Queeros 2021: Schutzräume auch für kleinere Städte
Joris Paul Donocik, Mitglied im Vorstand des CSD Magdeburg e.V., zur LGBTIQ-Situation in Sachsen-Anhalt
Viele Queers in Deutschland, Österreich und der Schweiz engagieren sich ehrenamtlich für LGBTIQ-Belange: im Rahmen von Vereinen oder Organisationen oder als Aktivist*innen. Im zweiten Jahr macht MANNSCHAFT auf diese Menschen aufmerksam. Rund 800 User*innen haben abgestimmt. Für die Region Deutschland gewann der CSD Magdeburg. Wir sprachen mit dem Vorstand über die Situation vor Ort und darüber, wie queeres Leben in eher ländlichen Regionen aussieht.
Hallo Joris. Ihr habt euch als CSD Magdeburg für die Queeros-Wahl beworben – und gewonnen. Warum war es euch wichtig mitzumachen? Wir, als Christopher Street Day organisierender Verein, sind in den letzten Jahren stets und ständig gewachsen. Inzwischen umfasst der Verein mehr als 160 Mitglieder*innen. Dabei sind wir nicht nur in Magdeburg tätig, sondern haben 2021 das Netzwerk CSD Sachsen-Anhalt ins Leben gerufen – dort haben wir mehrere Ortsgruppen gegründet. Hierbei geht es um die Erschliessung des ländlichen Raumes, da dort noch viel Handlungsbedarf besteht, wenn es um die Förderung von Akzeptanz, Toleranz und Respekt von LGBTIQ und den Abbau von Homo-, Trans-, Bi- und Interphobie geht. So haben wir letztes Jahr zum ersten Mal CSDs in Schönebeck (Elbe) sowie in Stendal veranstaltet. Dieses Jahr kommen noch Salzwedel und Dessau-Roßlau dazu. Unterdessen läuft aktuell unsere EuroPride Bewerbung für das Jahr 2025, welche per Stadtratsbeschluss von der Stadt Magdeburg unterstützt wird.
Sachsen-Anhalt ist sehr ländlich geprägt. Grossstädte wie Köln, Hamburg oder München sind in Sachsen-Anhalt nicht vorhanden, sodass es für queere Menschen schwieriger ist, den Anschluss an die Community zu finden. Wir haben uns also zur Aufgabe gemacht, alle mit ins Boot zu holen; und für die, die aufgrund langer Fahrzeiten und eher gering ausgeprägter Infrastruktur nicht nach Magdeburg kommen können, bringen wir den CSD in den ländlichen Raum.
Uns war es wichtig mitzumachen, gerade weil wir diese Netzwerkarbeit geschafft haben. Auch in den kleineren Städten sind so Schutzräume entstanden.
Die meisten werden euren CSD nicht als gewichtiges LGBTIQ-Event von nationaler Bedeutung auf dem Schirm haben. Was zeichnet den CSD Magdeburg aus, im Vergleich zu anderen Pride-Events in Deutschland oder weltweit? Es ist denke ich kein Geheimnis, dass die LGBTIQ-Community des Öfteren (um nicht zu sagen ständig) Gegenwind seitens der AfD bekommt. Jedoch gibt es von den demokratischen Parteien sehr viel Unterstützung. So sind beispielsweise regelmässig auch die FDP, Bündnis 90/ Die Grünen, die SPD oder Die Linke auf unseren Veranstaltungen dabei. Ob nun in Form von Ständen beim Strassenfest nach der Demonstration oder als Diskussionspartner bei unseren politischen Veranstaltungen.
