfreich, wenn er ein wohlwollendes Auge hätte fürs Thema Homosexualität. Oder jemand wie Georginio Wijnaldum [von der niederländischen Nationalmannschaft, Anm.]. Der kann als PoC Vergleiche anstellen, wie es ist, als Mensch benachteiligt zu werden für etwas, was man einfach ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das [Akzeptanz von Homosexualität, Anm.] nicht unterstützen würde.»


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