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Wie queer ist … Patti Smith?

Sie war als Kind ein «verrücktes Mauerblümchen»

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Patti Smith bei einem Auftritt in Mannheim 1978 (Foto: Klaus Hiltscher / Wiki COmmons / CC-BY-SA)

Als «Godmother of Punk» war sie die Muse von Robert Mapplethorpe und gilt bis heute als Anti-Diva. Wie queer ist die Sängerin und Schriftstellerin Patti Smith?

Von Michael Louis

#1 Robert Mapplethorpe
Als Patti Smith mit Anfang 20 in den 60er-Jahren nach New York ging um Dichterin zu werden, traf sie im Central Park wie aus heiterem Himmel auf einen jungen Mann. Er war genauso alt wie sie und sollte ihr Mitbewohner werden. Mit ihm ging sie eine Affäre ein, woraus sich später eine lebenslange Freundschaft entwickelte. Es handelte sich um den schwulen Fotografen Robert Mapplethorpe. Auf viele aus der damaligen Zeit wirkten beide zusammen wie ein Duo im Genderkontrast. Sie mit einem toughen und als männlich geltenden Äusseren, und Robert, der auf viele feminin und zerbrechlich wirkte. Sie stellt ihm ihre Gedichte und Songtexte vor und er wählte sie als sein erstes Fotomodell. Später sollte er mit schwulen SM-Fotos berühmt werden, zu denen er kontroverse Ausstellungen machte. Patti beschrieb ihre frühen Jahre und die Freundschaft zu Robert in dem preisgekrönten Buch «Just Kids», das sie 2010 veröffentlichte.

#2 Queere Einflüsse
Patti Smith hatte viele verschiedene Einflüsse auf ihr Werk. Darunter waren einige queere Personen. Zu ihnen gehörten etwa die französischen Dichter Arthur Rimbaud und Paul Verlaine aus dem 19. Jahrhundert. Sie waren beide homosexuell und wohnten zusammen, bis einer im Streit auf den anderen mit einer Schrotflinte losging. Vor einigen Jahren schliesslich kaufte Patti Rimbauds Haus in Frankreich. Ebenso wurde sie inspiriert von der amerikanischen Beat-Generation der 1960er Jahre.


Neben Allen Ginsberg gehörte vor allem William S. Burroughs dazu. Auch sie beide waren schwul. Patti sagte einmal: «Ich hatte diese Fantasie, dass William sich in mich verliebt und wir heiraten würden.» Beeinflusst wurde sie von Burroughs‘ Novelle «The Wild Boys». In dem Buch geht es um eine Bewegung junger schwuler Männer, die das Ziel hatten, die westliche Zivilisation zu Fall zu bringen. Pattis Song «Land» auf ihrem Debutalbum ist von den Figuren in dem Buch inspiriert

#3 Unter Männern
Zwar gab es Anfang er 1970er-Jahre erfolgreiche Sängerinnen, doch diese, so sie denn Massenerfolg hatten, erfüllten immer noch mehr oder weniger die Rollenerwartungen der Mehrheitsgesellschaft. Patti hingegen machte «Non-Phallischen Rock», wie Simon Reynolds und Joy Press es in ihrem Buch «Sex Revolts» von 1995 ausdrückten. In ihrer Musik sei nicht, wie im «männlichen Rock» üblich, die Struktur von «Anspannung und Explosion» zentral. Stattdessen seien ihre Songs stark von endlos an- und abschwellenden Klängen («endless crescendos») geprägt. In diesem Sinne hat Patti selbst einmal ihre Band, obwohl diese nur aus Männern bestand, als «feminine Band» beschrieben.

#4 Songtexte «jenseits der Geschlechterrollen»
Patti sagte einmal, dass sie als Sängerin nicht aus der Sicht eines Geschlechtes singen wolle. Das habe sie von Joan Baez gelernt, die oft Songs aus der Sicht von Männern gesungen habe. Sie wollte auch kein «weiblicher Rockstar» sein. Denn das Attribut «männlicher Rockstar» benutze man ja bei ihren männlichen Kollegen auch nicht. Die Songs von Patti zeigen nicht unbedingt ihre private Sexualität. Patti war nicht als feministische Aktivistin aktiv und lebte später zweitweise als Mutter und Hausfrau. Diese Einstellung, sich jenseits der Geschlechtergrenzen zu verorten, zeigte vielmehr ihre Haltung als Künstlerin. Dementsprechend stand auf dem Plattencover ihrer Debutplatte «Horses», sie sei als Sängerin «jenseits der Geschlechterrollen» («beyond gender»). Als Künstlerin könne sie «jede Position einnehmen und mit jeder Stimme singen». (MANNSCHAFT berichtete über die Initiative «BeyondGenderAgenda» die sich für Diversity, Equity & Inclusion in der deutschen Wirtschaft einsetzt.)


#5 «Gloria»
Im Song «Gloria» ihres Debut-Albums singt sie: «And I’m gonna tell the world that I just ah-ah made her mine – And I said darling, tell me your name, she told me her name.» Dieser Song ist eigentlich ein Van-Morrison-Cover.

Manche hielten es sogar für ihr lesbisches Coming-out.

Im Original singt ein Mann über eine Frau. Weil Patti die Perspektive aber nicht dahingehend veränderte, dass eine Frau zu einem Mann singt, verstanden viele dies als queere Perspektive. Manche hielten es sogar für ihr lesbisches Coming-out.