Auf nationaler Ebene zeichnen uns vor allen Dingen unsere ausgeprägten Aktionswochen aus. Beginnend mit unserem Rathausempfang finden in der Regel zwei Aktionswochen statt, welche schliesslich mit unserer Demonstration plus Strassenfest enden. Das können nicht viele CSD organisierenden Vereine von sich behaupten. Innerhalb der Aktionswochen gibt es täglich Veranstaltungen, manchmal sogar zwei an einem Tag. Von Buchlesungen, über inhaltliche Veranstaltungen bis Sportfest, Regenbogenfamilienfest und Miss*ter CSD Sachsen-Anhalt Wahl, bis Partys ist alles dabei – so steht auch in unserer Selbstdarstellung das Motto: Politik – Kultur – Party.
Zu unseren CSDs kommen Menschen: jung, alt, mit Handicap, ohne Handicap, egal welcher Herkunft, egal welcher Orientierung oder welchen Geschlechts. Eben Menschen. Dabei versuchen wir so gut wie möglich auf alle Anliegen einzugehen. Wir nutzen dazu den Leitfaden «CSD ist für Alte da». So bieten wir alle Möglichkeiten Barrieren abzubauen. Besonders hervorheben möchte ich, dass unser kompletter CSD (also zehn Stunden lang) in Gebärdensprache gedolmetscht wird.
Besonders hervorheben möchte ich, dass unser kompletter CSD (also zehn Stunden lang) in Gebärdensprache gedolmetscht wird
Der Austausch mit anderen CSDs erfolgt ebenfalls über Netzwerkarbeit. Dazu gibt es den CSD Nord e.V. und den CSD Deutschland e.V. inklusive regelmässiger Treffen. Ausserdem gibt es in Sachsen-Anhalt den lesbisch, schwul und queerpolitischen Runden Tisch (LSQpRT) wo wir uns mit anderen queeren Vereinen austauschen.
Zieht eigentlich jemand freiwillig nach Magdeburg … wegen der queeren Lebensqualität? Was wären Argumente dafür und dagegen? Und was sind, ausser dem CSD, die LGBTIQ-Highlights im Kalender für 2022? Nein. Also das kann ich mir nicht vorstellen. Da müsste ich schon suchen, bis ich jemanden treffe der freiwillig nach Magdeburg zieht. LGBTIQ zieht es vor allen Dingen in die Grossstädte mit ganzen LGBTIQ-Meilen oder -Vierteln. Zum Beispiel nach Berlin oder Köln. Man muss sich dabei immer noch vor Augen halten, dass Sachsen-Anhalt sehr ländlich geprägt ist und selbst in Magdeburg gibt es nur wenige Schutzräume für Queers. Das beschränkt sich schon fast nur auf unseren Verein und das Boys’n’Beats als queere Disco. Natürlich freuen wir uns über jeden der nach Magdeburg zieht und uns bei unserer Arbeit unterstützen möchte. (MANNSCHAFT berichtete über den Magdeburger Stadtrat, der seine polnischen Partnerstadt vor der Einführung von sogenannten LGBTIQ-freien Zonen warnte.)
Unser Kalender ist so voll wie nie zu vor. Vor Kurzem gab es anlässlich der Bombardierung Magdeburgs (16. Januar 1945) Aktionswochen von der Initiative weltoffenes Magdeburg unter dem Motto «eine Stadt für alle». Neben vielen Aktionen anderer Vereine veranstalteten wir einen queeren Stolperstein Spaziergang und legten Regenbogenrosen auf die Stolpersteine, welche an die Ermordung von queeren Menschen im Nationalsozialismus erinnern. Ebenso beteiligten wir uns an den etwa 30 Gegendemonstrationen gegen den Aufmarsch von Neonazis am 22.01.2022.
Auftakt unserer CSDs ist dieses Jahr Schönebeck (Elbe) am 23. April 2022. Es folgt der CSD Dessau-Rosslau in Kooperation mit der Initiative Buntes Roßlau e.V. am 21. Mai 2022. Am 18. Juni 2022 dann der erste CSD in Salzwedel. Vom 5. bis 21. August die Aktionswochen und der CSD in Magdeburg. Und schliesslich noch am 1. Oktober 2022 der CSD in Stendal.
