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«Transatlantic»: Historiendrama, Spionage-Thriller, Kitsch-Romanze

Im Zentrum steht u.a. der schwule Protagonist Varian Fry

Transatlantic
Alexander Fehling (l) als Max Ernst (Foto: Anika Molnar / Netflix)

Die Serie «Transatlantic» ist gerade neu auf Netflix erschienen. Filmkritiker Patrick Heidmann hat sie etwas genauer unter die Lupe genommen.

Dass es Projekte gibt, die auf dem Papier so viel spannender und sehenswerter klingen, als sie es in der Umsetzung dann tatsächlich sind, kommt natürlich immer wieder vor. Doch in manchen Fällen schmerzt die Kluft zwischen den Erwartungen und dem Ergebnis. So zum Beispiel bei der neuen Serie «Transatlantic», die seit dem 7. April bei Netflix zu sehen ist.

Anna Winger, die einst gemeinsam mit ihrem Mann Jörg «Deutschland 83» (samt zweier, nicht mehr ganz so starker Fortsetzungen) schuf und damit im Ausland ein ungeahntes Interesse an deutschen Serien weckte, das dann auch «Unorthodox» zum Hit machte, hat sich für die gemeinsam mit dem aus Uruguay stammenden Filmemacher Daniel Hendler erdachte, siebenteilige Miniserie einen ausgesprochen faszinierenden Stoff vorgenommen.

Basierend auf dem Roman «The Flight Portfolio» von Julie Orringer, dem wiederum reale Begebenheiten als Grundlage dienten, erzählt «Transatlantic» nämlich die Geschichte des Emergency Rescue Committees, das Anfang der 1940er von Marseille aus zahlreichen, überwiegend jüdischen Intellektuellen und Künstler*innen zur Flucht vor den Nazis verhalf.


Treibende Kraft hinter der Gruppe ist unter anderem der amerikanische Journalist Varian Fry (Cory Michael Smith), für nicht bloss finanzielle Unterstützung sorgt die aus wohlhabendem Hause stammende Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs), die immer wieder auch dafür zuständig ist, den von amerikanischer Einmischung wenig begeisterten Konsul (Corey Stoll) abzulenken.


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Auch Albert Hirschmann (Lucas Englander), der sich als Deutscher der französischen Fremdenlegion angeschlossen hatte und zunächst selbst auf der Flucht ist, engagiert sich bald mit Leidenschaft, ebenso die österreichische Widerstandskämpferin Lisa Fittko (Deleila Piasko) sowie verschiedene Mitarbeiter (u.a. Ralph Amoussou) des Hotel Splendide, vom dem aus das ERC zunächst agiert.


Doch je enger die französische Polizei mit den Nazis zu kooperieren beginnt und je mehr Menschen vom europäischen Festland fliehen wollen, desto mehr verlagert sich das Zentrum der Aktivitäten in das Anwesen von Frys Liebhaber Thomas Lovegrove (Amit Rahav), der seinerseits mit dem britischen Geheimdienst zusammenarbeitet.

Dass die Aktivitäten des Emergency Rescue Committees, das am Ende mehr als 2.000 Menschen das Leben rettete, es verdient haben, in einer Serie verewigt zu werden, steht vollkommen ausser Frage. Die Geschichte, die in «Transatlantic» erzählt wird, ist wirklich bemerkenswert. Die Art und Weise, wie das geschieht, allerdings leider weniger.

Varian Fry beispielsweise ist als Protagonist eine ungemein spannende Figur, natürlich nicht nur aufgrund ihrer Queerness, die hier – wie immer bei Winger – sehr präsent und übrigens keine fiktionale Hinzuerfindung ist. Als sich anlässlich der Veröffentlichung der Romanvorlage in der New York Times eine Rezensentin beschwerte, für Frys Beziehungen zu Männern gäbe es in der Realität keine Hinweise, meldete sich sein Sohn persönlich zu Wort und sagte, sein Vater sei sehr wohl ein «closeted homosexual» gewesen.

Das Problem ist allerdings, dass die Serie sich nun angesichts eines Übermasses an Personal – zu dem natürlich auch bekannte historische Figuren wie Walter Benjamin (Moritz Bleibtreu), Max Ernst (Alexander Fehling) oder Peggy Guggenheim (Jodhi May) gehören – gar nicht genug Zeit hat, ihm oder anderen wirklich gerecht zu werden. Auch die Disparität des Ensembles erweist sich als Störfaktor, da etwa Gillian Jacobs in jeder Szene so wirkt, als würde sie in einer Komödie auftreten.

Überhaupt scheinen sich Winger, Hendler und ihre Regisseurinnen nie ganz sicher zu sein, worauf sie ihren Fokus richten wollen: «Transatlantic» ist Historiendrama, Spionage-Thriller und Kitsch-Romanze gleichzeitig, aber alles irgendwie halbherzig.

Das Ergebnis wirkt dann, auch in den makellos-aufwändigen Kulissen und Kostümen, seltsam glatt, künstlich und oberflächlich, und ausgerechnet die bittere, brutale Lebensrealität jener Menschen, die den Fängen des Dritten Reichs zu entkommen versuchten, wird viel zu selten greifbar.

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