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Stonewall Riots Day 2021: Haben wir alles erreicht?

Für die deutsche Initiative Grundgesetz für Alle ist noch viel Luft nach oben

Stonewall Riots Day
Das Stonewall Inn in der Christopher Street in Greenwich Village, NYC (Foto: Rhododendrites / Wiki Commons)

In den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 explodierte in der New Yorker Bar Stonewall Inn die Wut gegen homo- und transphobe Polizeigewalt zu einem fünftägigen Aufstand, der den Beginn der modernen Gay-Liberation-Bewegung einleitete. Deshalb wird vielerorts jedes Jahr im Juni «Pride» und queere  Emanzipation gefeiert. Aber es ist noch lange nicht genug erreicht, meint die Initiative Grundgesetz für Alle.

Wie wir bei Disney+ in der neuen sechtsteiligen Doku «Pride» gelernt haben, war der Stonewall-Aufstand 1969 nicht der erste grosse LGBTIQ-Protest in den Vereinigten Staaten, aber derjenige, der letztlich Katalysator für eine globale Bewegung wurden (MANNSCHAFT berichtete über die Disney-Doku). In Deutschland kam die damals «schwul-lesbisch» genannte Befreiungsbewegung auf andere Weise ins Rollen, was wir u. a. dank der Ausstellung «Queer as German Folk» des Goethe Instituts bzw. Schwulen Museums wissen: den Anstoss gab 1971 Rosa von Praunheims Skandalfilm «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt».

Stonewall Riots Day
Fotos aus den New York Daily News, das die Proteste in der Nacht zum 28. Juni 1969 zeigt (Foto: Wiki Commons)

Aber auch die LGBTIQ-Bewegung im deutschsprachigen Raum fand mit etwa zehnjähriger Verzögerung den Anschluss an die USA und startete jährlich im Juni eigene Christopher-Street-Day-Protestparaden, um queere Sichtbarkeit und Rechte durchzusetzen und einzufordern. Dass diese Proteste hierzulande CSD heissen, nach der Strasse, in der sich das Stonewall Inn befindet, ist eine nationale Besonderheit.

Seither wurde viel erreicht, weltweit, aber auch in Deutschland unter einer offiziell «wertkonservativen» Bundesregierung: Seit 2017 haben wir die Ehe für alle, seit 2018 den dritten Personenstand «divers» und jährlich werden zum Pride-Monat bundesweit die Regenbogenflaggen gehisst, auch an offiziellen Gebäuden und sogar Ministerien (allerdings nicht am Kanzleramt). Genauso erstrahlten am vergangenen Mittwoch zum EM-Fussballspiel zwischen Deutschland und Ungarn in vielen deutschen Städten die Stadien in Regenbogenfarben (MANNSCHAFT berichtete).


Haben wir alles erreicht?
«Ist also alles in Ordnung? Haben wir alles erreicht? Sind wir nun ein Regenbogenland?» Das fragt die Initiative Grundgesetz für Alle. Und antwortet: nein.

GRUNDGESETZ FUER ALLE
Poster für die Kampagne «Grundgesetz für Alle»

Christian Gaa, Initiator der Initiative GFA, sagt in einer Pressemitteilung: «Was bedeutet es heutzutage in Deutschland schwul, lesbisch, bi, trans*, inter* oder queer zu sein? Es bedeutet noch immer Stigmatisierung, Diskriminierung und Gewalt erfahren zu müssen. In der Schule, im Beruf, auf der Strasse, aber auch per Gesetz. Es bedeutet, dass pseudowissenschaftliche unter dem Begriff ‹Homoheilung› bekannte ‹Konversionstherapien› von queeren Erwachsenen noch immer legal sind, homo- und bisexuelle Menschen gegenüber ihren heterosexuellen Mitmenschen beim Blutspenden noch immer benachteiligt werden und Zwangsoperationen an intergeschlechtlichen Babies noch immer Alltag sind.»