Obligatorisch ist eine Aktion zum IDAHOBIT am 17. Mai 2022. Neu wird unsere Jahresauftakt Gala am 25.03.2022 sein. Daneben gibt es von jeder Ortsgruppe, sowie der EuroPride Arbeitsgruppe monatliche Treffen. Unsere queeren Sportgruppen treffen sich zu Wanderungen, Fahrradtouren und vielem mehr. Und dann gucken wir mal, ob wir den Zuschlag für den EuroPride 2025 bekommen. Eben wegen der Bewerbung zur EuroPride werden wir dieses Jahr beim EuroPride in Belgrad präsent sein.
Mit dem queeren Köthener Youtube Kanal «Queer4mat» haben wir ausserdem kurze Videoclips gedreht, welche aktuell wöchentlich am Sonntag auf unseren social Media Seiten und denen vom YouTube-Kanal veröffentlicht werden. Dabei erzählen queere Jugendliche aus Magdeburg von Orten, an denen sie sich besonders wohl fühlen oder wann sie sich genau an diesen Orten nicht wohlfühlen.
Dabei erzählen queere Jugendliche aus Magdeburg von Orten, an denen sie sich besonders wohl fühlen
Hervorheben möchte ich auch nochmal, dass wir häufig mit der Kommunalpolitik Gespräche darüber führen, wie eine engere Zusammenarbeit aussehen könnte und auch mit der Gesundheitsministerin (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung) Sachsen-Anhalts Frau Grimm-Benne laufen derzeit Gespräche zur Fortschreibung des Landesaktionsplanes für die Akzeptanz von LGBTIQ.
Neben den ganzen Veranstaltungen betreiben wir im Rahmen von Workshops auch Aufklärung zu LGBTIQ spezifischen Themen an Schulen. Toleranz und Vielfalt wird in den letzten Jahren immer mehr ein Begriff in der Öffentlichkeit. Trotzdem steigt jedes Jahr die Anzahl an Schüler*innen, welche Diskriminierung oder Mobbing aufgrund verschiedenster Stereotype erfahren haben. Wir bieten deshalb Schulen die Möglichkeit, Ihre Schüler*innen zu den Themen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt aufzuklären. Die Schüler*innen und pädagogischen Fachkräfte bekommen hierbei einen Einblick in das Thema Diversität und Toleranz. Das Hauptziel besteht darin, Barrieren an Schulen abzubauen und Akzeptanz für eine facettenreiche Gesellschaft zu schaffen. Die Workshops finden unter Anleitung von ausgebildeten Fachkräften und dem Einsatz abwechslungsreicher interaktiver Methoden statt. Sie beziehen sich vor allem auf den Abbau von Intoleranz und Vorurteilen, besonders im Bereich der diversen Sexualitäten.
Bezieht ihr zum CSD andere Institutionen vor Ort mit ein, etwas das Theater oder die Universität? Ja. Auf unserem Strassenfest nach der CSD-Demonstration kommen wir in engem Austausch mit verschiedensten Vereinen und auch den Sozialarbeiter*innen des Jugendamtes oder eben über die Initiative weltoffenes Magdeburg, welche ich vorhin schon erwähnt habe. Dort hat auch das Theater Magdeburg mitgewirkt. Jedoch steht bei der Auswahl von Künstler*innen für unseren CSD der queere Bezug im Vordergrund. So übernehmen gerne die Schwestern der perpetuellen Indulgenz oder Sebastian Böhm die Moderation und künstlerische Beiträge gibt es dann zum Beispiel von Jendrik (bekannt vom ESC 2021). Im Dezember letzten Jahres haben wir mit dem Queer Campus von der Universität gemeinsam eine queere Kurzfilmnacht veranstaltet.
