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Umstrittener Papst Benedikt wird 95 – Was bleibt von Ratzinger?

Ratzinger sieht Bedrohung der Kirche in einer «weltweiten Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien»

Benedikt XVI.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (Foto: Sven Hoppe/dpa-Pool/dpa)

Das Missbrauchsgutachten von München legte einen gewaltigen Schatten über das Leben und Werk von Papst Benedikt. Kritiker*innen sahen sich bestätigt, Vertraute sprechen von einer Kampagne gegen den gebürtigen Bayern. Nun wird er 95 Jahre alt. Was wird aus seinem Vermächtnis?

Von Johannes Neudecker, dpa

Mitten im Vatikan liegt ganz unscheinbar zwischen penibel gepflegten Grünanlagen und plätschernden Brunnen das Kloster Mater Ecclesiae. Ein gut bewachtes Haus mit eigener Kapelle, toller Sicht auf den mächtigen Petersdom und abgeschirmt vom tosenden Stadtlärm Roms: Dort wohnt seit fast neun Jahren zurückgezogen der emeritierte Papst Benedikt XVI, der am Samstag (16. April) 95 Jahre alt wird. Mehrere Nonnen und Privatsekretär Georg Gänswein kümmern sich um den als Joseph Ratzinger im bayerischen Marktl am Inn geborenen Pontifex.

Nach dem Aufruhr, den das Münchner Missbrauchsgutachten inklusive konkreter Vorwürfe gegen Ratzinger verursacht hatte, dringt nur sporadisch nach aussen, wie es dem Papa emeritus in seinem Kloster geht. Er tue sich schwer beim Sprechen, heisst es. Wie Gänswein oft sagt, sei Benedikt «stabil in der physischen Schwäche bei klarem, scharfem Verstand». Fotos von Besuchern, die zuletzt in den sozialen Medien landeten, zeigten ihn sitzend in seinem weissen Gewand.


«Er muss sich mehr ausruhen», erzählte Kardinal Gänswein in dieser Woche der italienischen Zeitschrift Oggi. Morgens um 7.30 Uhr feiere er die heilige Messe, danach höre er in seinem Sessel Musik. «Inzwischen macht er auch wieder seine gewohnten Spaziergänge in den Vatikanischen Gärten», berichtete der Vertraute. Ein Interview mit dem Jubilar anlässlich seines Geburtstages war nicht möglich.

Derartige Anfragen wurden schon im Januar dieses Jahres abgelehnt, als ein mediales Gewitter auf das kleine Idyll im Vatikan niederging. Laut einem anwaltlichen Gutachten im Auftrag der Erzdiözese München und Freising soll sich Ratzinger in seiner Zeit als Erzbischof in Bayern (1977 bis 1982) in mehreren Fällen von Missbrauch an Kindern durch Geistliche falsch verhalten haben (MANNSCHAFT berichtete).

«Umso grösser ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind», schrieb er später Anfang Februar in einem Brief und bat alle Opfer sexuellen Missbrauchs um Entschuldigung. Das war auch eine Reaktion auf den Vorwurf der Lüge in einer ersten Stellungnahme; Gänswein sprach von einem «Versehen in der redaktionellen Bearbeitung».


Menschen, die Benedikt kennen, vermuten, dass er sich während des Gutachten-Rummels um seine Person als ungerecht dargestellt gefühlt hat. Was tatsächlich von all dem zu ihm in die vier Wände Mater Ecclesiaes vordrang, wissen nur wenige. Manche innerhalb der Vatikanmauern finden, dass bei all den Vorwürfen die eigentliche Arbeit Benedikts gegen den Missbrauch in der Kirche zu kurz kam.

«Er hat als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst mit der neuen Gesetzgebung und konkreten Prozessführung bewiesen, dass die Täter zu bestrafen sind und dass den Opfern solcher Untaten persönliche Zuwendung und Gerechtigkeit widerfahren muss», sagt Kardinal Gerhard Ludwig Müller der Deutschen Presse-Agentur.

In der vor zwei Jahren erschienen Biografie «Benedikt XVI.- Ein Leben» stellte Ratzinger einen Zusammenhang zwischen dem Antichristen und der Eheöffnung her, wie die katholische Reformbewegung «Wir sind Kirche» kritisierte (MANNSCHAFT berichtete).