#6 «Redondo Beach»
Hier singt Patti von einer Frau, die sie verlassen hat. Die Erzählerin im Song geht zum «Redondo Beach» nahe Los Angeles, um sie zu suchen. Dieser Strand ist in der queeren Szene beliebt. Wie Patti aber erst viel später erklärte, entstand der Song aus einer Situation, die sie mit ihrer Schwester erlebt hatte. Mit ihr lebte sie zeitweise im berüchtigten Chelsea Hotel im New Yorker Greenwich Village zusammen. Sie stritten sich woraufhin ihre Schwester plötzlich verschwand. Auch wenn dieser Song nicht im sexuellen Sinne biografisch geprägt war, liess Patti immer die Interpretationsmöglichkeiten offen. Sie leitete ihn auf Konzerten oft ein mit den Worten: «Der ‹Redondo Beach› ist ein Strand, an dem Frauen andere Frauen lieben.»

#7 Pattis Style und Performances
Die Journalistin C. J. Janovy beschrieb einmal, wie der Style von Patti, wie er auf dem Cover von «Horses» von 1975 zu sehen war, die lesbische Szene der 80er-Jahre geprägt hatte: Schwarze Jeans, weisses hochgekrempeltes Hemd, Hosenträger und eine Jacke über die Schultern geworfen. Sie blickt von leicht erhöhter Position aus selbstbewusst in die Kamera. So als würde sie die ersten Zeilen von «Gloria» innerlich aussprechen: «Jesus died for somebody’s sins – but not mine.» Das Foto des Plattencovers stammte übrigens von Robert Mapplethorpe. Janovy sagt dazu weiter: «Ich stellte mir mich selbst so kraftvoll vor, dass heisse Frauen auf mich mit meiner unwiderstehlichen magnetischen Anziehung zugeflogen kommen.» Auf ihrem Album «Easter» 1978 zeigte Patti sich mit unrasierten Achselhaaren. Dies galt als ein Bruch mit den geschlechtlichen Stereotype der damaligen Jahre.

Auch auf der Bühne in ihren Konzerten übertrat sie Geschlechtergrenzen

Auch auf der Bühne in ihren Konzerten übertrat sie Geschlechtergrenzen. So hat sie durch Gesten und Körperbewegungen, sowie durch Gesangstechniken unterschiedliche geschlechtliche Rollenerwartungen bedient. Gelegentlich setzte sie beim Singen einzelner Songs gleichzeitig eine maskuline Köpersprache und eine betont feminin klingende Stimme ein. Oder auch umgekehrt. So erreichte sie einen «geschlechtslosen Individualismus», wie es die Musikwissenschaftlerin Maija Nieminen es beschrieb.

#8 Briefe von queeren Jugendlichen
Nachdem ihr Debutalbum 1975 veröffentlicht wurde, bekam Patti Unmengen von Fanpost. Ihre Mutter, Beverly Smith, hat die Fanpost ihrer Tochter beantwortet. Sie erhielt auch viele Briefe von queeren Teenagern, die von ihren Eltern verleugnet wurden. Beverly lud diese zu sich nach Hause ein. Rückblickend sagte Patti einmal daüber: «Die Briefeschreiber*innen sahen sie als ihre neue Mutter, ganz unabhängig von mir; einfach, weil sie sich um sie kümmerte.»

#9 Vorbild für queere Künstler
Einer dieser Briefe kam von Michael Stipe, dem Sänger von REM. Als er «Horses» hörte, beschloss er, eine Band zu gründen. Ähnlich erging es Morrissey. Der Sänger schreibt in seiner Biografie, dass Patti einen immensen Einfluss auf seine Musik gehabt habe. Er erklärte, dass das Hören von «Horses» für ihn eine «wichtige Lebenserfahrung» gewesen sei.

Auch der britische Songwriter und Musiker Patrick Wolf widmete sein bisher letztes Album «Lupercalia» von 2011 unter anderem Patti Smith. Sie beide lernten sich 2008 auf einem Festival kennen. Er sagte über diese Begegnung: «Es fühlte sich an, wie wenn zwei Planeten zusammenstiessen; ich war inspiriert von der Freiheit, die sie ausstrahlte.»

#10 Die Anti-Diva
Patti Smith gilt als «Godmother of Punk» und damit auch als Diva. Aber eben nicht in der weit verbreiteten Divenrolle, mit all ihrer Betonung klassisch «weiblicher» Attribute, wie es bei Judy Garland, Liza Minnelli oder Liz Taylor zu sehen war. Smith erschuf eine ganz eigene Rolle als Diva. «Ich bin frei, weil ich in die Luft springen, meine Faust in die Luft recken und schreien kann», sagte Patti einmal. «Die Freiheit ist in mir. Das heisst, ich richte mich nicht nach irgendjemandes Vorstellung davon, wie ich sein sollte.»

Ich richte mich nicht nach irgendjemandes Vorstellung davon, wie ich sein sollte

Da sie als Jugendliche selbst ein «verrücktes Mauerblümchen» gewesen sei, wolle sie «Menschen erreichen, die sich nicht wahrgenommen fühlten, ob es nun Nerds sind, oder ein schwules Kind in der Schule.» Sie wollte mit ihrer Musik die Botschaft vermitteln: «Wenn du glaubst, dass du nirgendwo hinpasst, hoffe ich, dass du hierdurch Inspiration findest.»


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