In engem Austausch stehen wir auch mit dem Verein OvGU-Pride (Abkürzung für Otto-von-Guericke Universität). Der OvGU Pride veranstaltet einmal im Jahr einen CSD auf dem Gelände der Universität und betreibt queere Hochschulpolitik. Die Universität unterstützt uns auch bei einem Nachhaltigkeitskonzept zu unserer Bewerbung für den EuroPride.
Der Digitalisierungsprozess hat viele queere Communitys weltweit enger zusammengebracht. Spürt ihr das auch? Ja, auf jeden Fall. Gerade während der Corona-Pandemie sind Webinare und Zoom-Meetings unverzichtbar geworden. Je nach aktuellen Hygieneregeln können wir schnell zu online Sitzungen und Hybridveranstaltungen wechseln. Dennoch sind wir Freund*innen von Präsenzveranstaltungen. So wird eine Planungssitzung von einer Veranstaltung interaktiver, der Austausch oder die Diskussion wird so lebendiger. Das geht bei Online-Sitzungen ein wenig verloren. Der Vorteil von Online-Veranstaltungen jedoch ist, dass der Fahrweg entfällt. So haben wir uns zum Beispiel recht kurzfristig zur EuroPride Bewerbung Tipps vom Hamburgpride holen können. Hat alles seine Vor- und Nachteile.
Die Verschiebung von Debatten in den Online- und Social-Media-Bereich führt auch dazu, dass teils sehr heftig gegeneinander geschossen wird innerhalb der queeren Community(s). Das hat manchmal etwas Selbstzerstörerisches, aber bringt auch viele Inspirierendes. Wie erlebt ihr das? Das betrifft ja nicht nur die queeren Communitys. Das Problem ist, dass man Mimik und Gestik zu dem geschriebenen Text nicht sieht. So wird zum Beispiel Ironie und Sarkasmus schnell falsch verstanden und es folgt ein langer Chatverlauf von Richtigstellungen und Entschuldigungen. Jedoch gibt es auch Hassrede und Beleidigungen, die auch so gemeint sind. Im Netz fallen schnell die Schamgrenzen. Da kann ich ein Beispiel genau benennen. Das war ein Netzaufruf für unsere Videoclips über queere Jugendliche. Sofort stand von einer Person, die nicht mal der Magdeburger Community angehört ein Kommentar darunter welcher sinnzusammenhängend lautete, dass wir Ältere ausschliessen würden. Das stimmte so aber gar nicht. Es war lediglich ein Angebot für queere Jugendliche, neben vielen Angeboten, die sich an alle richten. Da ist eigentlich auch nichts Schlimmes dabei. Die Person hätte auch einfach fragen können, ob man vielleicht eine Ausnahme machen könnte. Das wäre gerne möglich gewesen. (MANNSCHAFT berichtete über die Diskussionen bei der Motto-Wohl des Zurich Pride 2022.)
Da wurden wir gefragt, ob wir uns eher dem Kapitalismus oder Sozialismus zuordnen
Oder ein anderes Beispiel. Da wurden wir gefragt, ob wir uns eher dem Kapitalismus oder Sozialismus zuordnen. Diese Person sprach uns später von Angesicht zu Angesicht noch einmal drauf an warum wir den Kommentar ignoriert bzw. gelöscht haben. Wie sollen wir uns denn als Community in diese beiden Systeme einordnen? LGBTIQ-Rechte ist doch ein Thema, welches unabhängig von Kapitalismus bzw. Sozialismus existiert. Es spielt doch gar keine Rolle, ob ich als LSBTIQ das eine oder andere System befürworte. Ein Vereinsmitglied hat zu diesem Thema auch einen Hassanruf inklusive Gewaltandrohung auf sein privates Telefon bekommen, weil sich «gewünscht» (euphemistisch ausgedrückt) wird, dass wir uns klar nach links orientieren.
Wir versuchen so gut es geht es allen recht zu machen. Jedoch halten wir auch nicht hinterm Berg, wenn uns Gewalt angedroht wird. Diesen Vorfall mit dem Telefonanruf haben wir dann auch öffentlich gemacht.
