Weit weg von heteronormativ – Who’s that Butch?
Eine lesbische Subkultur, die oft missverstanden wird
Breitbeinig, brüsk und burschikos: Butches widersetzen sich der gesellschaftlichen Erwartung, wie eine Frau sich zu präsentieren hat. Das maskuline Erscheinungsbild ist sowohl Schutzmechanismus als auch Zeichen des Widerstands.
Vor ein, zwei Jahren habe ich eine Abschlussarbeit von drei Schülerinnen gegengelesen. Es war eine der zahllosen Arbeiten über die LGBTIQ-Community, «Wie LGBTIQ-freundlich ist die Schweiz?», mit denen queere Organisationen und Aktivist*innen jeweils am Ende von Semestern und Schuljahren zu tun haben. Die jungen Frauen hatten dazu ihr queeres – in ihrem Falle: cis-schwules – Umfeld gefragt, als wie LGBTIQ-freundlich diese die Schweiz erlebten. Am Ende der etwa zwölf Seiten war ein selbstverfasstes Glossar angehängt, wo Labels erklärt wurden. Neben Begriffen wie «Grindr» und «asexuell» (beides wichtig!) stand da: «Bitch».
Für eine Handvoll Sekunden verstand ich gar nichts. Dann sah ich die Erklärung. «Gegenteil von Femme. Männliche Lesben.»
Was da eigentlich hätte stehen sollen, war «Butch». Das in der Lesbenwelt etablierte Wort für frauenliebende Frauen, die maskulin aussehen. Das Korrekturprogramm hatte das Wort wohl, von den Schülerinnen unbemerkt, korrigiert. Jetzt stand da eben Bitch.
Eigentlich gar nicht so daneben, dachte ich; beide Wörter, Bitch wie Butch, beschreiben Frauen, die der Gesellschaft unangenehm sind. Die nicht in die Erwartung reinpassen, wie eine Frau zu sein hat, bis die Welt versucht, sie damit zu beleidigen.
Ich korrigierte die Schreibweise trotzdem. Butch, stand da nun. Das Schreibprogramm brauchte keine Sekunde, um es als falsch zu erkennen. Es unterstrich es rot.
«Butch» ist das Wort, das Menschen oft meinen, wenn sie Kampflesbe sagen. Butches sind diejenigen Frauen, die so aussehen, wie man sich Lesben vorstellt, wenn man nicht weiss, dass Butches nur ein Teil der riesigen Vielfalt sind. Und: Butch ist das, von dem sich manche Lesben, manchmal ohne es zu merken, distanzieren. Um zu beweisen, dass sie eigentlich mega normal sind. Heteronormativ. Butches sind weit weg von heteronormativ.
An der Norm gemessen sind Butches ein wandelndes «Aber»: Sie tragen lieber Kleidung aus der Männerabteilung, aber kein Make-up. Sind Machos, aber keine Männer. Sind auffällig, aber auch unsichtbar. Butchige Lesben – und die Klischees, die es über sie gibt – sind eine gewaltige Realität in einer Welt, die Lesben hauptsächlich in schlechten Pornofilmen begegnen will.
Weil das Wort in diesem Artikel über 70 mal vorkommt, möchte ich, dass es in den Köpfen der Lesenden richtig klingt: Man spricht es «Butsch» aus, nicht «Batsch». Butsch. Mit U. So.
Die Beleidigung zurückerobert Das Wort wurde im frühen 20. Jahrhundert im Sinne von «harter Kerl» verwendet. Es wird vermutet, dass es von Butch Cassidy kommt, einem berüchtigten Bankräuber und Verbrecher. Ein Männerhaarschnitt hiess ebenfalls Butch. (Ich habe jahrelang geglaubt, Butch käme von «Butcher», dem englischen Wort für Metzger*in. Noch heute stolpere ich kurz in Gedanken, wenn ich Restaurants sehe, die «Butcher» im Namen haben, weil ich für eine Millisekunde hoffe, ein queeres Lokal gefunden zu haben.)
