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«Viele sind erstaunt, dass Homophobie noch ein Thema ist»

Das Kammerspiel «Vincent River» spielt in Bern

Vincent River Simon Burkhalter
Simon Burkhalter spielt Vincents Liebhaber Davey. (Bild: Celine Stucki)

In Bern kommt «Vincent River» auf die Bühne  – ein Kammerspiel über Homophobie. Das 20-jährige Stück soll einen Kontrastpunkt zur Unterhaltung am Fernsehen setzen, so Theatermacher Simon Burkhalter.

Am 20. Februar und 14. März gastiert im Theater am Käfigturm in Bern das Stück «Vincent River» des britischen Autors Philip Ridley. Das Kammerspiel handelt von einem homophoben Mord an einem 35-jährigen Mann und zwei Hinterbliebenen – seine Mutter und sein Liebhaber, die die brutale Tat zu verarbeiten versuchen. Zwei verschiedene Lebensrealitäten prallen aufeinander.

Die Charaktere werden von Danièle Themis und Simon Burkhalter gespielt. Gemeinsam redigierten sie die Originalfassung des über drei Stunden langen Stücks und kürzten es auf knapp die Hälfte. Die Premiere fand im November in Jegenstorf statt. 

Simon, wie kam «Vincent River» im ländlichen Jegenstorf an?
Wir hatten leider wenig Publikum. Die Thematik schreckte wohl einige potenzielle Zuschauer*innen ab. Andere kamen spontan ins Theater, ohne genau zu wissen, was sie erwarten wird. Dadurch gab es im Anschluss einige interessante Gespräche mit den Anwesenden. Viele von ihnen hatten keine Berührungspunkte mit Homophobie und sind erstaunt, dass sie heute noch ein grosses Thema ist. Homosexualität sei doch völlig normal, sagten sie. Das fand ich spannend.


Vincent River
Vincents Mutter (Danièle Themis) und sein Liebhaber Davey (Simon Burkhalter) in «Vincent River». (Bild: zvg)

Niemand ist aufgestanden und gegangen?
Nein, obwohl ich das erwartet hatte und viele nicht gewusst hatten, worum es bei «Vincent River» geht. Es ist nämlich ein sehr emotionales und kein einfaches Stück.

Inwiefern?
Es geht um den 35-jährigen Vincent, der sein Leben lang überbehütet und in Muster gezwängt wurde. Das Publikum lernt seine Mutter sowie den Jungen kennen, der «schuld» an dessen Ermordung ist. Es treffen zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite das konservative Mutterherz, die nicht will, dass ihr Kind ein schweres Leben hat. Auf der anderen Seite der Junge, der genauso isoliert aufwächst wie Vincent, seine Sexualität jedoch auf eine kranke Art auslebt.

Was gefällt dir an der Geschichte?
Die direkte Sprache. Der Autor Philip Ridley nimmt keine Rücksicht auf das Publikum. Der Dialog ist unverblümt und direkt – eine Gossensprache, die poetisch wird. Ein guter Text kann ohne Masken und Bühnenbild ganze Welten eröffnen. Das finde ich faszinierend.


Daher reizte es mich auch, ein solches Stück auf dem Land zu spielen. Es kommen Leute, die in der Stadt sonst nicht ins Theater gehen würden. Das Theater soll Grenzen sprengen, nicht nur mit dem Stück, sondern auch am Ort, an dem es gespielt wird. Auch die Finanzierung spielte eine Rolle. In Bern kann die Theatermacherei schnell sehr teuer werden.

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Wird die deutsche Übersetzung der Originalfassung gerecht?
Ich finde schon. Übersetzungen sind immer ein Kompromiss. Da kommt man nicht darum herum. Daher führen wir das Stück auch auf Hochdeutsch und nicht in Mundart auf.

«Vincent River» wurde 2000 uraufgeführt. Ist das Stück gut gealtert?
Sehr. Es ist sprachlich und thematisch zeitlos und kann überall und zu jeder Zeit gespielt werden – diese Eigenschaft zeichnet gutes Theater aus. Der Autor Philipp Ridley ist nicht nur Regisseur, sondern auch Filmemacher und Bildender Künstler. Er weiss, was funktioniert. Das Stück ist dramaturgisch sehr intelligent gemacht und aufgebaut.

East London, der Ort der Handlung, ist das einzige, was im Originalstück anders ist als heute. Jetzt ist das ein sehr hipper Ort, an dem alle wohnen wollen (lacht).

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Habt ihr trotzdem Anpassungen an die heutige Zeit gemacht?
Kaum. Das Original spielt in einem jüdischen Umfeld. Das haben wir gestrichen, um Klischees zu vermeiden. Wir haben auch sonst viel weggelassen – vor allem Hintergrundgeschichten, die die Handlung nicht weiterbringen – und die Aufführung von drei Stunden auf rund 80 Minuten gekürzt.

Das Publikum ist es sich nicht mehr gewohnt, länger als zwei Stunden im Theater zu sitzen. Lieber habe ich die Zuschauer*innen nur 1,5 Stunden im Sessel, dafür mit voller Aufmerksamkeit.

Mit den Streamingangeboten haben wir heute Unterhaltung auf Knopfdruck. Haben es da Kammerspiele mit wenig Darsteller*innen ohne Maske und Bühnenbilder schwerer, beim Publikum anzukommen?
Ich finde es eher eine Bereicherung. Das ist nämlich die Urform des Geschichtenerzählens: Zwei Menschen, die auf der Bühne stehen und dich auf eine Reise mitnehmen. Kino und Fernsehen leben hingegen von schnellen Schnitten und aufwendigen Effekten. Da ist es wirklich erfrischend, zur Abwechslung ins Theater zu sitzen und sich mitziehen zu lassen.

Zu Beginn unserer Proben haben wir lange mit Musik gearbeitet. Je länger wie mehr haben wir realisiert, dass die Darsteller*innen sich dahinter verstecken. Das wollten wir nicht.

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Wo liegen die Herausforderungen bei einem Kammerspiel?
Beim Verkörpern der Figur. Man braucht professionelle Leute, die Gefühle ausdrücken und den Abend tragen können. Das Publikum muss auf eine Reise gehen, die bis zum Schluss spannend bleibt.

Eine andere Herausforderung ist das Vertrauen auf den Text. Gerade wegen Film und Fernsehen denke ich oft: «Hey, an dieser Stelle braucht es Musik, Licht oder ein Bühnenelement.» Nein, wir müssen darauf vertrauen, dass der Text gut genug ist, um Emotionen zu kommunizieren und das Publikum abzuholen. Das ist vielleicht der Nachteil beim Fernsehen: Die Geschichten sind zwar gut, berühren aber die Menschen nicht mehr, weil sie so überästhetisiert sind. Alles muss schnell gehen und toll aussehen, um die Masse zu erreichen. Bei diesem Format kann man das nicht.

«Vincent River» ist am 20. Februar und am 14. März im Theater am Käfigturm in Bern zu sehen. Mehr Informationen: theater-am-kaefigturm.ch


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