Wenn ich mir das Vorschaufoto auf eurer Homepage anschaue, dann sehe ich vor allem viele junge Menschen: Wie funktioniert der Intergenerationendialog in Magdeburg? Gibt’s einen Austausch mit LGBTIQ, die zu DDR-Zeiten dort lebten und jenen, die die Stadt erst später erlebten? Genau. Wir erleben, dass die Magdeburger Community immer jünger wird. Jedoch sind gerade bei unseren Planungstreffen alle dabei. Gerade die «Alten» (ich sag lieber einfach Mensch, da das Alter für mich keine Rolle spielt), gerade die Alten sind es doch, die die CSDs erst möglich gemacht haben. Die in den frühen 70ern grundlegende Rechte erkämpft haben z.B. denke ich da an die Herabsetzung des Schutzalters oder in den 90ern die Abschaffung des §175. So sind (sag ich mal grob über den Daumen gebrochen) bei den Planungstreffen von 15 bis 65 alle dabei und bei den CSDs ebenfalls. Also der Austausch ist gegeben, aber die Idee eines expliziten Dialogs nehme ich gerne als Vorschlag für die nächsten Aktionswochen mit.
Wie hat sich queeres Leben in Sachsen-Anhalt – aus deiner Perspektive – in den letzten Jahren oder Jahrzehnten verändert? Hat Corona dabei seit 2020 eine Rolle gespielt? Wie entscheidend ist dabei Reiner Haseloff als Ministerpräsident oder die CDU als Regierungspartei? Welche Bedeutung hat die AfD? Ich hatte ein problematisches Outing muss ich dazu sagen. Ich habe mich nicht geoutet, sondern ich wurde geoutet. So fiel schon in meiner Jugend schnell mal der Satz «die dumme Schwuchtel» auf dem Schulhof. Das ging etwa zwei Jahre, ich habe nach der 11. Klasse aus persönlichen Gründen die Schule abgebrochen. Darüber rede ich auch nicht so gerne.
Wenn ich heute in der Strassenbahn sitze und den Gesprächen von Schüler*innen so zuhöre, keimt in mir die Vermutung, dass sich das auch nicht geändert hat. In der Gesellschaft erlebe ich (bzw. wir), dass die Quantität der homophoben bzw. queerfeindlichen Gewalttaten und Übergriffe abgenommen hat, jedoch qualitativ schwerwiegender werden.
Auch dazu habe ich eine Anekdote: Letztes Jahr haben wir anlässlich des Fussball EM-Spiels gegen Ungarn einen etwa 300 qm grossen Regenbogen aus Stoffbahnen in der MDCC Arena (das ist das heimische Fussballstadion) installiert und diesen auf Facebook gepostet. Daraufhin hat der FC Magdeburg Solidarität gezeigt und diesen Beitrag, weil es eine Kooperation mit dem Fussballverein war, geteilt. Der heimische Fussballclub musste dafür in etwa 200 Hasskommentare einstecken. Von «Fussball soll unpolitisch sein» bis «Scheissschwuchteln». Da frag ich mich: Fussball ist doch politisch? So lange sich Politiker*innen in Stadien aufhalten, ist Sport politisch. Ganz nebenbei die WM in Katar. Aber gut. Das ist ein anderes Thema. Fakt ist, da sind Kommentare jenseits von Gut und Böse geflogen. (MANNSCHAFT berichtete über Katar und die gezielte Einladung des WM-Organisators vor Ort an die LGBTIQ-Community.)
Fakt ist, da sind Kommentare jenseits von Gut und Böse geflogen
Corona führt leider zu sozialer Isolation. Das muss man klar so benennen. Kaum noch Partys im heimischen Club. 2G+ Regel gibt den Rest. Die Hürden werden immer höher je länger die Pandemie andauert. Zum Glück finde ich im Verein Halt.