Es dürfte keine*n erstaunen, dass das Wort Butch zuerst nicht von der Community selbst, sondern von aussen als Beleidigung gebraucht wurde. Das war in den frühen 1940er-Jahren, im US-amerikanischen Raum. Natürlich galt die Abwertung für Frauen, die zu «aggressiv» und «macho» waren für die damaligen Konventionen. (Wenn wir ein männliches Erscheinungsbild als «aggressiv» und «macho» wahrnehmen . . . was sagt das dann aus über unser Männerbild?)
Die betroffenen maskulinen Lesben reagierten mit dem berüchtigten Move des Reclaimings: Sie holten sich das Wort zurück. Genau so, wie «dyke» und «queer» heute stolz als Selbstbezeichnung genutzt werden, verwendeten sie «Butch» fortan für sich, etwa in den aufkommenden lesbischen Bars in den 1950ern. Zeitweise, je nach geografischem Ort und Szene, galt es als Pflicht, sich als Butch oder das feminine Gegenstück Femme zu identifizieren, um in der Lesbenszene angenommen zu werden.
«Butch» war nicht das einzige Wort, das in den queeren Szenen für maskuline Lesben genutzt wurde. Im US-amerikanischen Raum kursierten diverse Wörter, «Daddy» war eines davon, «Top Sergeant» ein anderes. Wenn man bedenkt, dass «Top Sergeant» auf Deutsch «Oberfeldweibel» heisst, können wir froh sein, dass im deutschsprachigen Raum andere Begriffe aufkamen: «kesser Vater» oder das Adjektiv «viril». Mit der Zeit blieb das Wort Butch. «Bitte keine Butches», baten Lesben in Kennenlernannoncen. Es braucht also kein Korrekturprogramm, um «Butch» rot zu unterstreichen, als vermeintlich falsche Art, eine Frau zu sein – oder gar: eine Lesbe zu sein.
Hielten sie dich für einen Mann, drohte dir weniger Schlimmes, als wenn sie dich für eine Frau in Männerkleidung hielten.
Von der Überlebensstrategie zum Widerstand Eine weitere historische Butch-Spur führt uns ins Paris des frühen 20. Jahrhunderts. Die Schriftstellerin Gertrude Stein und die Malerin Romaine Brooks waren Beispiele für Frauen, die mit ihrer Androgynität die Regeln, wie eine Frau auszusehen hatte, brachen.
Während viele mit den etwas älteren bis veralteten Begriffen «Transvestit» und «Crossdresser» heute vorwiegend cis Männer in Verbindung bringen, galten selbige Konzepte früher auch für weitere Geschlechter: Schon im 19. Jahrhundert gab es Dragkings, also Frauen, die Männlichkeit performten und parodierten. Nicht wenige von ihnen lebten auch ihr Leben ausserhalb der Bühne in der Rolle eines Mannes. Unter anderem als queere Überlebensstrategie. Hielten sie dich für einen Mann, drohte dir weniger Schlimmes, als wenn sie dich für eine Frau in Männerkleidung hielten.
In den USA etwa gab es ein Gesetz, das von den beiden binär definierten Geschlechtern verlangte, mindestens drei geschlechts-konforme Kleidungsstücke zu tragen: Ein Mann musste drei «Männerkleidungsstücke» anhaben, eine Frau drei «Frauenkleidungsstücke». Es war eine Schikane gegen Crossdresser*innen, gegen Dragqueens, gegen Menschen, die trans oder gender-nonconforming waren. Und gegen Butches. Als 1969 die Stonewall-Unruhen ausbrachen, ein historischer Aufstand gegen queere Polizeigewalt in New York, befand sich so manche Butch unter den Protestierenden. Der Aufstand kam von unten: Queers, die nicht in angesehene Bars reingelassen wurden; Queers of Color, solche ohne Obdach und solche, die bei Weitem nicht die Drei-Kleidungsstück-Regel erfüllten, wenn sie sich selbst waren. Also auch: Butches.
Butch. Es ist ein Wort, das bis heute in unseren Subkulturen geblieben ist: Genau so, wie wir unseren cis hetero Freund*innen nicht ohne Erklärung von einem Twink oder von Passing-Privilege erzählen würden, können wir auch nicht Butch sagen, ohne den Begriff auszuführen. Wer Butch sagt, muss auch Lesbe sagen. Im deutschsprachigen Raum wird mit dem Wort Butch oft etwas anderes gesucht. Fragt man die beliebteste Suchmaschine, kommen da unter anderem: Butch Cassidy (das ist der Bankräuber, von dem das Wort stammt). Ein Schlagzeuger namens Butch Vig. Weitere Männer mit dem Vornamen Butch. Und Trinidad Scorpion Butch T, eine der schärfsten Chilipflanzen der Welt. Wenn wir nach Butch suchen, kommen erst eine Horde cis Männer. Da ist die Chilipflanze wohl näher an der Wahrheit.