«Wenn Joseph Ratzinger jetzt eine antichristliche gesellschaftliche Exkommunikation derjenigen sieht, die sich beispielsweise gegen Homosexualität und Abtreibung positionieren, so mag das seine Wahrnehmung sein. In der Realität sei dagegen ein zunehmend militanter und sich christlich nennender Fundamentalismus in evangelikalen wie auch katholischen Kreisen auf Weltebene festzustellen.

Vor hundert Jahren hätte es noch jedermann für absurd gehalten, von homosexueller Ehe zu sprechen.

Der emeritierte Papst äussert sich in dem Buch so: «Vor hundert Jahren hätte es noch jedermann für absurd gehalten, von homosexueller Ehe zu sprechen. Heute ist gesellschaftlich exkommuniziert, wer sich dem entgegenstellt. Ähnliches gilt bei Abtreibung und für die Herstellung von Menschen im Labor.» Die moderne Gesellschaft sei dabei, ein antichristliches Credo zu formulieren, dem sich zu widersetzen mit gesellschaftlicher Exkommunikation bestraft wird. «Die Furcht vor dieser geistigen Macht des Antichrist ist dann nur allzu natürlich.» Nach Ansicht Ratzingers liegt die eigentliche Bedrohung der Kirche in einer «weltweiten Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien».

Was bleibt von seinem Werk, wenn er, wie er im Februar selbst schrieb, «das dunkle Tor des Todes» einmal durchschritten hat?

Müller – einst Bischof von Regensburg und später wie Benedikt Präfekt der Glaubenskongregation, die sich unter anderem um Missbrauchsfälle in der Kirche kümmert – erinnert an das Institut Papst Benedikt XVI., um dessen Gründung er sich im Jahr 2007 als Bischof kümmerte. Die Einrichtung gibt die gesammelten Werke Joseph Ratzingers heraus und verwaltet damit sein theologisches Erbe sowie die Texte und Ansprachen seines Pontifikats. Das Ganze soll auch in anderen Sprachen verfügbar sein, «was den internationalen Rang seiner Bedeutung für Kirche und Theologie unterstreicht», findet Müller.

Andere Benedikt-Kenner wünschen sich einen gerechten Blick auf das gesamte Lebenswerk des Oberbayerns. Zwar seien die Missbrauchsfälle schlimm, man habe nicht an die Opfer gedacht und das dürfe nicht noch einmal passieren – man müsse aber auch in die Zukunft blicken. Wenn man auf Benedikts gesamtes Schaffen in der Kirche blicke, so die Wertung, dann schwinge das Pendel wieder in die Mitte zurück.

Benedikt feiert in diesem Jahr am Karsamstag Geburtstag. An einem Karsamstag kam er 1927 auch zur Welt und wurde – so erzählt man sich – noch am selben Tag mit dem Osterwasser getauft. 78 Jahre später stieg er auf den Stuhl Petri und krönte seine Kirchenkarriere als Oberhaupt der Katholiken. Die Nachricht über seinen Amtsverzicht 2013 ging um die Welt und sorgte für gigantisches Aufsehen, da der letzte Rücktritt eines Papstes Hunderte Jahre zurücklag.

Die Tatsache dass es seitdem mit Papst Franziskus und Papst emeritus Benedikt XVI. eigentlich zwei Päpste gibt, sorgte danach immer wieder für Spannungen in den politischen Lagern der Kirche. Ob und wie Franziskus seinen Vorgänger an dessen Geburtstag besuchen werde, das teilte der Heilige Stuhl auf Anfrage nicht mit. Gänswein sagte Oggi, dass man sich auf einen Besuch Franziskus vorbereite.

Das Nebeneinander zweier Päpste im kleinen Kirchenstaat ist für keinen der Akteure ideal. Manche Vatikan-Experten vermuten deshalb, dass Papst Franziskus – nach dem Tod Benedikts – das Gesetz ändern könnte, damit es zukünftig den Status «Papa Emeritus» nicht mehr geben kann. Damit wäre Benedikt XVI. der erste und vorerst letzte emeritierte Pontifex als Bewohner des Klosters Mater Ecclesiae.


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