Gaa weiter: «Es bedeutet, dass bis heute noch immer das ‹Transsexuellengesetz›, das Menschen nicht selbst Namen, Personenstand und Geschlechtsangabe bestimmen lässt, gilt. Unter diesem Gesetz noch bis 2011 Menschen zwangssterilisiert wurden. Es bedeutet, dass Zwei-Mütter-Familien eine Stiefkindadoption über sich ergehen lassen müssen, um als Eltern ihrer eigenen Kinder anerkannt zu werden. Diskriminierung in der Gesellschaft und per Gesetz ist noch immer Realität für Millionen von Menschen in diesem Land. Dies muss ein Ende haben.»


Daraus ergibt sich für Gaa die Forderung nach einem «verlässlichen Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identität durch unser Grundgesetz».

Nicht in gestrigen Ideologien «rumsumpfen»
Der Schauspieler Brix Schaumburg, bekannt geworden als einer der ersten trans Männer im deutschen Fernsehen und Musical, sagt: «Ein Grundgesetz für Alle ist nötig, weil der Schutz queerer Menschen nicht per Grundgesetz geregelt ist. Immer wieder werden wir offen, im Alltag oder sogar vom Staat diskriminiert. Lasst uns alle Menschen als die Menschen sehen, die wir sind. Gleiche Rechte für alle sollten dabei an erster Stelle stehen.» Und die Musikerin Sookee ergänzt: «Was braucht eine vielfältige Gesellschaft um sich selbst gerecht zu werden? Auf jeden Fall keine konservativ-bürokratische Trägheit, die zum Einen denjenigen, die Willens sind, Diskriminierung abzubauen, die sprichwörtlichen Hände bindet. Und zum Anderen denjenigen, die von Diskriminierung Betroffenen ihre Realitäten, Erfahrungen und Expertise absprechen, einen Deckmantel überwirft, unter dem sie, nach unten tretend, in ihrer gestrigen Ideologie rumsumpfen können.»

GRUNDGESETZ FUER ALLE
Eine Projektion der Initiative Grundgesetz für Alle aufs Kanzleramt in Berlin (Foto: GFA)

Ständiger Kampf um Akzeptanz
Die Drag Queen Kelly Heelton meint: «Für Heteros, die es immer noch nicht verstehen: unsere Rechte als queere Menschen sind Menschenrechte und hängen nicht von Deiner Meinung, Toleranz oder Akzeptanz ab. Unsere Rechte müssen durch unsere Verfassung endlich geschützt werden! Gefällt Dir nicht? Dein Problem! Es ist noch nicht vorbei! Der ständige Kampf um Akzeptanz ist noch nicht vorbei. Wir können nicht aufgeben oder unseren Mund halten. Wir sind Menschen und haben das Recht, dass wir zu Recht kommen und unsere Rechte geschützt sind.»

Auf solche Rechte pocht auch Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität: «Die Geschlechtsidentität ist ein hohes Gut und zählt zum intimsten Bereich des Persönlichkeitsrechts. Spätestens seit Einführung des Gesetzes zur sogenannten ‚Dritten Option‘ braucht das Grundgesetz ein Update, da hier nur die binären Geschlechter Mann und Frau geschützt werden. Queere Menschen erfahren unzureichenden Schutz und wir sehen in Ungarn, wie leicht es ist, sie aus der Gesellschaft auszumerzen. Deshalb ist es die gesetzgeberische Pflicht im Grundgesetz nachzubessern und präventiv zu agieren.»

Szene aus dem viel diskutierten «Stonewall»-Film von Roland Emmerich von 2015, dem ein «White Washing» der Aufstände vorgeworfen wurde (Foto: Centropolis Entertainment)

Dabei sieht man, dass sich der thematische Fokus seit den Stonewall Riots 1969 stark verschoben hat. Aber im Prinzip geht es nach wie vor darum, dass Menschen jenseits der sogenannten Heteronorm(ativität) ein selbstbestimmtes freien und glückliches Leben leben wollen, vom Staat geschützt statt schikaniert. In dem Sinn ist nach wie vor einiges zu tun, nicht nur am 28. Juni.

Der «Stonewall Reader», herausgegeben von der New York Public Library und Penguin Classics (Foto: New York Public Library)

Wer die Petition der Initiative Grundgesetz für Alle unterzeichnen will, kann das hier tun.


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