Sichtbarkeit in der Popkultur Auf dem Unterarm von Big Boo hingegen ist es klar, was gemeint ist. BUTCH, steht da gross tätowiert und beschreibt bestimmt keine Chilipflanze. Big Boo ist ein Charakter in der Serie «Orange is the New Black», eine ruppige Frau anfangs vierzig, schlau und schlagfertig. Es dürfte eine der deutlichsten Vertretungen von Butches in der Populärkultur sein: Während Serien und Bücher, Filme und Musikwelt langsam queerer werden, bleiben maskuline Lesben unterrepräsentiert. Die amerikanische Countrysängerin k.d. lang war eine der ersten sichtbaren Butches in der Öffentlichkeit.
Die ebenfalls amerikanische Moderatorin Ellen DeGeneres, die kürzlich das Ende ihrer Millionen-Talkshow bekanntgab (MANNSCHAFT berichtete), wird gern als Soft Butch eingeordnet. Danach gibt es Beispiele, die in der queeren Community meist wesentlich bekannter sind als im Mainstream: Die australische Comedienne Hannah Gadsby, sich in ihrer hochlesbischen Standup-Performance «Nanette» als «incorrect woman» bezeichnet. Die Autorin Carolin Emcke, deren Buch «Wie wir begehren» jeder frauenliebenden Frau ans Herz gelegt sei. Alison Bechdel, nach der nicht nur der «Bechdel-Test» benannt ist, sondern die mit «Dykes to Watch out for» auch die lesbischsten Comics rausbrachte. Und die Schauspielerin Lea Delaria, die Big Boo spielte. Ihr Butch-Tattoo ist übrigens echt.
Ich wünschte, der Text über Butches wäre an dieser Stelle zu Ende: Mit dem Erwähnen von berühmten, fantastischen Butches. Aber wir müssen darüber reden, wie mit Butches in der queeren Community umgegangen wird. Wir sehen unsere Gemeinschaft gern als vielfältig und tolerant – und merken manchmal nicht, wie wir Ausschlüsse reproduzieren, die uns selbst schon seit unserer Kindheit beigebracht werden.
Schon in der frühen Entstehung dieser Identität, dieses Labels, erlebten Butches Kritik aus der Mittelklasse und der Oberschicht; denn die ersten Butches stammen aus der Arbeiter*innenklasse, trugen die Arbeitsoveralls, die für Männer bestimmt waren, und konnten sich den Zutritt in die damaligen etablierteren queeren Lokale nicht leisten. Sich als Frau maskulin zu geben, sei politisch nicht korrekt, hiess es da in der Lesbenwelt, vor allem von weissen Aktivist*innen; auch in den Siebzigern, als Butches etwas sichtbarer und für ihr Butch-Sein oft abgewertet wurden – von aussen immer, klar, aber eben auch von innen. In der lesbischen und feministischen Community waren Lesben aus der Arbeiter*innenklasse, Lesbians of Colour und Butches oft marginalisiert.
Die lesbenszeneninterne Abwertung erinnert an die Abwertung von femininen Schwulen innerhalb der Schwulenszene: Erst wird uns unsere ganze Jugend lang eingeredet, wir lebten unser Geschlecht falsch – und später machen wir einfach innerhalb in der Community weiter, indem wir anderen Leuten sagen, sie lebten ihr Geschlecht falsch. Wir wachsen auf mit einem zerstörerischen Korrekturprogramm und werden selber zum Korrekturprogramm.
Männer tragen Butchkleidung Angesichts dieser Anfeindungen ist es heftig, sich bewusst zu machen, wie der Vorwurf seitens mancher Feministinnen lautet, der seit Jahrzehnten an Butches herangetragen wird: Sie erlebten durch ihr Butch-Sein männliche Privilegien. Das ist ein Vorwurf, der einer Identität gemacht wird, die nicht nur ausserhalb der queeren Community, sondern auch innerhalb oft Ausgrenzung und Abwertung ausgesetzt ist.