Zum Thema CDU und AfD kann ich nur nochmal ganz klar betonen: zum Glück hat die CDU letztes Jahr 37 Prozent der Wählerstimmen bekommen (also aus meiner Perspektive), denn fast wäre die AfD stärkste Kraft geworden. Wir standen letztes Jahr mehrfach mit dem «Bündnis unteilbar» vor dem Landtag und haben gegen die Veranstaltungen der AfD demonstriert, sind mit lauter Musik im strömenden Regen getreu dem Motto «die AfD wegbassen» mit verschiedenen Leuten durch die Stadt gezogen. Es gab so viele Demos gegen die AfD wie schon lang nicht mehr. Welche Partei man sich privat nun als Landesregierung vorstellt sei jedem selbst überlassen. Die AfD ist jedoch indiskutabel und da möchte ich in meinen Ausführungen hier der AfD auch gar nicht so sehr die Bühne geben, das tun andere schon. Ich persönlich bin mit dem Bündnis aus CDU, SPD und FDP jedoch sehr zufrieden. Man muss dabei bedenken, dass auch seit der letzten Legislaturperiode mit Herrn Haseloff als Ministerpräsidenten der Gleichstellungsartikel in der Landesverfassung um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzt wurde, womit Sachsen-Anhalt diesbezüglich im Vergleich zum Bund und einigen anderen Bundesländern sehr progressiv ist.
Ab und zu ist Magdeburg wegen rechten Aufmärschen in den Schlagzeilen. Ist das etwas, womit ihr euch als CSD-Verein auseinandersetzt und worauf ihr reagiert? Ja, letztens titelte erst die Bild-Zeitung, Magdeburg sei das Mekka der Querdenker. Ich nutze hier bewusst den Konjunktiv 1, weil ich das nicht bezweifle – es ist nur eben plakativ formuliert. «Ab und zu» ist da doch sehr wohlwollend formuliert. Ob damals MAGIDA («Magdeburg gegen die Islamisierung des Abendlandes»), oder später allgemein die AfD und jetzt die sogenannten «Spaziergänge» und «Friedenswanderungen» – Magdeburg schafft es wegen der rechten Aufmärsche nun schon in die Tagesschau der ARD. Dabei muss man aber auch in die Waagschale werfen, dass es immer wieder Gegenproteste gibt, die häufig nicht benannt werden. Damit setzen wir uns natürlich auseinander. Reagieren tun wir darauf auch; ob in Form von Social Media Posts, Pressemitteilungen oder gleich der Teilnahme an Gegendemonstrationen wie beim Bündnis Unteilbar 2021 oder bei der Initiative Weltoffenes Magdeburg im Rahmen der Gegenveranstaltungen zum Neonazi Aufmarsch im Januar.
In der Schweiz gewann «Asile LGBTIQ+» die Queeros-Wahl in Österreich Yavuz Kurtulmus als Gründer von MiGaY, der ersten österreichischen Plattform für LGBTIQ-Migrant*innen (MANNSCHAFT berichtete). Wie wichtig ist der Umgang mit Migrant*innen für euch als CSD Magdeburg? Tauscht ihr euch mit den anderen Queeros aus? Nein, leider haben wir uns mit den anderen Queeros noch gar nicht ausgetauscht aufgrund unseres hohen Pensums an Arbeit wie vorhin erwähnt. Wir wollen sie aber zu unserer Jahresauftaktsgala einladen. Der Umgang mit Migrant*innen ist uns jedoch sehr wichtig. In unseren Forderungen ist auch festgeschrieben, dass die Mitarbeiter*innen von Geflüchteten Unterkünften auf die spezielle Situation von LGBTIQ* geschult werden müssen. Dabei ist es uns ebenfalls ein wichtiges Anliegen, dass es vereinfachte Asylverfahren für LGBTIQ-Geflüchtete gibt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität aus ihren Heimatländern vertrieben wurden oder fliehen mussten, da ihnen sonst unteranderem der Tod droht. Anlässlich der verzweifelten Situation und des Suizids der trans Frau Ella, welche sich letztes Jahr in Berlin selbst angezündet hat, veranstalteten wir auch in Magdeburg eine Mahnwache. (MANNSCHAFT berichtete darüber, dass Ellas Grab gschändet wurde.)
