Wo bleibt Gedenkort für homo­sexuelle Opfer des Austro­faschismus?

Als Grundlage für die Verfolgung diente ein seit 1852 geltendes Strafgesetz

Die Häftlinge Ferdinand Beinert (r.) und Rudolf Brazda nach der Befreiung (Foto: Alfred Stüber / Sammlung Gedenkstätten Buchenwald)
Die Häftlinge Ferdinand Beinert (r.) und Rudolf Brazda nach der Befreiung (Foto: Alfred Stüber / Sammlung Gedenkstätten Buchenwald)

Kaum ein anderer Gedenktag ist in Österreich so umstritten wie der 25. Juli. An diesem Tag wurde vor 90 Jahren der streng katholische und faschistische Bundeskanzler und Diktator Engelbert Dollfuss von den Nazis ermordet.

Der Umgang mit Dollfuss sorgt bis heute für heftige Kontroversen. Für Teile der regierenden konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) ist Dollfuss ein «Heldenkanzler». Vertreter*innen einer bekannten Studentenverbindung, die als Kaderschmiede der ÖVP gilt, ehren den Diktator und legen jedes Jahr einen Blumenkranz an seinem Grab am Hietzinger Friedhof in Wien nieder. Die oppositionelle sozialdemokratische Partei (SPÖ) hält den Ex-Kanzler hingegen für einen «Arbeitermörder».

Mit Dollfuss hat in Österreich der sogenannte «Austrofaschismus» (1933/1934 bis 1938) begonnen. Die meisten Österreicher*innen wissen nur wenig über diese Zeit. Auch in der queeren Community ist nur wenigen Menschen bekannt, dass im Austrofaschismus besonders viele Homosexuelle verfolgt wurden. Die Opfer sind in Vergessenheit geraten. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus-Mahnmal im Resselpark gibt es für die homosexuellen Opfer des Austrofaschismus in Österreich bis heute keinen Gedenkort.

Kennzeichen für den Austrofaschismus war ein antidemokratischer und autoritärer Kurs, die Ausschaltung des Parlaments, das Verbot von Oppositionsparteien und die enge Verknüpfung zwischen Politik und katholischer Kirche. Wer beispielsweise in dieser Zeit aus der katholischen Kirche austreten wollte, wurde gesetzlich verpflichtet, den Geistes- und Gemütszustand überprüfen zu lassen. 1934 kam es in Österreich im Zuge des Austrofaschismus zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. Danach wurden viele sozialdemokratische Führungspersonen hingerichtet.

Für gleichgeschlechtlich liebende Menschen war der Austrofaschismus eine gefährliche Zeit. Viele von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Als Grundlage dafür diente ein seit 1852 geltendes Strafgesetz, wonach sexuelle Handlungen zwischen Frauen oder Männern als «Unzucht wider die Natur» galten. Das Strafausmass lag zwischen einem und fünf Jahren schweren Kerkers, wobei unter Umständen auch höhere Strafen möglich waren. Eine Besonderheit im Vergleich zu Ländern war, dass in Österreich nicht nur Schwule, sondern auch Lesben bestraft wurden, wobei der Anteil der verurteilten Frauen gering war.

Das Denkmal Arcus im Wiener Resselpark erinnert an die Verfolgung Homosexueller im NS-Regime. (Bild: Stadt Wien)
Das Denkmal Arcus im Wiener Resselpark erinnert an die Verfolgung Homosexueller im NS-Regime. (Bild: Stadt Wien)

Über die Verfolgung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen im Austrofaschismus gibt es nicht viele Informationen. Der österreichische Historiker, LGBTIQ-Aktivist und Autor Hans-Peter Weingand hat die Daten aus der damaligen Kriminalstatistik recherchiert. Demnach wurden im Jahr 1934 österreichweit 502 Personen wegen Homosexualität verurteilt, davon waren 7 Frauen. 1935 kam es zu 444 Verurteilungen (davon 6 Frauen). Im Jahr 1936 wurden 537 Verurteilungen (davon 5 Frauen) ausgesprochen. Im Jahr 1937 waren es 544 Verurteilungen (davon 10 Frauen).

Im Vergleich zu anderen Ländern war die Verfolgung in Österreich besonders intensiv. Dazu liegen Daten des deutschen Aktivisten und Geschichtsforschers Rainer Hoffschildt vor. Hoffschildt ging der Frage nach, wie viele Menschen wegen Homosexualität in der Zwischenkriegszeit in England, Kanada, Britisch-Indien, Wales, Schottland, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, der Schweiz, Chile und in Südafrika verurteilt wurden. Anschliessend verglich er die Zahl der verurteilten Personen mit der damaligen Einwohnerzahl des jeweiligen Landes. Demnach entfielen auf Österreich jährlich 68,7 Verurteilungen pro eine Million Einwohner*innen, was weltweit ein absoluter Spitzenwert darstellte.

Auf Platz zwei lag Südafrika mit 56 Verurteilungen pro eine Million Einwohner*innen. Im deutschen Reich wurden damals 21,3 Verurteilungen pro eine Million Einwohner*innen gezählt. Vergleichsweise niedrig war die Zahl in Kanada (7,2 Verurteilungen pro eine Million Einwohner*innen), Norwegen (1,4 Verurteilungen) und England (1,1 Verurteilungen).

In Österreich ging die Verfolgung von homosexuellen Menschen auch nach dem Austrofaschismus weiter. Die Nazis erhöhten den Druck. Nach Angaben des queeren Forschungszentrums Qwien wurden alleine in Wien während der NS-Zeit etwa 1400 Männer und 80 Frauen wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen beschuldigt. Für die restlichen acht österreichischen Bundesländer liegen dazu keine Daten vor. Von den 1400 beschuldigten Männern in Wien wurden über 100 in ein Konzentrationslager eingewiesen. Von ihnen überlebten nicht einmal 30 Prozent (MANNSCHAFT berichtete).

Auch nach dem Ende der Nazi-Herrschaft mussten gleichgeschlechtlich liebende Menschen in Österreich ins Gefängnis. Bis 1971 gab es ein Totalverbot von Homosexualität. Das Unrecht ging auch nach 1971 weiter. In den folgenden Jahren wurden weiterhin viele queere Personen vor Gericht gezerrt. Denn zwischen 1971 und 2002 war Österreich für gleichgeschlechtliche Beziehungen mit 18 Jahren ein höheres Mindestalter als für heterosexuelle Beziehungen (14 Jahre) vorgeschrieben. Ging damals beispielsweise ein 19-jähriger Mann mit einem 17-Jährigen eine schwule Beziehung ein, riskierte er eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.

Erst im Jahr 2021 hat sich Justizministerin Alma Zadić (Grüne) für die Verfolgung homosexueller Personen entschuldigt (MANNSCHAFT berichtete). Seit Februar 2024 können in Österreich alle Menschen, die seit 1945 deswegen strafrechtlich verfolgt wurden, einen Antrag auf eine finanzielle Entschädigung stellen. Doch bislang sind nur wenig Anträge eingelangt. Denn viele Betroffene sind mittlerweile verstorben. Viele gleichgeschlechtlich liebende Menschen, die noch leben, haben sich nicht gemeldet, weil für sie das Thema zu aufwühlend ist. Kritiker*innen betonen ausserdem, dass die Entschädigung viel zu spät kommt.

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