Die Philosophin Judith Butler schreibt, dass nicht nur Geschlecht eine Performance und damit ein Konstrukt sei, sondern auch Sexualität: Aus dieser Sicht, so Butler, hinterfragt eben gerade die Butch-Identität, ob «Maskulinität» zum männlichen Körper gehört. Warum sagen wir überhaupt, dass Butches Männerkleidung tragen? Vielleicht tragen ja Männer Butchkleidung?
Die britische Aktivistin Tabitha Benjamin drückt es so aus: «Für mich hat Butch nichts mit Maskulinität zu tun. Es geht eigentlich darum, wirklich weiblich zu sein, sich als Frau zu identifizieren. Unsere Leben drehen sich alle um Männlichkeit. Wir leben im Patriarchat, also haben wir keine Wahl, ob wir wollen oder nicht, es geht immer um Männlichkeit. Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Ich weigere mich, zu sagen, dass meine Identität [als Butch] maskulin ist. Wenn Leute mich fragen: Warum willst du wie ein Mann aussehen?, antworte ich ihnen: Warum fällt es dir so schwer, mich als Frau zu sehen?»
Während frauenliebende Frauen, die feminin aussehen, oft darunter leiden, dass man ihnen ihr Queersein abspricht, sind Butches sichtbar, ob sie wollen oder nicht. Butch ist eine Identität, die selbst dann erkannt und verurteilt wird, wenn wir kein Wort dafür haben. Das ist weit, weit weg von männlichen Privilegien – und viel eher eine besonders bittere Geschmacksrichtung von Sexismus. Hinzu kommt, dass Butches vielfältiger sind, als viele Queers annehmen: Butches mit langen Haaren, bisexuelle Butches, Butches, die keine Ahnung haben vom Handwerken, Bottom-Butches, und: trans Butches.
Speziell unangenehm ist der erstaunlich verbreitete Vorwurf, dass trans Männer Lesben ihre Butches wegnehmen
Womit wir bei einem Kapitel wären, das manche Menschen in der Community übersprungen haben. Butch ist nicht zwingend cis. Manche Butches identifizieren sich nicht als Frau, oder nicht ausschliesslich: Es gibt nonbinäre Butches. Manche trans Frauen sind butch – und ihnen das vorzuwerfen, ist oft verbunden mit der Erwartung, dass trans Frauen besonders feminin sein müssten. Speziell unangenehm ist der erstaunlich verbreitete Vorwurf, dass trans Männer, die lange in der Butch-Rolle in der Lesbenszene unterwegs waren, «den Lesben ihre Butches wegnehmen». Wow. Als wäre es etwas Schlechtes, wenn ein Mensch seine Identität findet und immer mehr sich selbst werden kann. Das sollte übrigens die Aufgabe unserer Community sein.
Kein VIP-Club Butch ist eine Identität, die allen Queers offensteht; queere Identitäten sollten kein VIP-Club sein, in den man erst offiziell reingelassen werden muss, um dazuzugehören (oder rausgeschmissen wird, weil man irgendwelche Tests nicht bestanden hat). Geschlechtsausdruck, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung sind allesamt Spektren, die ausserdem nicht immer trennscharf sein müssen. Der Sinn von queeren Kategorien ist nicht, dass sie andere ausschliessen. Sondern dass sie jede Person, die möchte, einschliessen. Wenn wir das nicht verstehen, wenn wir dafür nicht kämpfen, dann sind wir wie das Korrekturprogramm der drei Schülerinnen, die ich eingangs erwähnt habe. Diesen ganzen Essay lang, 13’000 Zeichen, unterstrich mein Schreibprogramm das Wort «Butch» immer wieder. Die Suchmaschine, auf der ich bei der Recherche unter anderem nach «famous butches» suchte, fragte mich höflich: Meintest du: famous bitches?
Wir leben in einer Welt, die seit Jahrzehnten versucht, Butches wegzukorrigieren. Die Aufgabe der queeren Community ist, dagegen Widerstand zu leisten. Und für die Butches unter uns: Weiter zu existieren.
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