Also überspitzt formuliert ist es Selbstausbeutung. Jedoch gibt einem der Verein auch sehr viel zurück
Jeder Verein braucht Gelder – woher bekommt ihr euer Geld? Läuft das alles über ehrenamtliche Arbeit und Selbstausbeutung oder gibt es Sponsoren oder Spender, die euch und eure Anliegen unterstützen? Als eingetragener Verein ist es natürlich ehrenamtliche Arbeit, die den Verein am Leben erhält. Den Begriff Selbstausbeutung sehe ich kritisch. Also überspitzt formuliert ist es Selbstausbeutung. Jedoch gibt einem der Verein auch sehr viel zurück. Die Gemeinschaft zum Beispiel oder die grossartigen CSDs, welche wir gemeinsam erleben dürfen – das ist für mich schon ein enormer Lohn für die Arbeit, die ich in den Verein stecke. Man muss aber immer bedenken, dass wir das zusätzlich zu unserer Arbeit machen, und in dem Sinne ist es ein Mehraufwand.
Die Gelder sind fast vollständig Förderungen und Spenden. Das ist ja nun ein offenes Geheimnis. Da muss man nur ein bisschen recherchieren, wo man was und wie viel bekommt und dann entsprechend auch bei den Unterstützer*innen Rechenschaft zum geförderten Projekt ablegen. Ein Beispiel ist das erwähnte Gebärdensprachendolmetschen. Das bekommen wir komplett von der Aktion Mensch gefördert – zehn Stunden und zwei Dolmetscher*innen sind schon eine ordentliche Summe. Gerne gesehen sind auch zweckungebundene Spenden.
Was wäre dir als queere*r Aktivist*in ein besonderes Anliegen, dass du gern grundsätzlich zur LGBTIQ-Situation loswerden möchtest? Mein Anliegen ist, dass der Koalitionsvertrag der gewählten Bundesregierung unbedingt eingehalten werden muss. Im Koalitionsvertrag der sogenannten Ampel-Regierung (Bündnis aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen) sind nämlich sehr progressive Punkte vereinbart worden. Das beinhaltet die Erneuerung des Gleichstellungsartikels in unserer Verfassung – eine Veränderung, welche in unserem Bundesland bereits 2020 geschehen ist.
Ferner soll das diskriminierende und herabwürdigende Transsexuellengesetz durch ein fortschrittliches Selbstbestimmungsgesetz abgelöst werden, welches das Verfahren zur Personenstandsänderung vereinfachen soll (MANNSCHAFT berichtete). Ebenso sollen intergeschlechtliche Menschen, welche zu Unrecht eine geschlechtsangleichende Operation erlitten haben, endlich geschützt und entschädigt werden. Ergänzt werden die überfälligen Reformen durch einen nationalen Aktionsplan und die Anerkennung von Regenbogenfamilien. Klingt erst einmal sehr vielversprechend. Ich wünsche mir, dass dies noch in dieser Legislaturperiode geschieht.
Vielleicht können wir 2025 einen grossartigen EuroPride in Magdeburg veranstalten
Und vielleicht können wir 2025 einen grossartigen EuroPride in Magdeburg veranstalten und damit ein Zeichen setzen. So oft wie Magdeburg mit Berichten von Nazi-Aufmärschen auch in den Nachrichten ist – so bunt und schön ist auch die andere Seite der Medaille.
Ich möchte das Interview mit einem Rosa-von-Praunheim-Filmtitel aus den 70er-Jahren abschliessen: «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt».
Vielen Dank für das Gespräch, liebe MANNSCHAFT.
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